Halbzeitpause für Schwarze Mikro-Löcher am CERN

Bild: Cern

Seitdem die Experimente in Genf am CERN still stehen, ist es um die Weltuntergangspropheten still geworden. Das wird sich jedoch nächstes Jahr spürbar ändern

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Seit Anfang 2008 warnt der Chemiker Otto E. Rössler vor den Folgen der Inbetriebnahme des weltgrößten und leistungsstärksten Teilchenbeschleunigers am CERN: dem LHC (Large Hadron Collider), wo die Bedingungen kurz nach dem Urknall nachgestellt und untersucht werden. Er glaubt, dass im LHC während der Kollision von Protonen ein stabiles und gefräßiges Schwarzes Mini-Loch in die Welt gesetzt werden könnte, dem unser gesamter Planet binnen weniger Jahre zum Opfer fällt. Doch alle Teilchenphysiker und das Gros der Wissenschaftler aus benachbarten Disziplinen sowie alle CERN-Ingenieure haben für derlei Thesen nur ein müdes Augurenlächeln übrig. Dies könnte sich allerdings in einem Jahr ändern, wenn die laufenden Modernisierungsarbeiten am LHC abgeschlossen sind und die Experimente fortgeführt werden. Dann melden sich die CERN-Gegner und Rössler-Anhänger fraglos wieder mit Verve zu Wort.

Wie oft seit Beginn der Schriftlichkeit der nahende Weltuntergang auf Ton, Holz, Papyrus, Pergament, Papier verewigt und seit einigen Jahren über das Internet inflationär verkündet wurde und immer noch wird, bleibt für alle Ewigkeit ein Mysterium der Wissenschafts- und Kulturgeschichte.

Weltuntergang ging unter

Unstrittig ist fraglos, dass die Frage nach dem Ende der Welt zu allen Zeiten in allen Kulturen gestellt wurde und seit jeher ihren stärksten Ausdruck auf religiöser und mythologischer Ebene gefunden hat und weiterhin finden wird. Doch obwohl die Menschheit bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts weder von globalen Heuschreckenplagen, Pestpandemien noch von globalen Überschwemmungen oder Kometen- sowie Meteoriteneinschlägen heimgesucht wurde, keine gravierenden Magnetfeldveränderungen respektive gigantischen Sonneneruptionen stattgefunden, sich also alle apokalyptischen Vorhersagen der Vergangenheit nicht bewahrheitet haben, denken sich die Propheten der Götterdämmerung immer neue Horror-Szenarien aus, die ihren gemeinsamen Nenner allenfalls darin finden, in zuverlässiger Regelmäßigkeit und regelmäßiger Zuverlässigkeit nicht einzutreffen.

So geschehen vor noch nicht allzu langer Zeit, als sich die traurigen Ritter der Apokalypse und professionellen Verschwörungstheoretiker und amateurhaften Exegeten des Maya-Kalenders bis auf Knochen blamierten, nachdem ihr Weltuntergang in dem von ihnen hochstilisierten Katastrophenjahr 2012 selbst das Zeitliche segnete. Das Ende aller Tage ließ einmal wieder auf sich warten, der Weltuntergang ging erneut im Strom der Zeit unter, das Kommen des strafenden Jüngsten Gerichts musste erneut vertagt werden.

CERN als Büchse der Pandora

Einer, der sich unlängst als Prophet der Apokalypse in der Wissenschaft einen Namen gemacht hat, ist der inzwischen emeritierte deutsche Chemiker und Chaosforscher Otto E. Rössler, fraglos ein unbequemer Zeitgeist mit bewegter Biografie. Bei Kritikern als überspannter Exzentriker und bornierter Querulant verschrien, sorgt er seit einigen Jahren in akademischen und nichtakademischen Kreisen für Aufsehen. Über die bundesdeutschen Grenzen hinweg erlangte Rössler Anfang 2008 Bekanntheit, als er anlässlich der Inbetriebnahme des weltgrößten und leistungsstärksten Teilchenbeschleunigers am CERN verstärkt auf die Gefahren von mikroskopisch kleinen Schwarzen Löcher hinwies, die bei der Kollision von Protonen entstehen könnten. Für den inzwischen 73-jährigen kommt das Übel der Welt aus einem 100 Meter unter der Erde installierten 26,6 Kilometer langen Röhrenring, in dem Protonen auf beinahe Lichtgeschwindigkeit (99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit) beschleunigt werden und zusammenprallen. Seine physikalische Büchse der Pandora ist der Large Hadron Collider (LHC) am Europäischen Zentrum für Teilchenphysik CERN in Genf.

Simulation eines Schwarzen Mini-Loches nach der Kollision zweier Protonen im ATLAS-Experiment. Bild: CERN

Unter Einbeziehung der Einstein'schen Allgemeinen Relativitätstheorie behauptete Rössler bereits vor sechs Jahren, dass die Folgen und Gefahren der im LHC geplanten Experimente unvorhersehbar sind. Seinen Rechnungen zufolge könnten entgegen der Theorie von Stephen Hawking, wonach Schwarze Löcher im Miniformat (auch MBHs genannt = Micro Black Hole) nach ihrer Entstehung augenblicklich wieder verdampfen, stabile und gefräßige Schwarze Mikro-Löcher entstehen, die sich ins Erdinnere verflüchtigen und von dort ihr zerstörerisches Werk beginnen.

Computersimulation einer Proton-Proton-Kollision am Large Hadron Collider LHC. Bild: CERN

Alle Klagen abgeschmettert

Seinen Standpunkt präzisierte Rössler in der englischen Tageszeitung "The Telegraph" Ende August 2008:

Meine eigenen Rechnungen haben ergeben, dass es ziemlich plausibel ist, dass diese kleinen Schwarzen Löchern überleben und exponentiell anwachsen und den Planeten von innen auffressen werden. Ich habe CERN darum gebeten, eine Sicherheitskonferenz abzuhalten, die prüfen soll, ob meine Schlussforderungen falsch sind. […] Wir haben unseren Antrag auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht, weil wir nicht glauben, dass die CERN-Wissenschaftler alle erforderlichen Schutzmaßnahmen ergriffen haben.

Doch die Petitionsausschüsse des Deutschen Bundestag und des Europäischen Parlaments schmetterten Rösslers Klage ebenso sang- und klanglos ab wie das deutsche Bundesverfassungsgericht seine eingebrachte Verfassungsbeschwerde im Februar 2010. Wen mag es da noch verwundern, dass auch keine Sicherheitskonferenz einberufen wurde und weitere Klagen des exaltierten Chemikers zurückgewiesen wurden.

Front gegen Rössler

Bereits am 1. August 2008 nahm sich ein hochkarätiges Gutachterteam Rösslers These an und kam unter Berücksichtigung des Energieniveaus, mit dem die LHC-Experimente ab Frühjahr nächsten Jahres fortgesetzt werden, zu dem Ergebnis, dass Rösslers Berechnungen schlichtweg fehlerhaft sind. In der offiziellen und in jeder Hinsicht unmissverständlichen Stellungnahme des Komitees für Elementarteilchenphysik (KET), unterschrieben von Teilchenphysiker aus 26 Universitäten, hielten die Verfasser dem Chaosforscher entgegen, von "falschen und widerlegten Annahmen" auszugehen.

Hätte es in der Frühzeit des Universums kleine Schwarze Löcher gegeben, wären wir nicht hier … Bild: NASA/ESA

Mikroskopisch kleine Schwarze Löcher seien, falls sie am LHC entstehen sollten, "unter keinen Umständen" gefährlich. Zahlreiche Untersuchungen unabhängiger Experten, Experimente und Beobachtungen sprächen eindeutig für die Sicherheit des LHC. Rössler interpretiere die Allgemeine Relativitätstheorie schlichtweg falsch und negiere die Grundlagen der Physik, so der Hauptvorwurf der KET-Autoren.

Ohnehin hätten die vermeintlichen Schwarzen Löcher am LHC nichts mit den kosmischen Schwarzen Löchern gemein. Denn letztere seien mindestens mehrere Sonnenmassen schwer, die potenziellen Exoten in Genf hingegen wären leichter als ein Milliardstel eines Milliardstel Gramms. Sogar der emeritierte britische Cambridge-Professor für Kosmologie und Astronomie, Sir Martin Rees, seit 1995 Königlicher Astronom und von 2005 bis 2010 Präsident der Royal Society in London, meldete sich zu Wort. Er bezifferte das Risiko eines im CERN entstehenden stabilen Schwarzen-Mikro-Loches auf 1:50 Millionen, während der Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam-Golm, Hermann Nicolai, die Wahrscheinlichkeit noch geringer veranschlagte: auf sage und schreibe nur 10-99.