Ich kann drei Doshas

Ayurveda-Kuren sind beliebt. Was lässt sich tatsächlich erreichen?

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1. Tag

Stefan Remmler geht mir durch den Kopf. "Er hat den Urlaub nicht gewollt, sie hat gesagt es müsste sein." Gemein. Aber was soll ich zwei Wochen lang auf einer Wellnessfarm in Sri Lanka? Peeling und Pediküre?

Der Wagen rumpelt auf der Küstenstraße Richtung Süden. 3 Stunden Fahrt nach 10 Stunden Flug. Wald und Häuser ziehen am Straßenrand vorüber. Meine Frau klärt mich auf: Nicht Wellness sei das Ziel, sondern Ayurveda, eine alte Methode, um Wohlbefinden zu erreichen. Wir würden just durch ein Land fahren, in dem die medizinische Versorgung gratis und die Lebenserwartung vergleichsweise hoch sei.

Ankunft mit lauwarmen Waschlappen, ein müder Blick auf die Resort-Architektur, die singhalesischen Teakholz-Chic mit Krankenhaus-Quadern vereint. Koffer aufs Zimmer und ab zur Ärztin. Zunge, Puls, Fragebogen. Empfundener Zustand? Erschöpft - und zwar nicht nur vom Flug. Das Leben im Westen sei schuld, ich berichte vom System. Können Sie da helfen? Nicht beim System, aber mir, ist die Antwort. Kann das sein?

Sie zieht zunächst den Wellness-Zahn, denn es heißt täglich 5.30 Uhr aufstehen und dann straffes Programm. Ich höre etwas von Abführmitteln. Egal. Grünes Laken um die Hüften und los. Erste Dampfwalzenmassage mit viel Öl, dann stechend-brennende Augentropfen, ich sage "Aua". Das also ist Ayurveda.

Aus der Eingangsuntersuchung erhalten ayurvedische Ärzte maßgebliche Hinweise über den gesundheitlichen Zustand ihres Patienten und die anzuwendende Therapie. Zentral sind dabei drei grundsätzliche Formen von biologischer Energie, von der die ayurvedische Theorie annimmt, dass sie existieren. Diese sogenannten "Doshas" heißen "Vata", "Kapha" und "Pitta". Jeder Mensch trägt nun gewisse Anteile dieser Bioenergien in sich, ihr Proporz ergibt einen der sieben Konstitutionstyp.

Stark vereinfacht kann man von eher dünnen, dicken und den Typ mit normalen Körperbau sprechen. Mischformen sind häufig. Allen werden bestimmte Farben, Nahrungsmittel und Aktivitäten zugeordnet, die ihnen gut tun - oder eben nicht. So befolgt man im Idealfall eine auf den eigenen Konstitutionstyp abgestimmte Existenzfibel, bringt damit die Doshas in Harmonie und lebt gesund und zufrieden bis an das Lebensende. Jedwede Krankheit beruht aus dieser Sicht auf einer Disharmonie der Doshas.

Um den Menschentyp zu bestimmen, wenden Ärzte drei Methoden an, nämlich Pulsdiagnose, Zungenbelagskontrolle und Konstitutionsanamnese. Schon die Sinnhaftigkeit dieser Diagnostik ist aus Sicht der westlichen Schulmedizin umstritten, wichtig wäre daher zumindest ein hohes Ausmaß von Übereinstimmung in den Befunden. Genau diese scheint aber schwierig zu sein.

Ein im letzten Jahr (2013) veröffentlichtes Experiment ließ im indischen Bangalore 15 Ayurveda-Ärzte 20 gesunde Patienten untersuchen. Die Begutachtungen durch die Ärzte zeigten dabei ein niedriges Maß an Zuverlässigkeit, anders formuliert, man kam zu den unterschiedlichsten Ergebnissen bezüglich des Zustands der Patienten - und zwar bei allen drei Diagnostikarten. Das wäre in etwa so, als wenn in einem deutschen Krankenhaus die Krankenschwester einen ganz anderen Blutdruckwert misst als fünf Minuten später der Arzt. Allerdings erhält man auch in Deutschland bei komplexeren Krankheitsbildern oftmals divergierende Hinweise auf mögliche Ursachen.

2. Tag

Der Tagesablauf für die nächsten zwei Wochen: 6 Uhr Yoga, 7 Uhr Frühstück, 8 Uhr Akupunktur, 9 Uhr Ölmassage des Körpers, heftige Augentropfen, Gesichtsmassage, 10 Uhr Inhalation, 10:15 Uhr Dampfbad, 10:30 Uhr Kräuterpackungen auf Gliedmaßen und Gelenke, duftige Gesichtspaste, Schlummern, 11:00 Uhr Duschen, fertig. Nach dem Mittagessen wird einem oft noch eine spezielle Behandlung angediehen, sei es ein Ölsee auf der Brust oder eine Massage.

Es heißt, auf Sri Lanka wachsen mehr als 1.500 medizinisch wirksame Pflanzen. Allerdings gilt hier jede Gurke, mithin alles Essbare als Medizin, denn alles beeinflusst mehr oder minder die körperlichen und geistigen Funktionen. Die angewendeten Blätter, Rinden, Samen und Wurzeln werden zumeist vermengt, oft gekocht und je nach Leiden und Konstitution des Patienten kombiniert.

Die in der westlichen Medizin wichtigen chemischen Wirkstoffe sind hier oft unbekannt, man vertraut auf die Erfahrung aus Jahrhunderten. Dies ist nebenbei der Grund, weshalb diese Medikamente keine Zulassung als Arzneimittel in der EU oder anderen Staaten erhalten. Bereits im 6. Jahrhundert vor Christus wurde die ursprünglich indische Medizin auf die Insel eingeführt. Später kam mit den Arabern neue Heilmethoden dazu, deren Bestandteil war unter anderem die Viersäftelehre des römischen Arztes Galen. Dies alles stieß auf ein einheimisches Kräuterwissen und wurde mit buddhistischen Lehren vermengt. So entstand über die Zeit eine exotische Mischung aus uraltem Pflanzenwissen, Elementenlehre, Astrologie, Spiritualität, Lebenskultur - und Placeboeffekten.