Nach Hause …

Archäologische Ausgrabung(en) zu einem Computerspiel

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Anfang der 1980er-Jahre begann Hollywood die Computerspiel-Welt zu erobern. Filmerfolge wurden „versoftet“ und auf den zeitgenössischen Spielcomputern heraus gebraucht. Je erfolgreicher der Film, desto erfolgversprechender das „Spiel zum Film“, heißt das Rezept bis heute. Gleich zu Beginn dieser Erfolgsgeschichte steht jedoch ein Monument des Scheiterns, das nicht nur den Zusammenbruch der damaligen Computerspielindustrie, sondern danach auch eine Urban Legend und jüngst archäologisches Interesse hervorgerufen hat.

Die Geschichte des Spiels „E.T. - The Extra-Terrestrial“ für die Computerspielkonsole Atari VCS gehört zu den bekanntesten ihrer Art: Atari hatte mit Steven Spielberg schon zum Start seines Außerirdischen-Films 1982 einen Lizenz-Vertrag über die Adaption als Computerspiel abgeschlossen. Die Umsetzung sollte von Howard Scott Warshaw vorgenommen werden, einem seinerzeit berüchtigtem Game-Hacker, der für Erfolgstitel wie „Yar's Revenge“ und das Film-Spiel „Raiders of the Lost Arc“ verantwortlich zeichnete – sich also mit Filmadaptionen nach Spielberg'scher Vorlage auskannte.

Das Problem war, das trotz den rechtzeitigen Deals zwischen Atari und Spielberg Warshaw nur sehr wenig Zeit für die Erstellung des Spiels eingeräumt wurde: In weniger als sechs Wochen musste „E.T.“ fertig sein, damit es in den Weihnachtshandel kommen konnte und damit nicht zu viel wertvolle Zeit zwischen Film und Spiel verstrich, in der sich die Fans anderen Motiven zuwandten. Warshaw nahm die Herausforderung trotzdem an, scheiterte jedoch an ihr. „E.T.“ kam zwar Weihnachten 1982 in den Handel, war jedoch alles andere als „fertig“ und wurde deshalb auch kein Erfolg.

Grüne Männchen

Die Story des Spiels war ebenso verworren, wie die Spielregeln und das Gameplay. „E.T.“ enthielt fragwürdige ästhetische und spielmechanische Elemente: Der Spieler muss die grüne(!) E.T.-Figur über mehrere Bildschirme steuern und mit ihr Gegenstände einsammeln um einen Funkapparat zu konstruieren, mit dem dann ein Raumschiff gerufen werden kann. Klingt leicht, ist es aber nicht, denn E.T. wird dabei sowohl von Wissenschaftlern als auch vom FBI verfolgt und ist also ständig auf der Flucht. Erschwert wird diese von überall vorhandenen Fallgruben, in denen sich zwar auch einzusammelnde Teile befinden, in die man jedoch auch dann stürzt, wenn man es gar nicht will. Zu solchen spielerischen Härten gesellen sich noch vermeintliche Programmierfehler, wie etwa der, dass E.T. immer dann in eine Grube stürzt, wenn ein bestimmter Screen von einer bestimmten Seite aus angesteuert wird.

E.T. braucht Hilfe – ein nahezu prophetisches Werbeplakat von Atari.

Trotz alledem war Atari überzeugt davon, dass „E.T.“ ein Erfolg würde und produzierte Zig-Millionen Module … sogar mehr, als VCS-Spielkonsolen im Umlauf waren. Ob sich die Firma schlicht verrechnet hatte oder hoffte, den Verkauf der technisch längst überholte VCS-Konsole durch „E.T.“ noch ein weiteres mal ankurbeln zu können, ist nicht sicher. Sicher ist jedoch, dass „E.T.“ gewaltig floppte. Nach schlechten Kritiken und Rückgaben aufgrund der Fehler im Spiel wurde Atari nicht nur mit einer unerwartet hohen Zahl von zurückgesandten Modulen konfrontiert, sondern blieb auch auf immensen Lagerbeständen sitzen. Um die Kosten dafür nicht endlos in die Höhe zu treiben, entschloss sich die angeschlagene Firma in den folgenden Monaten, das Spiel „loszuwerden“.

Außerirdischer Sondermüll

In New Mexiko, in der Nähe der Stadt Alamogordo, sollen Gerüchten zufolge ab 1983 zahlreiche Lastkraftwagen angerückt sein, um auf der dortigen Müllkippe Ataris Elektroschrott zu verscharren. Darunter sollen sich auch Millionen „E.T.“-Module befunden haben. Den damalige Crash der Konsolenspiel-Industrie konnte diese Aktion sicherlich nicht aufhalten; sie war eher ein Indiz für denselben. Zahlreiche der Produzenten von Spielkonsolen mussten ihre Geräte vom Markt nehmen, auf dem sich sukzessive die technisch besser ausgestatteten Heimcomputer breitmachten. Modulspiele blieben indes in den Verkaufsregalen liegen. Diejenigen Hersteller, die kein anderes Produktionsstandbein besaßen oder auf Heimcomputer umsatteln konnte, gingen im Zuge dessen schlicht unter.

Das verschlafene Städtchen Alamogordo ist dieser Tage viel besucht. Foto: AllenS. Lizenz: Public Domain.

„E.T.“ ist also gleichsam ein wichtiges medienökonomisches wie computerspielhistorisches Artefakt. Von dem Spiel kursieren heute noch zahlreiche Module auf Flohmärkten und Online-Auktionen, so dass die massenweise Versenkung eigentlich keinen großen Verlust bedeutet. Dennoch hatte sich Mitte 2013 ein Dokumentarfilm-Team entschlossen, dem Mythos von Alamogordo auf den Grund zu gehen und bei der Stadtverwaltung eine Grabungslizenz beantragt. Im Rahmen eines Dokumentarfilms sollten zugleich Wahrheit und Elektroschrott ans Licht gebracht werden. Dieses Ansinnen hat nun auch Microsoft, die just verlauten ließen, ebenfalls eine Grabung beantragt und bewilligt bekommen zu haben. Am 26. April soll die Suche öffentlichkeitswirksam starten …

In der ursprünglichen Version des Spiels ist E.T. grün.

Illegal Aliens

Nahezu unbemerkt von solch publikums- und presseträchtigen Aktionen hatte sich im Frühjahr 2013 noch ein anderes Team Ataris „E.T.“ angenommen. In einem Kooperationsprojekt haben der Hobbyist David Richardson und einige User des Internetforums AtariAge das Spielprogramm aus den ROM-Chips der Module „geborgen“ und die mutmaßlichen Probleme, die zum damaligen Flop des Spiels geführt haben sollen, mit verschiedenen Methoden angegangen. Mit Hilfe eines Disassemblers (re)generierten sie den Code, um ihn danach zu „fixen“ wie Richardson es auf seiner Webseite nennt. Denn „E.T.“ sei keineswegs „buggy“, sondern einfach nur stellenweise schlecht programmiert. Das ließ sich beheben.

Neben dem Fix am Problem der oben beschriebenen Problemen mit den Fallgruben wurde auch an der Ästhetik des Spiels gearbeitet. E.T. Wurde braun gefärbt, die FBI-Agenen bekamen zwangsweise ein anderes Aussehen und zahlreiche Details wurden so korrigiert, dass das Spiel wieder/endlich spielbar wurde. Dabei stellten die vorgegebene Struktur des Codes, die extrem sensible „Taktplanung“ des Programmablaufs (eine Idiosynchrasie vieler früher Computerspiele, also auch des Atari VCS, zwingt den Programmierer dazu ständig mit dem Rasterstrahle der Bildausgabe „zu rechnen“) und die maximale Größe von nur acht Kilobyte schwierige Hürden dar. Diese wurden jedoch allesamt überwunden und der Fixing-Prozess auf einer Webseite dokumentiert. Das gefixte und sogar um ein Easter-Egg bereicherte Spiel kann nun als ROM-Image heruntergeladen und im Emulator oder über ein SD-Karten-Steckmodul auf der Original-Konsole gespielt werden.

Nach dem Fixing ist E.T. Braun und spielbar. Bild: Neocomputer.

Damit schließt sich die Wunde, die das Spiel Anfang der 1980er-Jahre in die Herzen der Gamer gerissen hatte, dreißig Jahre später scheinbar gleich mehrfach. Der „gefixte“ Code ermöglicht es vielleicht, die ursprünglichen Intentionen Warshaws offenzulegen und das Spiel „posthum“ zu rehabilitieren. Zugleich zeigt das „Fixing“-Projekt wie kreativ Retrocomputer-Szenen heute mit der Geschichte und ihren Hinterlassenschaften umgehen. Mit dem Finden oder Nichtfinden der Module im Sand von New Mexico wird indes zwar vielleicht die Wahrheit über das Jahrzehnte alte Atari-Gerücht exhumiert, zugleich aber eine der interessantesten Urban Legends der Computerspielgeschichte endgültig zu Grabe getragen.

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