Bund muss Brennelementesteuer zurückzahlen

Hamburger Gericht spricht AKW-Betreibern eine vorläufige Rückzahlung von 2,2 Milliarden Euro zu

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ist die gesetzliche Ausarbeitung des Atomkraftaustiegs sorgfältig genug geschehen? Die Frage stellt sich erneut nach einem Urteil aus Hamburg: RWE, Eon und drei andere AKW-Betreiber bekommen vom Finanzgericht Hamburg die Rückerstattung der gezahlten Brennelementesteuer in Höhe von 2,2 Milliarden Euro zugesprochen - zumindest vorläufig. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Auch die Schadensersatzforderung von Eon für die Zwangsabschaltung seiner Atomkraftwerke Unterweser und Isar 1 zielt auf rechtliche Lücken.

Die Hamburger Richter halten die Brennelementesteuer für verfassungswidrig, berichtet die FAZ. Da das Finanzgericht in der Frage der Verfassungsmäßigkeit aber bereits vor der aktuellen Entscheidung das Bundesverfassungsgericht und den europäischen Gerichtshof angerufen hat, konnte man den höheren Instanzen nicht vorgreifen.

So ist das Urteil "als vorläufiger Rechtsschutz" zu verstehen, um den die AKW-Betreiber gebeten hatten, bis die grundsätzliche Entscheidung von den höheren Gerichten getroffen wird. Konsequenterweise wird mit Verweis auf die grundsätzliche Bedeutung der Bewertung der Brennelementesteuer auch die Zulassung einer Beschwerde gegen die aktuelle Entscheidung an den Bundesfinanzhof begründet.

Die Entscheidung der Hamburger Richter setzt die Zahlungen der gegenwärtig zu entrichtenden Brennelementesteuer aus; die Hauptzollämter werden - bis ein anderer Richterspruch dazu erfolgt - dazu verpflichtet, bereits entrichtete Zahlungen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro zurückzuerstatten.

Keine Verbrauchssteuer, sondern "Gewinnabschöpfung"

Bereits im 2011 stieß Eon mit einer Rückforderung der Brennelementesteuer für das Kraftwerk Grafenrheinfeld in Höhe von 74 Millionen Euro auf offene Ohren beim Finanzgericht in Hamburg und bekam Recht, auch damals schon unter der Einschränkung "vorläufig". Die Frage ist, ob sich die höheren Instanzen der Auffassung anschließen, dass die Steuer verfassungswidrig sei. Die Hamburger Richter begründen dies damit, dass die Steuer in der vorliegenden Form keine Verbrauchssteuer sei, die auf Konsumenten umgelegt wird, sondern rein darauf abgezielt sei, "die Gewinne der Kernkraftwerksbetreiber abzuschöpfen".

Zudem äußerte das Gericht Zweifel, ob die Brennelementesteuer mit EU-Recht in Einklang zu bringen sei. Das Prinzip der "Output-Besteuerung" in der EU-Energiesteuerrichtlinie widerspreche dem Kernbrennstoffsteuergesetz. Denn, so der FAZ-Bericht, es verbiete, "neben dem Strom selbst auch noch die Energieerzeugnisse mit Abgaben zu belegen, die zu seiner Produktion eingesetzt werden. Außerdem spreche einiges dafür, dass die Brüsseler Richtlinie über Verbrauchssteuern es den Mitgliedstaaten verbiete, eine Abgabe wie die Brennstoffsteuer neu zu erfinden". Laut Zeitungsbericht sind zwei weitere ähnliche Klagen vor dem Finanzgericht München anhängig.

Handwerkliche Fehler?

Zusammen mit den Schadenersatzforderungen, die Eon erhebt, womit man bereits seit 2011 gegen das Atomausstiegsgesetz vorgeht, wird hier sichtbar, was Experten von Anfang an am Atomaustieg bemängelten: Handwerkliche Fehler bei der Ausarbeitung der Gesetze, die bei ihnen Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Ausstiegswillens und an der Energiewende aufkommen ließen (Gesetz zum Atomausstieg könnte am Verfassungsgericht scheitern) und letztlich den Boden für die Klagen bereiten.

Über die Brennelementesteuer wurde zwar schon zuvor, im Jahr 2010, entschieden. Aber sie war an die Laufzeitverlängerung gebunden, also auf den langfristiger konzipierten Ausstieg, was sich bekanntlich durch Fukushima änderte. Die AKW-Betreiber machten auch erst dann laut und vernehmbar auf die juristischen Probleme der Steuer aufmerksam, als die Wende in der Atompolitik infolge Fukushima verkündet wurde.

Unter Juristen war die Konzeption der Brennelementesteuer als indirekte Verbrauchssteuer von Anfang an umstritten. Die SZ, die im Juni 2011 über deren Argumente berichtete, prophezeite, dass die Steuer Teil einer gerichtlichen Auseinandersetzung werden könnte - oder dazu führen könnte, dass sie "als Teil eines Atom-Paketes zwischen Politik und Energiebranche noch einmal neu debattiert" werde.

Ein neuer Pakt?

Möglich, dass die gerichtlichen Auseinandersetzungen dazu führen, wofür vermutlich nicht nur FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff Lobby macht: neue Gespräche über Laufzeitverlängerungen - und damit verbunden eine Modifizierung des "Atom-Paktes"?