EU hilflos gegenüber Unabhängigkeitsbestrebungen

Brüssel manövriert sich mit immer neuen Rauswurf-Drohungen gegenüber Katalanen, Schotten und Basken in eine Sackgasse, ohnehin sehen die EU-Verträge derlei nicht vor

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Dass man in der Brüsseler EU mit zweierlei Maß misst, was Unabhängigkeitsbestrebungen angeht, wurde an der Krim-Krise und im Vergleich zum Kosovo mehr als deutlich (Heuchelei zu Krim-Unabhängigkeitsbestrebungen). Die Büchse der Pandora hat auf dem Balkan aber die EU aufgemacht, die nun im Inneren versucht, mit einem angedrohten Rauswurf Schotten, Katalanen, Basken und andere Unabhängigkeitsbewegungen einzuschüchtern. Doch Experten verweisen darauf, dass derlei in den EU-Verträgen nicht vorgesehen ist. Letztlich ist das keine juristische, sondern eine politische Frage. Zudem ist auch die Frage, ob sich die EU derlei Rauswürfe leisten kann. Im Fall Griechenland hat man sich eindeutig – schon wegen der Signalwirkung - und teuer für ein Nein entschieden. Und es gibt kaum Gründe zur Annahme, dass dies im Fall von Schotten, Katalanen, Basken, Flamen… anders wäre, auch wenn in Brüssel stets das Gegenteil behauptet wird. Doch wurde nicht auch lange strikt behauptet, es werde keine Griechenland-Milliarden, Rettungsfonds, usw. geben?

Es ist sehr aussagekräftig, dass sich sofort ein Sprecher der EU-Kommission mit der Frage der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen beschäftigte, nachdem am vergangenen Montag diverse Experten ihre Ergebnisse vorgestellt hatten. Sie resümierten, es sei "nicht logisch", dass ein neues unabhängiges Land, das wie Schottland oder Katalonien schon in der EU ist, zunächst zum "Verlassen gezwungen wird, um dann wieder beizutreten". Das sagte der Präsident der Expertengruppe Carles Viver Pi-Sunyer, welche die katalanische Regionalregierung auf dem Weg in die Unabhängigkeit von Spanien berät. Das "Beratungsgremium für den Nationalen Übergang" (CATN) geht davon aus, dass die EU letztlich ein neues unabhängiges Land als Mitgliedsstaat anerkennen würde. Die Experten führen dafür "Logik und Pragmatismus" an.

Ohne sich ausgiebig mit den Thesen der Experten zu beschäftigen, stellten spanische Medien aber die sofortige "Antwort" der "Europäischen Kommission" heraus und sprachen wie die sozialdemokratische El País von einer "kalten Dusche". Auch in der konservativen El Mundo fand sich die Nachricht auf der Titelseite und wurde als "schwerer Schlag" für die katalanische Regionalregierung bezeichnet. In beiden Fällen wurde so getan, als habe der Sprecher der EU-Kommission eine offizielle Stellungnahme für sie abgeben.

Doch stutzig machte, dass die größte spanische Zeitung nicht einmal den Namen des "Kommissionssprechers" nannte. El Mundo schrieb zwar noch, dass es sich um Alejandro Ulzurrun handelte, doch gab auch diese große Zeitung keinen Hinweis auf seinen Posten. Die Kunstgriffe mussten sein, denn Sprecherin der Kommission ist bekanntlich Pia Ahrenkilde. Und in der langen Liste der Sprecher der verschiedenen EU-Ressorts taucht der Mann mit dem baskischen Namen Alejando Ulzurrun de Asanza tatsächlich erst auf Seite 22 von 31 auf. Er wird als Sprecher im Referat 03 für ein Globales und Nachhaltiges Europa geführt. Wahrscheinlich haben die Leser noch nie etwas von ihm gehört. Es ist aber klar, dass es wohl kaum etwas den Kompetenzen seines Referats zu tun hat, sich zur Frage einer möglichen Unabhängigkeit Kataloniens zu äußern. Dass man dessen Aussagen so stark in den Vordergrund stellt, weist eher auf eine starke Nervosität innerhalb des spanischen Nationalismus hin.

Katalanen demonstrieren gemeinsam mit Basken für die Unabhängigkeit. Bild: R. Streck

Juristische Grauzone

Gerüffelt wird Ulzurrun für die offensichtliche Kompetenzüberschreitung wohl ohnehin nicht, weil er nur die Ansicht vertreten hat, die auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Durao Barroso immer wieder zum Besten gegeben hat (2014: Neue Staaten in Europa?). "Wenn ein Teil eines Territoriums eines Mitgliedstaates nicht mehr zu diesem Staat gehört, weil er unabhängig wird, werden die Verträge nicht mehr auf dieses Territorium angewendet", sagte Ulzurrun. "Ein neuer Staat würde sich allein durch seine Unabhängigkeit in einen Drittstaat in Bezug auf die EU verwandeln." Erstaunlich war, dass er plötzlich aber auch erklärte, er werde "keine konkreten Anmerkungen" zu der Studie der Experten machen werde.

Weil der katalanische Regierungssprecher Francesc Homs gelassen darauf verwies, dass es sich also nicht um eine offizielle Position der EU handelt, titelt El País wiederum, dass die katalanische Regierung die "Warnungen der EU-Kommission verschmäht". Dabei wiederholte auch Homs nur, was Ulzurrun in seiner Stellungnahme einschränkend angefügt hatte. Eine offizielle Position sei nur "auf Antrag des Mitgliedsstaats" zu erhalten. Und genau deshalb forderte der Katalane die konservative spanische Zentralregierung unter Mariano Rajoy auf, endlich eine offizielle Stellungnahme der EU-Kommission zu beantragen. "Bisher gibt es keine juristische Bewertung, sondern Kommentare und Meinungen aller Art", sagte Homs.

Er und der katalanische Regierungschef Artur Mas wissen, dass man es bei der Frage nach einer Unabhängigkeit mit einer juristischen Grauzone der EU-Verträge zu tun hat. Damit hat man sich in Schottland schon ausgiebig beschäftigt, denn auch diesen Vorgang versuchte der konservative Barroso, schon mit genau dieser von Ulzurrun aufgewärmten Meinung zu beeinflussen. Doch auch Barrosos Drohungen verhinderten nicht, dass sich London und Edinburgh auf ein verbindliches Referendum einigten.