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Phasenübergänge im Fußball

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Bei gut getretenen Freischüssen ist alles Weitere eine Frage der Aerodynamik. Fußballspieler wissen, dass der Ball, wenn sie hart schießen, aber nicht ganz die Mitte treffen, entlang einer Kurve fliegt. Trifft der Fuß den Ball ein oder zwei Zentimeter rechts oder links von der Mitte, fliegt er vorwärts und dreht sich gleichzeitig um seine Achse. Es ist diese Rotation (von den Physikern "Spin" genannt), die die gekrümmte Trajektorie der Schüsse von Roberto Carlos oder David Beckham erklärt.

Teil 2 der Serie über wissenschaftliche Aspekte des Fußballspiels: Die Telepolis-Fußball-Weltrangliste.

Kein geringerer als Isaac Newton hat sich um das Verständnis der gebeugten Bahnen von Bällen in der Luft bemüht. Es ging dabei allerdings um Tennis, dem Spiel der Cambridge-Aristokratie. Die geflogene Kurve eines Tennisballs lässt sich durch eine von der Luft auf den Ball ausgeübte Kraft erklären: Der Tennisball schiebt die Luft und diese reagiert mit einer entgegengesetzten Kraft. O-Ton Newton in einem Brief an die Royal Society1:

Der Schläger gibt dem Ball eine vorwärts- und eine rotierende Bewegung. An der Seite, an der beide Bewegungen zusammenarbeiten, drückt und schlägt die Hälfte des Balls die umgebende Luft kräftiger als an der anderen Seite. Dies bewirkt einen höheren Widerstand und Gegenreaktion von der Luft auf der einen als an der anderen Seite des Balls. Deswegen krümmt sich seine Bahn.

Pikanterweise enthielt der Brief nebenbei eine große Entgleisung. Newton dachte nämlich, dass Licht aus materiellen Partikeln bestünde und dass sich die Beugung des Lichts in einem Medium durch die mechanische Rotation eben dieser Lichtteilchen erklären ließe - wie beim Tennisball. Newton lag also falsch beim Licht, jedoch goldrichtig beim Ball.

Newtons Erklärung kann man heute zustimmen: ein schnelles Objekt komprimiert die Luft vor ihm so wie es Flugzeuge oder Autos tun (wobei ein Fußball bis zu 130 km/h erreichen kann). Die Luft fließt um den Ball nach hinten und schmiegt sich an dessen Oberfläche an. Luft hat so wie Wasser eine eigene Viskosität, d.h. eine Zähigkeit beim Fließen. Die Luftströme um den Ball reiben sich sowohl untereinander als auch am Ball. Wenn ein Fußball sich dreht und schnell fortbewegt, ist jedoch die relative Geschwindigkeit einer Seite des Balls relativ zur Luft höher als auf der anderen Seite. Es ist diese Differenz, die letztendlich eine Kraft seitwärts entstehen lässt. Und voilá, wir haben ein Tor.

Phasenübergänge im Fußball

Die moderne Physik ist bereits viel weiter als Newton -- jedoch dreihundert Jahre danach immer noch eifrig dabei, die Bewegung von Bällen in der Luft zu verstehen. Was das Ganze einen Tick schwieriger als bei der einleuchtenden Erklärung von Newton macht, sind die sogenannten Phasenübergänge bei der Bewegung des Balls.

Ein Phasenübergang ergibt sich aus einer graduellen mikroskopischen Änderung, die sich plötzlich in einem neuen makroskopischen Zustand niederschlägt, wie beim Gefrieren von Wasser: über Null Grad hat man Wasser - unter Null Grad Eis. Noch ein Beispiel: Wenn in einem Netzwerk mit vielen Knoten aber nur wenigen Kanten, neue Kanten zwischen den Knoten nach und nach per Zufall eingefügt werden, gibt es einen Moment an dem plötzlich eine sogenannte "giant component" entsteht, d.h. eine große Ansammlung von Knoten, die alle miteinander in direkter oder indirekter Verbindung stehen. Dies sind Beispiele von Phasenübergängen: einerseits zwischen einer flüssigen und einer festen Phase (Zustand), andererseits zwischen einem Netzwerk mit vielen kleinen Inseln und einem Netzwerk mit einem Kontinent darin.

Golfspieler kennen aus Erfahrung die Phasenübergänge des Balls auf Gras. Schlägt man einen Golfball auf dem Rasen, gleitet dieser zuerst über die Grasfläche ohne sich zu drehen. Die Reibung zwischen dem gleitenden Ball und dem Rasen ist niedriger als bei einem rotierenden Ball, da die dynamische kleiner als die statische Reibung ist. Der Ball wird aber allmählich abgebremst bis er eine Geschwindigkeit erreicht, bei der der Ball einfach weiter rollen muss. Der Ball steht jetzt enger in Kontakt mit dem Rasen und die Reibung ist nun statisch. Mit solchen Phasenübergängen beim Ballschuss muss man sich auch beim Roboterfußball auf Kunstrasen beschäftigen, da sonst der robotische Mitspieler bei einem Pass nicht rechtzeitig am Ball ankommt.

Interessant ist, dass beim gekrümmten Freischuss solche Phasenübergänge auch in der Luft entstehen können und dass man sie heute anhand von Modellen sehr gut analysiert hat. Beim Bananenschuss konkurrieren zwei Effekte gegeneinander: eine seitliche Kraft, vom Magnus-Effekt produziert, und die Abbremsung des Balls, die eventuell Flattern erzeugen kann.

Erinnern wir uns an den im Jahre 2010 von Fußballspielern arg kritisierten Jabulani-Ball von Adidas, der als flatternder "Strand-Volleyball" verschrien wurde. Der Jabulani war ein besonders glatter Ball mit nicht so tiefen Nähten (sie waren halb so tief wie die Nähte der alten "archimedischen" Bälle mit Pentagonen und Hexagonen). Es war diese "Glattheit" der Oberfläche und die asymmetrische Form der geklebten Oberflächenelemente, die die Probleme verursachten. Adidas hat aber dazu gelernt und dem neuen Brazuca-Ball für die WM-2014 sogar 1,6 mm Nahttiefe statt der üblichen 1,1 mm verpasst. Nach Aussage von Adidas ist der Brazuca, der für eine anstehende WM am meisten getestete Ball in der Geschichte des Fußballs.