Das Schweigen der Bischöfe

Prozess vor dem Volksgerichtshof Berlin nach dem 20. Juli 1944: In der Mitte Roland Freisler, der auch P. Kilian Kirchhoff zum Tod verurteilt hat. Bild: Deutsches Bundesarchiv (151-39-23). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Ein aktueller Wikipedia-Eintrag zu Kilian Kirchhoff (1892-1944) ist schlecht belegt und begünstigt noch 70 Jahre nach Hinrichtung des Franziskaners die kirchenpolitische Mythenbildung

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Historische Forschungsergebnisse über das Totalversagen der deutschen Bischofskonferenz im Nationalsozialismus nähren bei manchen Zeitgenossen den Verdacht, Nachrichten über Christenverfolgung und katholischen Widerstand im "Dritten Reich" seien vielleicht doch nicht viel mehr als bloße Mythen. In diesen Fällen bewirkt die Feigheit fast aller staatlich dotierten Oberhirten aus der NS-Zeit, dass das Gedächtnis mutiger Regime-Gegner aus den unteren Etagen der Kirche geschmälert wird. Damit kann ich mich als Katholik, der besonders auch in regionalen Kontexten den Spuren des Faschismus nachgeht, nur schwer abfinden.

Mein Eindruck bei der Spurensuche: Es gab im kirchlichen Bereich mehr Mitläufer, mehr Kollaborateure und - allerdings - auch mehr couragierte Nein-Sager, als es das öffentliche Geschichtsgedächtnis der Nachkriegszeit vermittelt hat. An Opfer und Nein-Sager wollte man sich nach 1945 nicht so gerne erinnern, weil dies unweigerlich ein Nachdenken über die je eigene Rolle nach sich gezogen hätte. Das katholische Milieu verfolgte zudem die Tendenz, die gravierenden Unterschiede im Verhalten seiner Mitglieder zu verwischen. Mitunter ließ man sich deshalb auch viel Zeit damit, an wirkliche Vorbilder aus der Nähe zu erinnern.

Allein für die kleine Sauerlandkommune Finnentrop sind - neben den ermordeten Mitgliedern der jüdischen Familie Jacob - drei Christen zu nennen, die aus der Nazi-Haft nicht lebend zurückkehrten: die ehemalige Modeverkäuferin und Ordensfrau Angela Autsch (1900-1944), der Bäckermeister Josef Quinke (1905-1942) und der Franziskaner Kilian Kirchhoff (1892-1944). Der Letztgenannte war ein renommierter Übersetzer bzw. Vermittler der byzantinischen Hymnologie und verachtete die "kraftlosen Götzenbilder: Rasse, Blut und Boden". Über ihn liest man auf Wikipedia (Stand 21.04.2014):

Am 21. Oktober 1943 wurde Kirchhoff wegen regimekritischer Äußerungen von der Gestapo verhaftet. Byzantinologen und der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger traten für ihn ein. Roland Freisler verurteilte ihn am 7. März 1944 vor dem Volksgerichtshof in Berlin zum Tode. Nachdem ein eigenes Gnadengesuch und das des Apostolischen Nuntius Cesare Orsenigo abgelehnt worden waren, wurde das Urteil am 24. April 1944 durch Enthaupten vollstreckt.

Die Denunziantin stammte aus einer dem Franziskaner persönlich gut bekannten Familie und tauchte 1944 mit ihrer Clique beim Volksgerichtshof auf. Außer den Behauptungen dieser Frau lagen keinerlei "Beweisstücke" vor. Roland Freisler verzichtete ausdrücklich auf ihre Vereidigung, fragte sie jedoch, ob sie den Angeklagten (Pater Kirchhoff) hasse. "Nein", antwortete die Denunziantin, sie "hasse nur die Priester der katholischen Kirche, weil sie Gegner des Nationalsozialismus sind". Freisler hatte eigentlich nur den ersten Teil dieser Antwort hören wollen. Sein Todesurteil war zwei Stunden später amtlich.

Beistand der Paderborner Bistumsleitung?

Vor Roland Freisler hatte selbst ein unerschrocken "deutschtreuer" Mann wie der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber mächtigen Respekt. Als Freisler den Pazifisten und Widerstandskämpfer Max Josef Metzger am 14.10.1943 zum Tod verurteilt hatte, schrieb Gröber dem "Hochverehrten Herrn Präsident des Volksgerichtshofes" sogleich ohne Not, er habe diesen Priester seiner Diözese natürlich ohne jegliche "Kenntnis des von ihm verbrecherisch Unternommenen" in einem früheren Schreiben als einen Idealisten geschildert.

Im gleichen Monat nun wurde Kilian Kirchhoff von der Gestapo ebenfalls als Staatsfeind verhaftet. Er gilt als der einzige von 897 Priestern des Erzbistums Paderborn, der nach einem amtlichen (!) Todesurteil vom NS-Staat ermordet worden ist. Auch deshalb kommt dem auf Wikipedia vermittelten Eindruck, Ortsbischof Dr. Lorenz Jaeger sei gleichsam an vorderster Stelle für den - mit ihm 1922 gemeinsam zum Priester geweihten - Franziskaner eingetreten, eine besondere Bedeutung zu. Doch wie genau ist dieses Eintreten vonstattengegangen? Hier gibt es beim Nachweis der Belegquellen in der kircheneigenen Literatur und auf Wikipedia aus meiner Sicht erheblichen Nachholbedarf:

  • In dem von der Kirche selbst vorgelegten Sammelband "Das Erzbistum Paderborn in der Zeit des Nationalsozialismus" (1993) schreibt Ottokar Mund zum Engagement des Ortsbischofs für Pater Kilian nur einen Satz: "Der Erzbischof von Paderborn, Lorenz Jaeger, fährt persönlich nach Berlin." (S. 197)
  • In der ebenfalls vom Erzbistum Paderborn edierten Biographie "Erzbischof Lorenz Jaeger als Kirchenführer im Dritten Reich" (1995) aus der Feder von Heribert Gruß findet man auf fast 500 Seiten - unter Verweis auf O. Mund - nur die knappe Feststellung: "Erfolglos blieben Jaegers Bemühungen um den Franziskanerpater Kilian Kirchhoff durch persönliche Vorsprache beim Justizminister." (S. 271)
  • In den von Ottokar Mund (mit-)verfassten Büchern "Pater Kilian Kirchhoff" (1996) und "Blumen auf Trümmern" (1998) wird ein Brief des Paderborner Erzbischofs Lorenz Jaeger dargeboten, in dem dieser mit Datum vom 10.11.1971 in eigener Sache kurz mitteilt: "P. Kilian Kirchhoff. Ich habe mit ihm korrespondiert und bin für ihn nach Berlin gefahren, um seine Begnadigung zu erwirken - leider vergebens."

Die letzten zwei und viele weitere Literaturhinweise verdanke ich dem Lorenz-Jaeger-Forscher Wolfgang Stüken, der in den einschlägigen kirchlichen Darstellungen zum Thema bislang noch keinen weitergehenden Ursprungsbeleg finden konnte als diese knappe briefliche Selbstaussage des Erzbischofs von 1971 (auch nicht in O. Munds Beitrag für die 1972 erschienene Festschrift "Paderbornensis Ecclesia" zum 80. Geburtstag von Erzbischof Jaeger).

Die Mitteilung zu Jaegers Engagement für den franziskanischen Märtyrer wird in der kirchengebundenen Geschichtsschreibung auch anderswo immer wieder knapp erwähnt. Im Band "Zeugen für das Reich Gottes" (Paderborn 1995) heißt es z.B.: "Mehrere Gnadengesuche von Seiten hervorragender Wissenschaftler, selbst ein Besuch des Paderborner Erzbischofs Lorenz Jaeger in Berlin, hatten das Urteil nicht abzuwenden vermocht." In Band II der Erhebung "Priester unter Hitlers Terror" (3. Auflage, Paderborn 1996) heißt es zu Kilian Kirchhoff: ,"Hilfsmaßnahmen Erzbischof Jaegers, Nuntius Orsenigos sowie zahlreicher Wissenschaftler blieben ohne Erfolg." Auch in der Paderborner Bistumszeitung "Der Dom" vom 20.04.2014 wird aktuell mitgeteilt: "Gnadengesuche namhafter Persönlichkeiten aus Kirche und Wissenschaft werden abgelehnt. Auch eine Reise von Erzbischof Jaeger nach Berlin bleibt erfolglos."

In Band II des im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz von Helmut Moll herausgegebenen Martyrologiums "Zeugen für Christus" (2. Auflage 2000, S. 751f.) ist von einem persönlichen Vorstellig-Werden Dr. Jaegers in Berlin allerdings keine Rede. - Mag sein, dass sich am Ende die Sache anhand von Bistumsarchivalien, Berliner Akten oder Jaegers Terminkalender (7. März - 24. April 1944) aufklären lässt. Was bislang an "Belegen" vorliegt, überzeugt jedenfalls nicht.

Das Gnadengesuch von 1944: Wer hat unterschrieben?

Nach einem frühen Aufsatz in der franziskanischen Zeitschrift "Vita Seraphica" (26. Jahrgang, 1945) erscheint 1952 die erste Biographie des Märtyrers Kilian Kirchhof in Buchform unter dem Titel "Die letzte Hymne". Verfasser ist Kilians Weggefährte und Mitbruder P. Ceslaus Bödefeld (gest. 11.10.1951). Im Geleitwort des Ordens lese ich, Pater Bödefeld habe Pater Kilians letzte Monate - "selbst handelnd und miterleidend mit seinem Freunde" - erlebt (S. 221). Ceslaus Bödefeld ist also ein wichtiger Zeitzeuge. Er berichtet von Hilfsanstrengungen vieler Menschen für Freislers Todeskandidaten Kilian Kirchhoff (S. 186-188). Nur der Name des Ortsbischofs Lorenz Jaeger taucht in seinem Buch gar nicht auf.

Insbesondere nennt P. Ceslaus bereits eine lange Liste von Menschen, die 1944 für ein Gnadengesuch namentlich ihre Unterstützung gezeichnet haben, darunter u.a. Sauerländer Katholiken, Mithäftlinge Kilians, Mitbrüder aus dem Orden, Priester des Bistums Paderborn, ein Prälat aus Berlin und auch jene bei Wikipedia summarisch vermerkten Byzantinologen - nebst anderen Wissenschaftlern. Angeführt wird die später auch ausführlicher in den Veröffentlichungen von Ottokar Mund dargebotene Liste vom Apostolischen Nuntius Cesare Orsenigo und dem Meißener Bischofs-Koadjutor Dr. Heinrich Wienken (beide haben durchaus keine rühmliche Rolle in der NS-Zeit eingenommen). Stattlich fällt die lange Liste aus. Doch es fehlt hier beim Gnadengesuch wieder der Name des zuständigen Ortsbischofs Dr. Lorenz Jaeger, der bei Wikipedia so vorteilhaft als Fürsprecher in Erscheinung tritt.

Um die Verwirrung perfekt zu machen: In einem Festvortrag vom 22. Juli 1983 zur Paderborner Libori-Woche meinte der Franziskaner Dr. Constantin Pohlmann: "Als Kirchhoff zum Tode verurteilt war, kam seine weltweite Berühmtheit in einem Gnadengesuch zum Ausdruck, das - von den namhaftesten Orientalisten und anderen Persönlichkeiten unterzeichnet - durch den Nuntius Orsenigo überreicht wurde. Nur einige seien hier erwähnt: der Nuntius, der Erzbischof von Paderborn, Bischof Heinrich Wienken von Meißen, die Professoren ...". Der Vortrag mit dieser - quellenmäßig nirgends belegten - Mitteilung ist zwar in mindestens zwei Büchern (1988 und 1996) abgedruckt worden, doch selbst in der kirchenamtlichen Standardliteratur wird sonst nirgendwo behauptet, der Paderborner Erzbischof gehöre zu den namentlichen Unterzeichnern des Gnadengesuchs! Man kann in gutem Glauben vieles vermuten oder erwarten. Das hilft freilich bei historischen Fragen nicht weiter, solange kein entsprechender Beleg vorliegt.

Dr. Lorenz Jaeger - ein Bischof mit Militärorden an der Soutane

Die bereits genannte, 1995 durch die Amtskirche herausgegebene Jaeger-Biographie von Heribert Gruß musste in höchstem Maße eine apologetische Aufgabenstellung meistern. Erzbischof Jaegers berüchtigte Rechtfertigungen (1941/42) von Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion hatten nämlich schon 1972 den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und 1986 erneut das "Jahrbuch Paderborn" beschäftigt.

Der ehemalige Militärpfarrer Dr. Lorenz Jaeger war dadurch in einigen seiner scheußlichen Kriegsvoten als Nachahmer des dem Führer treu ergebenen Armeebischofs Franz Justus Rarkowski vorgeführt worden. Die "amtliche Biographie" von 1995 verzeichnet auf 19 Seiten die vom Bischofs-Biographen Dr. Gruß konsultierten Archive und gedruckten Quellen. Warum fällt in der alles andere als nebensächlichen "Causa Kilian Kirchhoff" der Nachweis so nichtssagend aus? Hier hätte doch die Chance bestanden, die couragierte Fürsprache des westfälischen Kirchenmannes für seine Leute am wichtigsten Beispiel akribisch zu belegen.

1999 nun legte der Paderborner Journalist Wolfgang Stüken sein - nicht in amtskirchlichem Kontext veröffentlichtes - Buch "Hirten unter Hitler - Die Rolle der Paderborner Erzbischöfe Caspar Klein und Lorenz Jaeger in der NS-Zeit" vor. Nach Lektüre dieser Arbeit mag man nicht mehr so recht glauben, Jaegers 1941 erfolgte Bischofsernennung sei nur aufgrund rein zufälliger, befristeter Umstrukturierungen der NS-Kirchenpolitik so problemlos verlaufen (erforderlich war das Unbedenklichkeitsvotum des NS-Staates). Als katholischer Leser dieser bislang letzten Jaeger-Biographie stellt man sich viele Fragen: Wie konnte die Diözese einen solchen Militaristen, der im "Volksbund für das Deutschtum im Ausland" (VDA) Mitglied war und sich auch alsbald mit Militärorden neben seinem Bischofskreuz ablichten ließ, überhaupt zum Bischof wählen? Welcher Gesinnung musste ein Mann wie Jaeger sein, der nun ausgerechnet in Münster, der Stadt Galens, seinen gemäß Konkordat zu leistenden Treueeid noch zu einem regelrechten Fahneneid ausbaute? Durfte man sich darüber wundern, dass dieser Hirte unter "Martyrium" vor allem den Soldatentod in Hitlers Expansionskrieg subsumierte - sich aber gleichzeitig von eigener öffentlicher Zeugenschaft für die von den Faschisten gequälten Menschen wenig anmerken ließ? (In Paderborn und anderen Bistümern trug man vielmehr eigens Sorge dafür, dem Staat gegenüber nicht als Freund der Juden zu erscheinen.)

Warum hatten die widerstrebenden Jungkatholiken aus der NS-Zeit, die der Sauerländer CDU-Kommunalpolitiker Paul Tigges (1922-2006) in drei Büchern zu Wort kommen lässt, so wenig Hoffnung auf Beistand aus der Bischofsstadt Paderborn? (Laut Tigges traute man Erzbischof Jaeger gar eine persönliche Verbindung mit dem Nazi-Priester Dr. Lorenz Pieper zu.) Wurzeln die viel gerühmten Paderborner Verdienste um die Ökumene möglicherweise auch in "deutsch-christlichen" Rechtsaußen-Kontakten aus der NS-Zeit? (Jaeger bekannte sich z.B. in modernistischer Tonart zu einer "germanisch-christlichen Kultur".)

Der planmäßige Mord an sogenannten Geisteskranken fand schwerpunktmäßig gerade auch im Bereich der Diözese Paderborn statt. Warum aber hatten die subversiven Katholiken des Bistums hierzu nur veröffentlichte Texte des Münsterischen Nachbarbischofs Graf Galen zur Verfügung, die sie in geheimen Werkstätten vervielfältigten? (Bäcker Josef Quinke aus Kilian Kirchhoffs Heimat bezahlte für dieses staatsfeindliche Vergehen mit seinem Leben.) Hat Erzbischof Jaeger schließlich auch nur bei einem einzigen der 22 durch Nazi-Gewalt ums Leben gekommenen Priester seines Bistums ein deutliches Wort der Trauer und Anklage auf der Kanzel vorgetragen?

Eine Art kirchenamtliches Gegengutachten zu Wolfgang Stükens unbequemem Buch von 1999 liegt m.W. bis heute noch nicht vor. Da kann man den Geschwistern bei der Kommission für Zeitgeschichte nur sagen: "Totschweigen ist auch (k)eine Antwort!"

"Gegen eine Mauer bischöflichen Schweigens"

Staunen muss man auf ganzer Linie über die deutschen Oberhirten im "Dritten Reich". Der Zentrums-Katholizismus wird kaltgestellt. Die Bischöfe betrachten das nicht als ihre Sache. Die drei prominenten Katholiken Erich Klausener, Adalbert Probst und Fritz Gerlich werden 1934 von den Nazis ermordet. Die Bischöfe schweigen. Katholische Verbände werden am Fließband verboten, und auch die rein kirchliche Jugendarbeit wird Jahr für Jahr mit schärferen Repressionen bedacht.

Solange die bischöflichen Thronsitze noch gerade stehen, muss man sich um die eigentliche Heilsanstalt offenbar nicht ängstigen. Das Konkordat ist - für jedermann offensichtlich - nur noch Makulatur. Die Bischöfe aber erledigen in der Regel sogar ihre minimalste Hausaufgabe, die Verteidigung kirchlicher Rechte, nur halbherzig. Hitler lässt polnische und andere Geistliche der katholischen Kirche im Gebiet des "Warthegaus" zu Hundertschaften quälen oder abschlachten. Die deutsch-katholischen Bischöfe predigen derweil ab 1939 ihren Gläubigen die treu-deutsche Kriegsgefolgschaft (hier ganz sicher ausgenommen der ehrenwerte Konrad von Preysing). Unverdrossen versuchen diese heldenhaften Nachfolger der Apostel, im kirchlichen Bereich irgendetwas "zu retten, was zu retten ist". Die Angelegenheiten der vom NS-Staat zunehmend drangsalierten Orden gehören nicht unbedingt dazu ...

An dieser Stelle angelangt, zeigt sich nun 1941 ein Lichtblick. Es wird ein "Ausschuss für Ordensangelegenheiten" konstituiert, an dem vor allem die Bischöfe Konrad von Preysing (Berlin) und Johannes B. Dietz (Fulda), die Jesuiten Augustinus Rösch und Lothar König, die Dominikaner Laurentius Siemer und Odilo Braun sowie der "Laie" Georg Angermaier beteiligt sind. In diesem konspirativ arbeitenden Kreis, der reihum die Bischöfe zu bekehren versucht, wird über die rein innerkirchlichen Interessen hinaus endlich die Verteidigung der Menschenrechte als dringende Bekenntnisfrage erkannt. Zum Nachweis der NS-Verbrechen an Juden und anderen legt man eine planmäßige Dokumentation an. Die Forderungen: Die Bischöfe müssen endlich öffentlich einen für jedermann verständlichen Klartext reden (statt im Verborgenen nutzlose Eingaben zu machen); sie müssen einklagen statt bitten; sie müssen jegliche Kooperation mit dem Unrechtsregime einstellen; sie müssen explizit zur Judenverfolgung Stellung beziehen. Wenn einer von ihnen hierbei ins Gefängnis käme, so sagt der Dominikaner Odilo Braun ermutigend zu Bischof von Galen, dann wäre man "schon einen Schritt vorwärts".

1943 scheint der Ausschuss mit einem geplanten Hirtenbrief über die Zehn Gebote - "Mord bleibt Mord" - endlich einen greifbaren Erfolg zu erzielen. Der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger gerät jedoch nach Bedenken (Ausnutzen durch "Feindpropaganda") ins Wanken: "Mir will ebenfalls scheinen, dass in dieser Kriegszeit unser Volk etwas anderes als 'Wort von Fulda' erwartet." So ist ihm also ein vermeintlicher "Volkswille" zur Richtschnur geworden. Passend dazu predigt er dann auf der letzten Fuldaer Bischofskonferenz vor Kriegsende vom Dienst "am deutschen Volk" und von der bischöflichen Sorge für "unsere deutschen Brüder und Schwestern, die mit uns eines Blutes sind"!

Am Ende kommt der Hirtenbrief über die Zehn Gebote - trotz der profilierten "Arier-Fürsorge" eines Lorenz Jaeger - doch, allerdings mit denkwürdigen Streichungen (Galater-Zitat: "Es gibt nicht mehr Juden und Griechen") und Zusätzen (Kriegsertüchtigung!), höchst unterschiedlichen Bistumsvarianten und eben - wie Bischof Preysing klagt - alles in allem "chemisch gereinigt". Die Klartextformel "Mord bleibt Mord" ist nun moraltheologisch verklausuliert.

Der weithin geheim agierende "Ausschuss für Ordensangelegenheiten" war eine wichtige Brücke hin zu den Widerstandskreisen und ermöglichte auch ökumenische Wunder (so etwa die Beratungen Alfred Delps SJ und des Bischofs Konrad v. Preysing mit Helmuth James Graf von Moltke). Die Geschichte dieses Ausschusses liest sich spannender als ein Krimi und böte Stoff für großes Kino. Geschrieben hat diese Geschichte - nach wissenschaftlicher Knochenarbeit - die katholische Kirchenhistorikerin Antonia Leugers. Ihr bahnbrechendes Buch, das mit der üblichen kirchlichen Hofgeschichtsschreibung nichts gemeinsam hat, trägt den Titel "Gegen eine Mauer bischöflichen Schweigens" (1996).

Nach der Lektüre möchte man den Breslauer Kardinal Adolf Bertram, der bis zum bitteren Ende devote Liebesbriefe an Adolf Hitler geschickt hat, am liebsten postum exkommuniziert wissen. Doch ein Abschieben der Schuld auf diesen unbelehrbar Starrsinnigen geht nicht an. Zu offenkundig sind die von Antonia Leugers ermöglichten Einblicke in den bischöflichen Kindergarten, der sich mitten im NS-Terror mit Eitelkeiten und Rangfragen beschäftigt. Gewusst haben alle sehr, sehr viel! Keineswegs machen die Bischöfe aus dem Milieu der kleinen Leute, die eine unglaubliche Karriere hinter sich haben, die bessere Figur. Die einzige wirklich überzeugende Bischofsgestalt, Konrad von Preysing, ist adelig und hat den eigenen geistigen Weg zunächst einmal außerhalb des binnenkirchlichen Systems beschritten. Eine Aufklärung über das bischöfliche Trauerspiel und den ganzen Verrat an Laien und einfachen Priestern unterblieb nach 1945. Jetzt übten sich die Besten in Stillschweigen. Konflikte offen benennen und Kritik am Kirchenleitungssystem äußern, das war keine Sache des katholischen Selbstlobkollektivs.

Und heute?

Man könnte aus der Geschichte lernen. Die Frage ist nur, ob man es auch tut. Wer immer noch behauptet, die Hirten von damals hätten den Führer Adolf Hitler legitimer Weise als "rechtmäßige Obrigkeit" gepredigt, welcher Gehorsam zu leisten sei, der will natürlich nicht lernen. Wer an den horrenden Staatsdotationen der Bischöfe heute festhält und obendrein nicht mit der Möglichkeit rechnet, dass ein Bäcker oder eine Modeverkäuferin besser Zeugnis gibt als ein geweihter Oberhirte, will ebenfalls nicht lernen.

Das Drama der deutsch-katholischen Bischofskonferenz 1933-1945ff basiert auf systemischen Zusammenhängen, die der katholische Laientheologe Ernst Michel schon 1923 als Irrweg einer "Religion der Kirche" (bzw. der "Kirche als Religion") beschrieben hat. Wenn Franziskus, Bischof von Rom, in seiner letzten Enzyklika den analytisch sehr bedeutsamen Begriff der "spirituellen Verweltlichung" für die Anhänger dieser Ideologie benutzt, so folgt er im Grunde einer ähnlichen Fährte: Die Kirche (bzw. gar die Kirchenleitung) ist in dieser "Religion" zum Selbstzweck geworden.

Unter solchem Vorzeichen findet man dann gar nichts Anrüchiges mehr am feudalistischen Prunk und an selbstverliebten Kleiderfetischen von "Fürstbischöfen". (In der Alten Kirche gab es u.a. den Vorschlag, die Bischöfe dem Armenfürsorge-Satz entsprechend zu besolden!) Die "Kirche als Religion" ist das korrupteste Phänomen, das das verfasste "Christentum" hervorgebracht hat: Und sollte auch die Welt untergehen, in dieser Ideologie verteidigt man erbittert das "wahre Dogma" des Lehramtes, das einzig "wahre Sakrament", die unveränderliche "wahre Liturgie" und natürlich die "wahre Ästhetik" (eines lächerlichen Tands). Aber all das hat schon längst keinen Inhalt mehr, der das eigentlich Christliche berührt: Keine Spur von einer Glaubenserfahrung, die das Menschliche so ernst nimmt, dass die "Menschwerdung" ihr bedeutsamstes Zentrum bildet. Die Schändung einer geweihten Hostie gilt nun als schlimmer als die Durchbohrung eines Menschenleibes aus Fleisch und Blut. Das "Für alle" soll in der "Kirche als Religion" allenfalls noch in einer aufgepfropften "Soziallehre" und über das Engagement von "Laien" mit bedacht werden.

Sehr leicht ließe sich übrigens aufzeigen, dass am Ende die "Hardliner der reinen Lehre" und die Anhänger eines seichten, angepassten "Kulturchristentums" mehr verbindet, als sie wahrhaben wollen. Einen besonderen Mut zum Widerstand gegen die Welt der Kreuzes-Aufrichter findet man in beiden Richtungen selten.

Die bittere Wahrheit ist, dass ausgerechnet ein nennenswerter deutscher Flügel in der römisch-katholischen Weltkirche das Programm "Kirche als Religion" in jüngster Vergangenheit fast wieder ganz durchgesetzt hätte. Der oberste Glaubenshüter, vom deutschen Papst kurz vor der Abdankung ernannt, stammt noch immer aus diesem Flügel, und man rätselt, wie Jesuiten-Klugheit die gegensätzlichsten Paradigmen - ohne riesige Energieverluste - zusammenreimen will. Dieser - z.T. eben sehr deutsche - Flügel blockiert schon die Aufbrüche in kleinsten Fragen, so dass etwa die theologisch und pastoral längst geklärte Frage der Teilnahme von "wiederverheirateten Geschiedenen" an der Eucharistie zum Riesenthema aufgebauscht wird (was in dieser Form z.B. keinem Bischof der Ostkirche einleuchtet). So kann man sich natürlich auch die Zeit vertreiben ...

Die Frage ist nur, wie eine Kirche mit solchen "Problemen" wirklich zum greifbaren Anwalt der geschundenen Menschen werden soll. Ein Wirtschaftssystem, das über Leichen geht, die völkerrechtswidrige Re-Installation des Programms Krieg und die ökologischen Überlebensfragen auf dem Planeten zeigen den Ernstfall im globalen Maßstab an. Eine Weltkirche, die sich "katholisch" (auf das Ganze schauend) nennt, sollte da auch aufgrund der historischen Erfahrungen in Deutschland keinen Raum mehr bieten für die Quacksalberei eines narzisstischen Kuriositätenkabinetts.