Erben, Kapitalrendite und Superverdiener

Wie mit der Ungleichheit der Vermögen und der Einkommen umgehen?

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In Frankreich stellte heute Premierminister Valls nochmals seinen Sparplan vor, der den Staatshaushalt sanieren und die Wirtschaft in Gang bringen sollte, die Kritik beharrte darauf, dass zu viel Unpräzises im Plan stecke, der obendrein die soziale Balance gefährde. Außenminister Fabius sekundierte mit dem Vorschlag, Regelungen zur Sonntagsarbeit etwas weniger streng zu gestalten, um weiter Einnahmen aus dem Tourismus zu garantieren. Bemerkenswert ist, dass von einem Thema nicht mehr die Rede ist: die Reichensteuer, mit der Hollande manche in Angst und Schrecken versetzte.

Es ist still geworden um die Besteuerung der Top-Verdiener, die sogar vom Vorgänger-Präsidenten Sarkozy - in einer milderen Version - einmal als Möglichkeit vorgeschlagen wurde, um das Defizit zu senken. Einmal dahingestellt, inwieweit die Steuer tatsächlich einen wichtigen Beitrag zum Abbau eines enormen Staatsdefizits liefern kann, ist doch die Tendenz auffällig, dass das Thema höhere Besteuerung von Bestverdienern bzw. die Vermögenssteuer aus relevanten Debatten, also solchen, wo es ernsthaft darum geht, sie einzuführen, bald wieder verschwindet. Das Thema hat Tabuqualität, Regierungspolitiker lassen die Finger davon.

Politische Debatten folgen Bahnen, die von herrschenden wirtschaftlichen und politischen Interessenskreisen vorgegeben werden. Grob vereinfacht gesagt: Wenn Unternehmensführer nur laut und oft genug betonen, dass die Wirtschaft sich momentan in einer schwachen und fragilen Wachstumsphase befindet, dann werden in der Regel auch Gewerkschafter leiser und schwächen ihre Forderungen ab. Der US-Schriftsteller Upton Sinclair umschrieb das Phänomen so: "Es ist schwierig einen Mann dazu zu bringen etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, es nicht zu verstehen."

"Keine Heuchelei gilt als unangemessen, als zu groß, wenn ökomomische und finanziellen Eliten sie dazu benötigten, um ihre Interessen zu verteidigen", beschreibt Thomas Piketty Macht und Willen zur Durchsetzung der Deutungshoheit der Wirtschaftselite. Nun gehört der französische Ökonom Piketty selbst zu einer Elite. Sein Buch "Kapital im 21. Jahrhundert" (Einführung in Englisch hier) ist gerade in den USA erschienen und beschäftigt Wirtschaftsnobelpreisträger wie Paul Krugman oder Robert M. Solow, die sich ausführlich mit seinen Thesen auseinandersetzen.

Die progressive Vermögenssteuer als Ausweg aus der Ungleichheit

Die Frage ist eben nur, wie weit die Auseinandersetzung tatsächlich führt, welche Kreise sie erreicht. Denn Piketti, der sich mit Vermögens- und Einkommensungleichheit befasst, kommt darin zu dem interessanten Schluss, dass die progressive Besteuerung von Vermögen ein wichtiger Schritt wäre, um eine Ausuferung der Ungleichheit zu beschränken.

Geht es nach dem verstorbenen Historiker Tony Judt, so steht mit der Ungleichheit nicht nur eine finanzielle Kluft zur Debatte, sondern eine ganze Menge mehr: "Kindersterblichkeit, Lebenserwartung, Zahl der Gefängnisinsassen, psychische Erkrankungen, Arbeitslosigkeit, Fettleibigkeit, Mangelernährung, Teenagerschwangerschaften, Drogenkonsum, wirtschaftliche Unsicherheit, Privatverschuldung und Angst." 1

Ob es das Buch schafft, die Vermögenssteuer mit neuer Wucht in die Debatte zu bringen, ist wahrscheinlich eine rhetorische Frage. Bislang hat sich noch kein Politiker dazu geäußert.

Kapitalerträge im Vorteil

Pikettis Grundannahmen sind keine Überraschung: "The Rich get richer, the poor get poorer" ist eins der Leitmotive. Westliche Gesellschaften bewegen sich wieder in eine Richtung, in der das vererbte Vermögen eine beinahe so große Rolle spielt wie Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts - der französisch Belle Epoche genannten Zeit, in der reiche Familiendynastien und bittere Armut das Bild der Gesellschaft bestimmten. Die weniger Begüterten hatten kaum eine Chance zur Klasse der Reichen aufzusteigen, weil das vererbte Vermögen zu groß war, um den Unterschied mit eigener Leistung aufzuholen, außer man heiratete in die begüterte Schicht.

Diese ausgeprägte Ungleichheit sei mit den beiden Weltkriegen und in der Zeit danach bis in die 1970er Jahre zurückgegangen, so Picketti, und vergrößerte sich seit den 1980er Jahren wieder. Bemerkenswert ist, dass er für die weniger stark ausgeprägte Ungleichheit in den guten Jahren der Nachkriegszeit nicht den Wohlfahrtsstaat und dessen Umverteilungspolitik verantwortlich macht, sondern einerseits den Verlust von Vermögen durch die Kriege und andererseits die Möglichkeiten, die der Neustart der Wirtschaft nach dem Krieg gegeben hat, allen voran das große Wirtschaftswachstum.

Nun verhalte es sich mit dem Wirtschaftswachstum aber so, dass hauptsächlich zwei Gruppen davon profitieren: diejenigen, die Vermögen angesammelt haben (und erben) und die Spitzenverdiener.

Als Grund dafür gibt Piketti an, dass die Kapitalrendite über dem Wachstum liegt, was dazu führt, dass die Vermögen wachsen und die normalen Einkommen dem finanziellen Zuwachs der Vermögen nicht hinterkommen, die Kluft vergrößert sich. Piketti stellt dazu fest, dass die überproportianale Zunahme von Vermögen nicht nur in den letzten Jahrzehnten beobachtet wurde, sondern schon seit dem vergangenen Jahrhundert. Zum Beleg dafür hat Piketti zusammen mit Anthony Atkinson und Emmanuel Saez eine große Datenbank angelegt, die das Ganze mit empirischen Daten - Steuerangaben - stützt, die teilweise bis ins 18.Jahrhundert zurückreichen.

Die Besonderheit der Spitzenverdiener besteht darin, dass sie ihre - in den USA astronomisch - hohen Gehälter selbst bestimmen kann.