"Das ist ein Verstoß gegen alle Standards"

Zur Rolle der Militärbeobachter in der Ukraine

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Der Skandal ist groß, seit Ende vergangener Woche bekannt wurde, dass Kiew-kritische Aufständische sogenannte "OSZE-Beobachter" festgesetzt haben. Denn nicht nur bei den strittigen Begrifflichkeiten in dieser Sache scheint einiges im Argen zu liegen. Wer sind diese "Beobachter" - und was ist ihr Auftrag?

Die Geiseln auf der Pressekonferenz

Während zunächst in den Medien der Eindruck erweckt wurde, die Gefangenen seien offizielle Inspektoren der OSZE, sprach eine ZDF-Korrespondentin schon in einem ersten Bericht kryptisch von einer "Gruppe von Militärbeobachtern, die im weitesten Sinne der OSZE untersteht". Dieses "im weitesten Sinne" präzisierte dann der Vizechef des OSZE-Krisenpräventions-Zentrums, Claus Neukirch, am Freitag im Interview gegenüber dem ORF:

Ich muss aber auch sagen, dass es sich genau genommen nicht um Mitarbeiter der OSZE handelt, sondern es sind Militärbeobachter, die bilateral dort unter einem OSZE-Dokument tätig sind. Wir haben parallel in der Ukraine auch eine OSZE-Mission, die schon über 125 zivile Beobachter im Land hat, auch in dieser Region, und diese Leute sind glücklicherweise nicht betroffen.

Bei den Gefangenen handle es sich um eine "bilaterale Mission unter Führung des Zentrums für Verifikationsaufgaben der deutschen Bundeswehr". Diese in der Öffentlichkeit bislang wenig bekannte Institution bot nun wohl auch für Verteidigungsministerin von der Leyen Anlass zu einigen Fragen. Am Montag jedenfalls besuchte sie dieses "Zentrum für Verifikationsaufgaben" im nordrhein-westfälischen Geilenkirchen und ließ sich dort, laut offizieller Mitteilung, "vom Kommandeur, Brigadegeneral Jürgen Beyer, in die Besonderheiten der Dienststelle einweisen".

Zentrum für Verifikationsaufgaben

Offiziell stellt das Zentrum "nach den Vorgaben des Auswärtigen Amtes und unter Führung des Bundesministeriums der Verteidigung die Umsetzung der Rüstungskontrollverträge sicher, die die Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten abgeschlossen hat". Rund 200 Soldaten inspizieren dazu Militäranlagen der Vertragspartner und begleiten ausländische Delegationen, wenn diese zu einer Inspektion nach Deutschland kommen.

Das Zentrum strebt dabei neuerdings eine "Internationalisierung" an, einen engen Verbund mit befreundeten Staaten. Neben der Integration von Fachpersonal sei dazu auch eine Übernahme von Dienstleistungen für andere Länder vorgesehen. Man wolle "ein internationales Verifikationszentrum schaffen, das von interessierten Partnern gemeinsam betrieben wird, oder (…) unter dem Dach einer internationalen Organisation arbeitet und aus nationalen Entscheidungsprozessen herausgelöst ist".

Nach außen hält sich die Regierung mit Details allerdings weiterhin bedeckt (Sollten die Militärbeobachter provozieren?). Presseanfragen an das Auswärtige Amt zu Sinn und Zweck der Mission der nun gefangen genommenen Offiziere blieben laut Spiegel Online zunächst unbeantwortet. Und so schießen die Spekulationen ins Kraut. Handelt es sich schlicht um Militärberater, die der ukrainischen Übergangsregierung bei der Aufstandsbekämpfung im Osten des Landes beratend zur Seite stehen sollen?

Fest steht, dass die Mission nicht im Geheimen stattfand. Russische Medien etwa berichteten schon am Dienstag vergangener Woche von der Ankunft der Gruppe in der Donetsk-Region und zitierten dabei den Leiter der Mission, Oberst Axel Schneider, mit den Worten:

Wir sind hier auf Einladung der Regierung des Landes und beobachten das Verhalten der ukrainischen Streitkräfte in der Region, sowie deren Reaktion auf die Entwicklungen.

"Den entscheidenden Punkt kann ich nicht herzitieren"

Einen Tag später gab Oberst Schneider sogar dem Radio des Bayerischen Rundfunks ein Interview, bei dem ihm folgende hellsichtige Frage gestellt wurde:

Sie sind jetzt als Rüstungskontrolleur für die Bundesregierung dort. (…) Warum besteht eigentlich Ihre Mission aus Soldaten der Bundeswehr und nicht aus hauptberuflichen Diplomaten? Sie haben ja doch einen diplomatischen Auftrag. Warum schickt man da Soldaten hin?

Der Oberst antwortete darauf nur ausweichend:

Also, die Entstehungsgeschichte und den entscheidenden Punkt, an welcher Stelle man das in die Hände der Bundeswehr gegeben hat, den kann ich jetzt so schnell nicht herzitieren. Ich sehe nur, dass wir als Soldaten eine diplomatische Funktion hier übernommen haben, das schon seit 1991 tun, und aus den Erfahrungen, den Dialogen stelle ich fest, dass das hier auch in guten Händen ist. Es ist aber so, dass wir alles sehr eng mit unserem Auswärtigen Amt koordinieren.

Auf der Pressekonferenz am Sonntag in Slawjansk, bei der die Gefangenen vom amtierenden Bürgermeister stolz präsentiert wurde, äußerte sich Oberst Schneider dann in anderem Sinne so "diplomatisch", dass die Tagesschau offenbar lieber keinen O-Ton sendete. Er sei eigentlich kein Gefangener, so Schneider, sondern "zu Gast" beim Bürgermeister, der sie gut behandle und dessen Wort im Übrigen "ein Wort der Ehre" sei. Auch hätte er viele Gespräche mit den Wachen geführt und die Armut der Leute hier "breche ihm das Herz".

Außenminister Steinmeier reagierte schwer irritiert:

Die heute erfolgte öffentliche Zurschaustellung der OSZE-Beobachter und der ukrainischen Sicherheitskräfte als Gefangene ist abstoßend und verletzt in eklatanter Weise die Würde der Betroffenen. Das ist ein Verstoß gegen jede Regel des Umgangs und alle Standards, die gerade für spannungsgeladene Situationen wie diese gemacht sind.