"Stille SMS": Behörden versenden immer mehr heimliche Ortungsimpulse

Die Ausforschung von Mobiltelefonen wird sowohl von Kriminalämtern als auch den Inlandsgeheimdiensten genutzt. Nicht immer wird die Maßnahme protokolliert, häufig fehlen Angaben zur Anzahl Betroffener

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Mehrere Bundesländer haben Details zum Versand sogenannter "Stiller SMS" vorgelegt, mit denen Mobiltelefone von Verdächtigen über eine anschließende Funkzellenabfrage geortet werden. Entsprechende Angaben hatten entweder Abgeordnete von Linkspartei und Piraten oder Lokalzeitungen erfragt. Daraus geht hervor, dass bei einigen Behörden ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist, andere aber signifikant häufiger von der Fahndungsmethode Gebrauch machen. So hatte etwa die Berliner Innenbehörde im vergangenen Jahr rund 250.000 heimliche Kurznachrichten verschickt. Im Jahr zuvor waren es noch 145.000.

Laut einem Zeitungsbericht werden auch in Mecklenburg-Vorpommern immer öfter "Stille SMS" versandt. 2013 sei die Maßnahme in rund 23.000 Fällen eingesetzt worden, im Vergleich zum Vorjahr eine Verdoppelung. Es habe sich um 322 Ermittlungsverfahren gehandelt, 2012 waren es noch 221. Die Zahl der Verdächtigen wurde jedoch nicht mitgeteilt. Auch ob der Verfassungsschutz heimliche Ortungsimpulse versendet, bleibt offen.

Im Herbst hatte der Hamburger Senat Angaben zum Versand von "Stillen SMS" gemacht, wonach ebenfalls ein Anstieg zu verzeichnen war. Details zu den betroffenen Mobilfunkteilnehmern werden lediglich für den Verfassungsschutz geliefert: 2012 wurden demnach 52 "Stille SMS" an 14 Verdächtige geschickt. Bis Ende August 2013 war die Zahl bereits rasant gestiegen. Wie viele Straftaten auf diese Weise ermittelt oder gar verhindert worden seien, wollte der Senat nicht beantworten: Die benötigten Daten würden "weder bei der Polizei noch bei der Staatsanwaltschaft gesondert statistisch erfasst".

Einsatz gegen "Rauschgiftkriminalität" und "Internetkriminalität"

Die Landtagsabgeordnete Katharina König hatte Zahlen zu Thüringen abgefragt. Demnach nahmen die heimlich versandten Kurznachrichten im Vergleich zum Vorjahr leicht ab. Ob auch die Zahl der ausgeforschten Betroffenen zurückging, wird nicht mitgeteilt. Staatsanwaltschaften nutzten die Maßnahme zur Verfolgung von "Rauschgiftkriminalität" sowie gegen "kriminelle Rockerbanden". Auch das Landesamt für Verfassungsschutz dürfe "Stille SMS" verschicken, Zahlen werden aber nicht genannt. Aus Sachsen-Anhalt wird mit rund 8.700 versendeten "Stiller SMS" ebenfalls ein leichter Rückgang gemeldet. Auch hier wird aber nicht nach der Anzahl der Verdächtigen aufgeschlüsselt. Polizisten nutzten die Maßnahme für Ermittlungen auch zu "Internetkriminalität".

Das Land Niedersachsen nutzt für das Versenden der Ortungsimpulse ein privates Unternehmen (Firma spioniert mit "stillen SMS"). Damals hieß es, es sei unmöglich, die Zahl versendeter Mitteilungen anzugeben. Zuerst müsse die Software neu programmiert werden, wofür die Firma 80.000 Euro verlangte. In Hamburg wird für den Versand eine Software des Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste in Nordrhein-Westfalen genutzt, wobei es sich womöglich um den gleichen Hersteller handelt: Die Software wird laut dem Senat von einem privaten Anbieter bereitgestellt, der vom Bundesinnenministerium in einer Rahmenvereinbarung unter Vertrag genommen wurde. Die Hamburger Landesregierung schloss 2004 eine Vereinbarung über eine "vorläufige Nutzung", später folgte eine dauerhafte Lizenz (Bundesinnenministerium organisiert Software für "Stille SMS").

Auch auf Bundesebene werden immer häufiger "Ortungsimpulse" verschickt. Verfassungsschutz, Bundespolizei, Bundeskriminalamt sowie die Behörden der Zollverwaltung haben im ersten Halbjahr 2013 bereits so viele "Stille SMS" verschickt wie im gesamten Jahr 2012. Neuere Zahlen liegen derzeit nicht vor, Angaben zum Bundesnachrichtendienst sind als geheim eingestuft. Auf wie viele Personen sich die Maßnahmen verteilen und welche Software genutzt wird, will die Bundesregierung ebenfalls nicht öffentlich mitteilen.

Nutzung des Mobiltelefons als Ortungswanze

Der Einsatz von "Stillen SMS" ist eigentlich nur erlaubt, wenn andere Ermittlungen nicht möglich sind oder "erheblich erschwert" wären. Die auffällige Zunahme lässt aber darauf schließen, dass mitgeführte Mobiltelefone durch Behörden immer häufiger als Ortungswanzen missbraucht werden. Dabei ist die juristische Grundlage umstritten. Polizeibehörden behaupten, es handele sich bei "Stillen SMS" nicht um eine Nachricht mit "kommunikativen Inhalten", also sei der Schutzbereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nicht tangiert.

Demgegenüber weisen Anwälte und Datenschützer darauf hin, dass eine Telekommunikationsüberwachung nur als "passive Tätigkeit" angewandt werden darf. Das Erzeugen eines Kommunikationsvorganges mittels "stiller SMS" sei aber ein aktiver Vorgang. Auch Juristen sind skeptisch: Die derart erlangten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile stellten nach Einschätzung des Juniorprofessors an der Freien Universität Tobias Singelnstein einen erheblichen Grundrechtseingriff dar ("Die 'stille SMS' ist nicht durch die Strafprozessordnung gedeckt").