Inflation versus Deflation

Die asymmetrische Beurteilung der Preisstabilität

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In einem Artikel im gedruckten Spiegel vom 19. April ("Die letzte Waffe", S. 60-63) werden die deflationären Tendenzen in Europa mit Verweis auf das neunzehnte Jahrhundert verharmlost (in der Inhaltsübersicht auf Seite 6 wird der Beitrag mit den Worten "Warum die Furcht vor der Deflation übertrieben ist" angekündigt). Das ist quasi das Kontrastprogramm zu unserer Einschätzung, wie wir sie am letzten Freitag im Beitrag "Unser Geldsystem XII - Der Goldstandard und der Mythos von der absoluten Preisstabilität" abgegeben haben, dass nämlich das 19. Jahrhundert ein schlechter Kronzeuge für die angeblich segensreiche oder zumindest unproblematische Wirkung von Deflation ist.

Man muss sich einmal zurückerinnern, mit welchen Argumenten in den siebziger Jahren niedrige Inflationsraten (anstelle von hohen) als absolut unabdingbar für eine effiziente wirtschaftliche Entwicklung verkauft wurden. Und dann muss man sich ansehen, wie diese Argumente heute bei der Beurteilung von zu niedrigen Inflationsraten bzw. Deflationsgefahr vollkommen ausgeblendet bleiben. An dieser Asymmetrie kann man sehr schön ablesen, dass es schon damals in den siebziger Jahren nicht wirklich um Preisstabilität als wichtigem Baustein für größere Planungssicherheit von Investoren ging, sondern vor allem darum, die Gewerkschaften klein zu halten und die Macht der Notenbanken zu stärken.

Stellen wir uns vor, die Inflationsrate in Europa würde um genauso viel nach oben von dem 1,9-Prozent-Ziel der EZB abweichen, wie sie derzeit (bei 0,5 Prozent) nach unten abweicht. Dann hätten wir rein rechnerisch Inflationsraten von 3,3 Prozent. Man kann ganz sicher sein, dass in den Gazetten das Ende der Welt ausgerufen würde. Was würden sie anführen, um eine solche gravierende Fehlentwicklung anzuprangern?

Sie würden, so wie das der Sachverständigenrat in den siebziger Jahren getan hat, darauf verweisen, dass jede Abweichung vom Inflationsziel den Keim einer Hyperinflation in sich trage. Denn eine solche Abweichung zeige, dass die Notenbank das einzige Ziel, das man ihr in Europa gegeben hat, nicht mehr ernst nehme und folglich schnell alle Stricke reißen könnten. Sie würden anführen, dass auch nur leicht höhere Inflationsraten zu einer Verzerrung der Allokation führen können, weil Verschuldung begünstigt werde und damit möglicherweise neue Blasen, etwa in der Bauwirtschaft, drohten. Sie würden zu bedenken geben, dass der böse Staat nichts anderes im Sinn habe, als mit Hilfe der Inflation die Sparer um ihre verdienten Realzinsen zu bringen und sich selbst zu entschulden. Als Grund für die höheren Inflationsraten würden sie ausmachen, dass die Gewerkschaften über die Stränge schlügen und natürlich auf diesem Wege, durch die Hintertür gewissermaßen, den Sozialismus einführen wollten.

All das wüssten die medialen Meinungsmacher und ihre wissenschaftlichen Steigbügelhalter und sie würden eine Kampagne gegen die erhöhten Inflationsraten fahren, die sich gewaschen hat. Nur im umgekehrten Fall, bei zu niedrigen Inflationsraten, da greifen sie auf die umgekehrten Argumente nicht zurück, die da lauten: Zu niedrige Inflationsraten können den Keim der Deflation in sich tragen (gegen die die Geldpolitik übrigens so gut wie machtlos ist im Gegensatz zu erhöhter Inflation dank der Null-Grenze für Nominalzinsen); die Allokation könnte verzerrt sein, weil das Sparen begünstigt wird und es z.B. zu spekulativen Preisblasen bei Edelmetallen wie Gold kommt; der böse Staat bzw. die böse Geldpolitik bringt die armen Sparer um einigermaßen anständige Nominalzinsen (man sieht an dieser Stelle übrigens sehr schön, dass die Sparer immer hofiert und als die Packesel der Wirtschaft dargestellt werden, egal wie sich das Preisniveau entwickelt!). Und für all das könnte man auch einen Grund angeben, nämlich dass die Arbeitgeberseite über die Stränge schlägt und auf diesem Wege, durch die Hintertür gewissermaßen, den Raubtierkapitalismus einführen will.

Doch bis auf das Argument mit den armen Sparern hört man derlei sozusagen symmetrische Klage nicht. Stattdessen holen unsere Medienvertreter lieber ein paar historische Falschmeldungen wie die oben genannte aus dem Keller, weil man damit ablenken kann vom Versagen der Notenbank und von der politisch herbeigeführten eklatanten Schwäche der Gewerkschaften und der spiegelbildlich damit verbundenen Stärke der Kapitaleigentümer.

Der Text wurde von der Website flassberg-economics übernommen. Heiner Flassbeck will hier versuchen, "der Volkswirtschaftslehre eine rationalere Grundlage zu geben".

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