2 plus 1 = 1: Coda für Frau Monssen-Engberding

Get Carter

Der Mann, der Jack Carter erfand - Teil 3

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Teil 2: Die Welt als Filmrolle

Heute breche ich ein Gelübde. Eigentlich wollte ich die famose, von Frau Elke Monssen-Engberding geleitete Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) nur noch mit schweigender Verachtung strafen, weil man sich sonst vorkommt wie der Hund der bellt, während die Karawane weiterzieht. Hier mache ich jetzt eine Ausnahme, weil manches schlicht zu krass ist, was da abläuft. Ich entschuldige mich auch gleich dafür, wenn mir der eine oder andere Satz aus der Tastatur rutschen sollte, der zu pathetisch klingt. Das Pathos lässt sich schwer vermeiden, weil die Fallhöhe so groß ist. Zum einen hat man eine zunehmend abstrus und lächerlich wirkende Behörde, die im autoritär geprägten Deutschland der 1950er gegründet wurde, um Sachen zu verbieten, seitdem unverdrossen diesen ihren Auftrag erfüllt und längst in ein Paralleluniversum abgedriftet ist, in dem die handelnden Personen so tun, als hätten wir seit Konrad Adenauer nichts dazugelernt. Zum anderen schränkt diese Behörde unsere vom Grundgesetz garantierten Rechte ein, weil es da um Zensur geht, auch wenn das natürlich nicht so heißt, denn: "Eine Zensur findet nicht statt" (GG Art. 5 Abs. 1).

Stets um die Erschließung neuer Leserschichten bemüht, möchte ich diesen Artikel den Damen und Herren widmen, denen sich hier die Gelegenheit eröffnet, etwas gegen meine wachsende Politikerverdrossenheit zu unternehmen. Frau Manuela Schwesig könnte etwas tun, Herr Heiko Maas in seiner Funktion als Justizminister und Herr Thomas de Maizière, kraft seines Amtes Hüter der Verfassung. Oder Herr Joachim Gauck, was ist mit dem? Der Bundespräsident hatte die Freiheit schon zu seinem Lebensthema gemacht, als sein Vorgänger noch Lernfortschritte nachweisen wollte. Und die Opposition, hat die mehr als schöne Worte zu bieten? Können mir Herr Toni Hofreiter, Frau Kathrin Göring-Eckart oder Herr Gregor Gysi weiterhelfen? Eine verwaiste Wählerstimme wartet hier auf Abholung. Bitte nur ernst gemeinte Zuschriften, kein Talkshow- und Politikergelaber.

Seniorenschutz

Das ist nun also der unerfreuliche Anhang zum Artikel über Ted Lewis, den ich mir gern erspart hätte. Einleitend will ich ihn wenigstens für eine weitere Buchempfehlung nutzen. Wer Krimis der etwas anderen Art mag, solche mit einer komplizierteren Erzählstruktur und einem Ende abseits der Norm, lese London Blues von Anthony Frewin, dem langjährigen Assistenten von Stanley Kubrick. Die Geschichte fängt damit an, dass jemand für 15 Pfund eine VHS-Kassette mit der Raubkopie einer angeblich vollständigen Fassung von Get Carter ("uncut") kauft. Als er an die Stelle kommt, wo Jack den Pornofilm mit seiner Nichte/Tochter sieht ist plötzlich kein Bild mehr da. Beim Vorspulen stößt der Käufer stattdessen auf einen echten Pornofilm aus den 1960ern, der mit auf diesem Band ist. Das führt uns zurück in die Sixties und zu dem Mann, der das Blue Movie damals gedreht hat. Ich hatte ein ganz ähnliches Erlebnis, weil ich gern die alte Videokassette mit der deutschen Fassung von Get Carter haben wollte: Jack rechnet ab - Ein Mann wird zur Bestie (nicht uncut, sondern um ca. neun Minuten gekürzt). Da landet man auch ganz schnell im Pornoghetto, denn der Film (das grandiose Original von Mike Hodges, nicht das grauenhafte Remake) ist bei uns indiziert.

Ab und an empfängt man einen Funkspruch aus dem Nirvana der scheinbaren Belanglosigkeit. Beim Schreiben des Lewis-Artikels bin ich auf die Information gestoßen, dass Get Carter auf dem Index stehen soll - nicht, dass er irgendwann da stand, sondern dass er heute, im Jubiläumsjahr der 1954 gegründeten BPjM, immer noch als jugendgefährdend indiziert ist. Das konnte ich nicht glauben. Um meiner journalistischen Sorgfaltspflicht Genüge zu tun habe ich bei der Behörde angefragt, für alle Fälle. Die für solche Dinge zuständigen Mitarbeiter der BPjM sind nicht nur freundlich und kompetent, sondern auch sehr schnell (schade, dass sie diese sprachlich wie inhaltlich indiskutablen Wortansammlungen verschicken müssen). Noch am selben Tag erhielt ich die Antwort, nebst zugehöriger Entscheidung zur "Folgeindizierung" vom 13.5.2009. Es stimmt also. Get Carter wurde 1984 indiziert und danach in Sicherungsverwahrung genommen.

Dazu muss man wissen, dass es in den 1980ern etwas gab, das ich als banning spree bezeichnen würde, in Anlehnung an den Begriff killing spree (ein Täter tötet mehrere Personen innerhalb eines "Tatereignisses"). Die Jugendschützer sahen sich damit konfrontiert, dass gewissenlose Anbieter den "gefährdungsgeneigten" Jugendlichen, der jetzt nicht mehr ins Bahnhofskino gehen musste, mit Schund und Schmutz auf Videokassette versorgten. Die Folge war eine Überreaktion, die einem im Rückblick wie ein Amoklauf erscheinen kann. Geschossen wurde auf alles, was dem Jugendschutz vor die Flinte kam und bei 3 nicht auf den Bäumen war. Auch Jugendgefährdendes hat aber Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren und die Möglichkeit einer Haftentlassung. Statt den Schlüssel zur Zelle wegzuwerfen, müssen Frau Monssen-Engberding und ihre Helfer eine Indizierungsentscheidung nach 25 Jahren überprüfen. Mein Eindruck ist, dass die große Mehrheit von dem, was man vor einem Vierteljahrhundert verboten hat, stillschweigend vom Index genommen wird. Die Titel der nicht "folgeindizierten" Medien (und die alten Verbotsbegründungen) kann man dann im Giftschrank des Pornoanwalts finden.

Get Carter wäre demnach ein Sonderfall. Im Mai 2009 beschloss ein anonym bleibendes "3er-Gremium" der BPjM (die Vorsitzende, also wohl Frau Monnssen-Engberding nebst je einem Vertreter/einer Vertreterin der "Anbieter von Bildträgern u. Telemedien" sowie von "Kirchen, jüdischen Kultusgemeinden und anderen Religionsgemeinschaften"), dass die im Juni 1984 erstmals auf den Index gesetzte Videokassette mit Jack rechnet ab dort zu verbleiben hat. Es muss sich um einen besonders schweren Fall der Jugendgefährdung handeln. Ein naiver Mensch könnte sich jetzt denken, dass einen das nicht interessieren muss, weil die alte Kassette mit dem falschen Bildformat und der sterilen Synchronisation genauso von Gestern ist wie diese Bundesprüfstelle. Die Indizierung gilt aber auch für "inhaltsgleiche Medien" und somit für DVDs und BluRays mit der einen oder anderen Fassung von Get Carter. Wer sich in den vergangenen Jahren mal gefragt hat, warum dieser inzwischen allseits gefeierte Film in Ländern wie Frankreich, Italien, den USA und natürlich Großbritannien längst auf DVD erschienen ist, bei uns aber nicht: Das könnte die Antwort sein. Kein kommerzieller Anbieter hat große Lust, sich wegen eines Films, mit dem nicht mehr viel zu verdienen ist, mit urdeutschen Maßnahmen zum Jugendschutz herumzuschlagen, die praxisfern erscheinen und doch sehr konkrete Folgen haben.

Tendenziell ist es so, dass die bei uns praktizierte Form des Jugendschutzes (Verbote statt Aufklärung und Vermittlung von Medienkompetenz) einen Film wie Get Carter eher von interessierten Senioren fernhält als von der Jugend. Warum? Je älter eine Person, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie kein Englisch kann und die neuen Kulturtechniken des digitalen Zeitalters nicht beherrscht (von der Online-Bestellung beim Versandhandel bis zum Streaming und zum Download). In die Röhre schauen hierzulande vor allem Leute, die auf traditionelle Bezugsquellen angewiesen sind und zum Verständnis eines britischen Films eine deutsche Synchronisation oder deutsche Untertitel brauchen. Für solche Bedürfnisse kursieren mindestens zwei Bootleg-DVDs von Jack rechnet ab. Deutschlands Jugend weiß viel besser, wo man so etwas kriegen kann als die älteren Semester.

Beide Bootlegs bieten die ungekürzte Fassung von Get Carter, und zwar in sehr guter Qualität, weil das Übernahmen der in England bei Warner erschienen DVD-Ausgabe sind. Es raubkopiert sich gleich viel leichter, wenn ein Film indiziert ist und man nicht mit einem inländischen Anbieter rechnen muss, der sein eigenes Produkt vor unliebsamer Konkurrenz schützen will. Aber Achtung! Die eine der beiden Bootleg-DVDs hat nur eine Tonspur: Die gekürzte deutsche Kinofassung ist synchronisiert, die wieder eingefügten neun Minuten sind in der englischen Originalfassung und ohne Untertitel. Nur Bootleg-DVD Nr. 2 bietet das volle Programm: eine Kombination von Original (mit Untertiteln) und Synchronisation auf Spur 1, die Originalfassung auf Spur 2 und auf Spur 3 den für die britische Warner-DVD aufgenommenen Audiokommentar von Mike Hodges, Michael Caine und Wolfgang Suschitzky. Wer auf Nummer Sicher gehen will und ausreichend Englisch kann greift gleich zur offiziellen Warner-DVD aus England und spart noch Geld dabei.

Frau Schwesig, bitte handeln Sie!

Diese Informationen sind meiner Chronistenpflicht geschuldet und keinesfalls mit einer Kaufaufforderung gleichzusetzen. Das wäre ein Verstoß gegen die Jugendschutzbestimmungen, weil für indizierte Medien ein Werbeverbot besteht. Streng genommen machen sich sogar die Leute strafbar, die bei eBay alte Aushangphotos anbieten oder den damaligen Werbe(!)ratschlag für Kinobesitzer. So zumindest habe ich es mir erklären lassen. Man bewegt sich in einem Graubereich. Bei Zensoren sind Graubereiche sehr beliebt. Sie können dann ihren Ermessensspielraum nutzen. Umgekehrt müssen die Betroffenen überlegen, was erlaubt ist und was nicht. Als Zensor darf man da auf schöne Beispiele des vorauseilenden Gehorsams hoffen. Es ist nämlich so: Ein potentieller Verstoß gegen die Jugendschutzbestimmungen, auch wenn es keiner ist, kostet Geld, das viele Anbieter nicht haben oder nicht riskieren wollen.

Das Werbeverbot ist auch der Grund, warum der geneigte Leser am Ende dieses Textes, bei den üblichen Kaufempfehlungen, die in Großbritannien erschienene Warner-DVD nicht finden wird. Kaufen kann man sie aber schon: Ganz regulär bei amazon.de (über einen britischen Partner) oder preisgünstiger bei amazon.co.uk (bitte nicht bestellen, wegen dem Werbeverbot, vor allem aber: nicht mit dem schrecklichen Remake verwechseln - das ist dieser Film mit den sinnlosen Prügeleien und der in Sentimentalität eingelegten Menschenverachtung, für die es ein FSK 16 gab). Erlaubt ist das nicht, es stört nur keinen. Bei behördlichen Maßnahmen, die sich zu weit von der Lebenswirklichkeit außerhalb der Amtsstuben entfernt haben ist das häufig so: Es kümmert sich keiner mehr um sie. Meine Vision von der Zukunft der BPjM hat Heinrich Böll längst beschrieben, an einem anderen Objekt und nachzulesen in "Nicht nur zur Weihnachtszeit".

Während wir auf Frau Monssen-Engberdings Pensionierung warten sollten wir uns aber fragen, wie lange wir uns noch eine Behörde leisten wollen, deren Indizierungen zu absurden Konsequenzen führen, ohne einen erkennbaren Nutzen für den Jugendschutz. Auf die Gefahr, mich zu wiederholen: Der Schutz der Jugend durch Aufklärung und das Erlernen von Medienkompetenz statt durch das Erstellen von Verbotslisten, damit irgendwas verboten ist - das wäre was, Frau Schwesig! Frau Schwesig von der SPD ist die Chefin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zu der die BPjM gehört. Senioren, Frau Schwesig! Das sind die, die Frau Monssen-Engberding vor Get Carter schützt, wenn sie kein Englisch können und keinen Internetzugang haben. Sie haben jetzt die Chance, Frau Schwesig, einen verlorenen Wähler Ihrer Partei zurückzugewinnen. Bitte handeln Sie!

Erwachsene sollen der Jugend ein Vorbild sein. Im Interesse der Kinder, die sich per Pisastudie sagen lassen müssen, dass sie über mangelnde Sprachkompetenz verfügen, nicht bis 3 zählen können und einen längeren Text verstehen sowieso nicht, empfehle ich als Sofortmaßnahme - auch nicht zum ersten Mal - Fortbildungskurse für die Damen und Herren, die sich bei Frau Monssen-Engberding zum 3er-Gremium treffen, um Sachen zu verbieten. Weil diese ehrenamtlich tätigen Persönlichkeiten anonym bleiben weiß ich über ihre Qualifikation nur das, was den von ihnen verantworteten Indizierungsentscheidungen zu entnehmen ist. Die zur Folgeindizierung von Get Carter ist durchaus typisch. Ich gestatte mir dazu ein vorläufiges Urteil, weil ich mittlerweile sehr viele von diesen Schriftstücken gelesen habe.

Die gesamte mir vorliegende Indizierungsentscheidung von 2009, mit Briefkopf und ohne die entfernten Namen des 3er-Gremiums, besteht aus 12.385 Zeichen. Rund 3600 dieser Zeichen sind Get Carter alias Jack rechnet ab gewidmet. Der Rest sind die vorgefertigten Textbausteine mit Paragraphen und so weiter, die früher, als man die Jugend mit der Schreibmaschine schützte, photokopiert, ausgeschnitten und bei jeder Indizierung auf ein neues Blatt geklebt wurden (ich habe noch Kopien, wo man die Ränder sieht). Mit dem Computer geht das viel schneller. Da gibt es copy and paste. Ich will hier primär von den 3600 Zeichen sprechen, die sich speziell auf Get Carter beziehen und die man noch einfügen muss, damit die Indizierung fertig ist. 596 dieser Zeichen braucht man für die komplett zitierte Inhaltsangabe in der ersten Indizierungsentscheidung von 1984.

Eingangs erscheint es mir angebracht, meine eigene Version der Handlung wiederzugeben, weil ich die Angaben der BPjM lieber nicht vollständig zitieren will und man ihnen schwer folgen kann. Indizierungsentscheidungen sind Top Secret. Der Normalbürger darf nur erfahren, ob ein Medium indiziert ist oder nicht. Um Einblick in die Begründung zu erhalten, muss man ein Experte sein wie ich. Alles zum Wohl der Kinder. Ich persönlich war schon als Jugendlicher gefährdungsgeneigt und habe mich jeder Menge von der Bundesprüfstelle als sexual- oder sozialethisch desorientierend eingestufter Medien ausgesetzt. Trotzdem, behaupte ich, ist ein halbwegs ehrlicher Mensch aus mir geworden. Wäre es anders, würde ich jetzt - meiner Bemühungen um den Jugendschutz wegen - das Große Bundesverdienstkreuz einfordern, weil ich den Inhalt eines Krimis verrate und dem gefährdungsgeneigten Teil der Bevölkerung die Lust am Sehen dieses Machwerks nehme. Ehrlicherweise muss ich aber einräumen, dass die Kenntnis der Handlung das (intellektuelle) Vergnügen sogar noch steigert, weil Get Carter ein so guter Film ist. Es ist nur eben ein Gangsterfilm, dessen kulturelle Wurzeln man zurückverfolgen kann bis zur elisabethanisch-jakobäischen Rachetragödie und zu William Shakespeare und somit zu einer Hochzeit der englischen Literatur, die in Deutschland ein unverzichtbarer Teil des Anglistikstudiums ist. Wer den Schundfilm - trotz meiner ausdrücklichen Aufforderung, es nicht zu tun! - sehen und der Gefahr lieber jungfräulich begegnen will, darf den nächsten Absatz überspringen (bitte nur bei Volljährigkeit):

Get Carter

Jack Carter arbeitet für Gerald und Sid Fletcher, die den Süden Englands mit pornographischer Ware versorgen. Als sein Bruder Frank bei einem vermeintlichen Autounfall ums Leben kommt, reist Jack zur Beerdigung nach Newcastle, in seine Heimatstadt. Cyril Kinnear, der Pate von Newcastle, ist ein Geschäftspartner der Fletchers. Jack findet schnell heraus, dass Frank ermordet wurde. Die Spur führt zu Eric Paice, Kinnears Chauffeur; zu Jacks Jugendfreund Albert Swift; zu Cliff Brumby und zu seiner Geliebten Glenda, die auch die Geliebte von Kinnear ist; zu einem Pornofilm, in dem neben Franks Freundin Margaret, Albert und Glenda auch Doreen mitwirkt, Franks sechzehnjährige Tochter; und von da zu Kinnear, der den Film in Auftrag gegeben hat. Weil Jacks Nachforschungen die Geschäfte stören, schicken die Brüder Fletcher zwei ihrer Schläger nach Newcastle, Con McCarty und Peter the Dutchman, um ihn zurück nach London zu holen, notfalls mit Gewalt. Jack lässt sich nicht aufhalten. Peter stirbt bei einer Schießerei. Jack weiß inzwischen, wie es war: Kinnear will Brumbys Spielautomaten übernehmen. Brumby hat den Pornofilm mit Doreen ihrem Vater zugespielt, weil er hoffte, dass Frank zur Polizei gehen und Anzeige gegen Kinnear erstatten würde. Eric Paice, der Chauffeur, hat Frank ermordet, um das zu verhindern. Jack tötet Brumby. Auch Glenda, Albert und Margaret - die Darsteller im Pornofilm - werden Opfer seiner Rache. Kinnear wird nach einer von Jack inszenierten Razzia von der Polizei abgeführt. Jack ist am Ende seines Weges angekommen, als er auch Eric getötet hat. Ein von Kinnear angeheuerter Killer erschießt ihn aus dem Hinterhalt.

Katastrophaler Pisatest

Wie gesagt: Get Carter ist eine in das Newcastle um 1970 verlegte Rachetragödie und gehört somit zu einer Gattung, die blutige Geschichten erzählt und doch ein englisches Kulturgut ist. Stücke wie Shakespeares Hamlet, John Websters The Duchess of Malfi oder The Revenger’s Tragedy von Cyril Tourneur (Cyril wie in Cyril Kinnear) sind modern geblieben und werden heute noch gespielt, weil sie bereits die Figur des Antihelden kennen. Jack Carter steht in der Tradition der Rächer, die aus Unbehagen an einer korrupten Gesellschaft um sich schlagen, ohne sich selbst oder die Gesellschaft zum Besseren verändern zu können. Am Ende sind sie tot. Bei der BPjM liest sich das so: "Der Videofilm ist systematisch darauf ausgelegt, den Rachefeldzug von Jack darzustellen und diesen als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahe zu legen." Fürwahr. Wer würde nicht zu diesem einzig bewährten Mittel greifen und sich ein Vorbild an Jack Carter nehmen, der am Schluss tot am Strand von Newcastle liegt, im industriell verseuchten Wasser?

Get Carter

Ein Deutschlehrer war 1984 nicht dabei, oder er musste sich zur Erfüllung des Tagespensums so viele jugendgefährdende Medien antun, dass er geistig erschlafft war, als die Inhaltsangabe zu Jack rechnet ab aufgeschrieben wurde. Mein Lieblingssatz ist dieser hier: "Jack tötet einen Helfer beim Vertrieb des Pornofilms, die Geliebte Fletchers, er erschießt einen weiteren Helfer Fletchers und einen Konkurrenten, der die Nichte sexuell missbrauchen wollte." Aber hallo! Ist der Helfer also eine Helferin, oder ist "Helferin" der etwas unbeholfene Ausdruck dessen, dass Fletcher schwul ist und ein Verhältnis mit einem Helfer … nein, ganz falsch. Hier wird atemlos aufgelistet, wen Jack alles umbringt (wenigstens in der Inhaltsangabe, wenn schon nicht im indizierten Film): Einen Helfer, Fletchers Geliebte, noch einen Helfer und einen Konkurrenten. Generell glaubt man bei der Lektüre solcher Zusammenfassungen ganz oft, die Schnappatmung der Prüfer zu hören, die kaum fassen konnten, was ihnen da wieder zugemutet wurde.

Auch das 3er-Gremium von 2009 scheint sprachliche Mängel in der alten Inhaltsangabe bemerkt zu haben und wird präziser: "Zunächst tötet Jack die Freundin seines Bruders mit einer Überdosis Rauschgift, legt diese in den Garten von Fletcher, dem die Tat nun angelastet wird. Die Geliebte Fletchers lässt er von Fletchers Helfern in einem Hafenbecken versenken, wobei beide Männer nicht wussten, dass sich die Frau in einem Auto befunden hat, welches sie in das Hafenbecken gestoßen haben. Die Tat hat Jack auch dieses Mal so arrangiert, dass ihm keine Schuld anzulasten ist." Gut, sehr präzise ist das auch wieder nicht. Oder wer hat auf Anhieb verstanden, was da steht?

Satz 1 überrascht den Kenner nicht, weil man nach der Lektüre von einigen dieser Inhaltsangaben weiß, dass sich bei Frau Monssen-Engberding die Helden des Bezugsfehlers zum gemeinsamen Indizieren treffen. Nein, Jack legt nicht die Überdosis Rauschgift in Fletchers Garten, sondern die erwähnte Freundin, genau genommen ist es ein Park und kein Garten, und der von Fletcher ist es sowieso nicht, weil der Park zum Landhaus von Kinnear gehört, dem der Tod der Freundin eventuell zur Last gelegt wird, was man aber nicht genau erfährt. Fletcher, weil in London wohnend, ist aus dem Schneider, und das "zunächst" stimmt auch nicht, weil Jack vor Margaret schon drei Leute getötet hat. So viele inhaltliche Fehler in nur einem Satz, das ist selbst für die Jugendschützer von der BPjM keine schlechte Leistung.

Get Carter

Die chronologisch richtige Zusammenfassung der zur Indizierung führenden Gewalttaten gehört traditionell nicht zu den Stärken der Bundesprüfstelle. Ich will da keine Absicht unterstellen, muss aber sagen, dass sich ein Verbot besser begründen lässt, wenn einer scheinbar wahllos tötet und die Morde nicht - wie im Film von Hodges - in einem inneren Zusammenhang stehen, aus dem sich eine bestimmte Moral ergibt. Und falls die Leser von Telepolis trotz zweier Anläufe der BPjM noch nicht verstanden haben, was da eigentlich los ist im Hafen von Newcastle: Jack sperrt Glenda, die Geliebte von Kinnear, in den Kofferraum ihres Sportwagens, weil er nicht recht weiß, was er mit ihr machen soll. Töten will er sie anscheinend nicht, weil sie ihm geholfen und als einzige der Beteiligten nicht gewusst hat, dass Doreen seine Nichte ist. Mit dem Sportwagen fährt er zur Fähre über den Tyne, um Albert umzubringen, den ersten auf der Liste derer, die Doreen - direkt wie Albert im Pornofilm oder indirekt - missbraucht haben. Dort kommt es zu dem Schusswechsel, bei dem Peter the Dutchman stirbt.

Get Carter

Eric und Con schieben daraufhin den Sportwagen ins Hafenbecken wie kleine Kinder, die Jack etwas kaputtmachen wollen, nachdem er ihnen etwas kaputtgemacht hat. Jack sieht ungerührt dabei zu, wie das Auto mit Glenda im Kofferraum untergeht, und wir sehen ihm dabei zu, weil das einer der Momente ist, in denen uns Hodges zeigt, dass der Mann ein Monster ist. Bei der BPjM ist das ganz anders. Carter hat da einen perfiden Plan ausgeheckt, wie er Eric und Con dazu bringen kann, genau hinter dem Sportwagen zu parken und diesen nach dem Schusswechsel ins Hafenbecken zu schieben, damit ihm keine Schuld an Glendas Tod anzulasten ist, die - ohne Cons und Erics Wissen - im Kofferraum ertrinkt, was Jack genau so wollte und vorhergesehen hat. Das hat er "auch dieses Mal so arrangiert". Nur wie? Mein Verdacht: Jack Carter ist in Wirklichkeit Dr. Mabuse. Eric und Con hat er hypnotisiert. Peter, den er in aller Öffentlichkeit erschießt, muss zu einem anderen Plan gehören.

Get Carter

Jeder blamiert sich, so gut er kann. Mir ist das recht. Was mich daran stört ist Folgendes: Wenn man keine Ahnung von den Sachen hat, die man beurteilen soll, füllt man die Leere mit den eigenen Phantasien. Das ist normal. Wie aber kann man ein Urteil fällen, wenn man keine Ahnung hat? Ein Urteil, das zu Verboten und Eingriffen in unsere Grundrechte führt? Das geht seit vielen Jahren so. Warum unternimmt dagegen keiner was, Herr Maas? Herr Gauck, fällt Ihnen etwas dazu ein? Vielleicht eine Passage aus einer Ihrer Freiheitsreden? Oder wird hier unterstellt, dass die zu Schützenden Filme auf demselben Reflektionsniveau sehen wie die drei Leute, die diese Inhaltsangabe geschrieben haben? In dem Fall möchte ich eine Lanze für Deutschlands Jugend brechen, die viel mehr von Filmen versteht als der Jugendschutz zu glauben scheint. Margaret übrigens, die Freundin seines toten Bruders, wirft Jack in einen Teich. Man ahnt, dass das Wasser in diesem Film eine symbolische Bedeutung hat. Aus dem reinigenden Quell ist eine Kloake geworden. Am Schluss wird man die Wellen sehen und das Meer, in das die Industrie ihren Dreck kippt.

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