Verwischte rote Linien

Die US-Position gegenüber Russland ist in sich nicht schlüssig, wie Parlamentsanhörungen in Washington in der vergangenen Woche zeigten. Was steckt hinter der Drohkulisse?

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Victoria Nuland, bekannt geworden durch ihr "Fuck the E.U."-Telefonat und verantwortlich im US-Außenministerium für die Ukraine-Politik Obamas, musste sich in der vergangenen Woche vor dem eigenen Parlament rechtfertigen - und überzeugte einige Abgeordnete und Senatoren dort nicht.

Daniel Glaser und Victoria Nuland (rechts). Bild: c-span

Neben Nuland standen auch Verantwortliche des Finanzministeriums und des Pentagons im Kreuzverhör. Ein scharfes Wortgefecht entspann sich dabei zwischen Daniel Glaser, Abteilungsleiter im Finanzministerium und dort zuständig für die Sanktionsmaßnahmen gegenüber Russland, und Bob Corker, Mitglied im Senatsausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Auf Senator Corkers Frage, wie die Aufständischen in der Ostukraine finanziert würden, geriet der Regierungsvertreter sichtlich in Verlegenheit:

Glaser: "Ich denke, das ist eine Frage für den Geheimdienstausschuss, Herr Senator."

Corker: "Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Sagen Sie mir, wie die Separatisten derzeit finanziert werden."

Glaser: "Herr Senator, ich bin mir sicher, dass wir uns bei einer nichtöffentlichen Anhörung weiter unterhalten können."

Corker: "Wissen Sie die Antwort auf die Frage?"

Glaser: "Herr Senator …"

Corker: "Falls nicht, haben wir Probleme im Finanzministerium, denn das ist ihr Aufgabengebiet."

Glaser: "Herr Senator, ich glaube, es geht nicht darum, wie die Separatisten im Moment finanziert werden. Es ist klar, dass Russland sie in jeder Form unterstützt, aber …"

Corker: "Aber finanziert Russland die Separatisten?"

Glaser: "Ich denke, es gibt sicherlich einen Grund, dass Russland die Separatisten finanziert. Ich glaube die Frage ist nicht, ob das geschieht. Die Separatisten kontrollieren derzeit Territorium. Meiner Ansicht nach, Herr Senator, liegt unser Schwerpunkt darauf, für Russland Kosten zu erzeugen, nicht darauf, finanzielle Verbindungen zwischen Russland und den Separatisten zu kappen, wozu wir, wie ich denke, weitaus weniger Möglichkeiten haben."

Victoria Nuland vor dem Ausschuss. Bild: c-span

Der Austausch hat Brisanz auch vor dem Hintergrund der wiederholten Behauptung, Russland trage direkte Verantwortung für die Aufstände in der Ostukraine. So schrieb die Washington Post am Freitag, dass "alle Beweise darauf hindeuten", dass Moskau weiterhin bewaffnete Kräfte dort unterstütze und Putins "Spezialeinheiten in der Region operieren".

Am Sonntag wurde allerdings bekannt, dass laut BND umgekehrt zumindest etwa 400 US-Söldner des vormals unter dem Namen Blackwater bekannten Militärdienstleisters Academi an der Seite Kiews in der Ostukraine kämpfen, insbesondere rund um Slawjansk (Ukrainische Regierung setzt angeblich US-Söldner gegen die eigene Bevölkerung ein). Wer sie bezahlt, ist bislang unklar.

Moskau ist schuld

Hintergrund für die Vorwürfe an Russland ist die neue rote Linie der Obama-Administration: Wenn die für den 25. Mai angesetzten Wahlen in der Ukraine nicht durchgeführt werden können, will man Moskau dafür direkt verantwortlich machen und auf dieser Grundlage weitere Sanktionen beschließen. Die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident unterstützen aktuell diese Argumentation der USA.

Die Washington Post gab zudem eine neue rote Linie aus:

Selbst wenn Obama und Merkel nun Schritte gegen russische Industrie- und Finanzunternehmen mit den Wahlen am 25. Mai verknüpft haben, muss der Westen dazu bereit sein, einige dieser Maßnahmen auch eher umzusetzen, falls die durch Russland unterstützten Separatisten von ihrer Wahlentscheidung nicht abrücken.

Interessanterweise wies der erwähnte Senator Corker bereits Ende April gegenüber CBS daraufhin, dass die "rote Linie" der US-Regierung sich öfter verschiebe und dies die eigene Glaubwürdigkeit schwäche. Corker sagte am 27. April:

Ich denke, dass die gezielten Sanktionen gegen Einzelpersonen Putins Verhalten nicht genügend beeinflussen, und ich glaube, dass er bemerkt, dass die rote Linie sich jetzt verschoben hat. Letzte Woche bestand die rote Linie im Abzug der 40.000 Soldaten aus der Grenzregion zur Ostukraine. Jetzt geht es nur noch darum, dass er nicht einmarschiert.

Nun hat sich diese Linie also weiter verschoben, über die "Akzeptanz und Nichtbehinderung der Wahl in der Ukraine", nun zur surreal gegenläufigen "Behinderung und Nichtakzeptanz des Referendums in der Ostukraine".