Das Geschäft mit dem Saatgut

Foto: Susanne Aigner

Normierung versus Vielfalt - warum Hybridsorten die Kulturpflanzenvielfalt gefährden

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Die Herstellung und Vermehrung von Saatgut, es in Umlauf zu bringen, zu tauschen und zu verkaufen, ist ein uraltes Recht von Bäuerinnen und Bauern. Dennoch erschweren Saatgutgesetze und Nachbaugebühren den Handel mit alten Sorten.

Obst und Gemüse, das in den Handel kommt, muss bestimmten Anforderungen in Form und Farbe genügen. Will eine Sorte auf die offizielle Sortenliste, muss sie homogen und über mehrere Generationen hinweg stabil sein. Sie muss schnell zu ernten und lange lagerfähig sein. Erntegut, das nicht dder Norm entspricht, wird aussortiert, bestenfalls zu Tierfutter verarbeitet. Geschmack und Anpassungsfähigkeit spielen eher eine untergeordnete Rolle.

Hybridpflanzen genügen diesen Marktanforderungen am ehesten, denn sie bringen große Mengen einheitlicher Früchte hervor. Sie entstehen aus der Kreuzung zweier Inzuchtlinien, in denen alle positiven Eigenschaften der Elternlinien, was Farbe und Form angeht, vereint sind. Im Nachbau aber spaltet sich das Erbgut auf, die Nachkommen sind degeneriert. Die "wunderbaren" Eigenschaften gehen verloren.

Saatgut: lukrative Geschäfte für Agrarkonzerne

Ein gutes Geschäft für die Agrarkonzerne: Sie verkaufen Bauern und Gärtnern jedes Jahr normiertes Hybrid-Saatgut, denn es bietet hohe Ertragssicherheit und erfüllt alle Normen des Handels. Hybride haben längst auch den Ökolandbau unterwandert: Ihr Anteil im Öko-Gemüsebau liegt zwischen 70 bis 100 Prozent, noch höher ist er bei Roggen und Mais.

Das Geschäft mit dem Saatgut lohnt sich. So müssen Landwirte beim Kauf von zertifiziertem Saatgut zweimal zahlen: einmal die Lizenzgebühr für Sorten, die unter das Sortenschutzrecht fallen und einmal Nachbaugebühren bei der Wiederaussaat des daraus gewonnenen Saatgutes. Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter schreibt seit 1997 über die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (STV) regelmäßig landwirtschaftliche Betriebe an, mit der Bitte um exakte Angaben zu Anbau und Saatgut.

Inzwischen wurden mehr als 2.500 Bäuerinnen und Bauern von den Pflanzenzüchtern verklagt, weil sie angeblich ihre Auskunftspflicht verletzten und keine Gebühren zahlten. Obwohl der Europäische Gerichtshof bereits 2003 entschieden hat, dass für Landwirte keine derartige Auskunftspflicht besteht, lässt die STV nicht locker. Kein Wunder, denn es handelt sich um ein lukratives Geschäft: Immerhin 34 Millionen Euro haben sich die Pflanzerzüchter bereits ergaunert.

Und ganz nebenbei wird das Saatgut bundesweit erfasst, kartiert und kontrolliert. Bio- und konventionelle Bauern, die nicht länger bereit sind, Gebühren zu zahlen, organisieren sich in der Interessengemeinschaft gegen Nachbaugebühren und Nachbaugesetze (IG Nachbau). Auf rechtlichem Weg wollen sie den Gebühreneintreibern einen Riegel vorschieben - damit Kleingärtner künftig keine Lizenzgebühren für ihre selbst gepflanzten Kartoffeln entrichten müssen.

Vielfalt? Interessante Postenmanöver in der EU...

Den Handel mit Saatgut in der EU regelt eine umfassende Verordnung. Ihre Umsetzung erfolgt allerdings eher auf nationaler Ebene. Dabei sind die Entscheidungsträger der EU-Kommission keineswegs neutral. Die Konzerne, unterstützt durch den Europäischen Saatgutverband (ESA) nehmen nicht unwesentlich Einfluss auf die Saatgut-Gesetzgebung.

So ist es sicher kein Zufall, dass die Französin Isabelle Clément-Nissou, die in der EU-Kommission neue Saatgutvorschriften erarbeitet, vorher für die Saatgut- und Agrarindustrie tätig war. In Frankreich wird offenbar die Sortenvielfalt noch viel stärker behindert als bei uns, denn dort wird die Saatgutzüchtung weitestgehend der Industrie überlassen.

Im Mai 2013 veröffentlichte die EU-Kommission einen Vorschlag zur Novellierung der Saatgutgesetze, die kleinbäuerliche Pflanzenzüchter, Saatzuchtvereine und -Organisationen auf die Barrikaden gehen ließ, denn er bedeutete noch größere bürokratische Barrieren für die Züchtung und Weitergabe des Saatgutes. Alle Sorten, egal ob alt oder neu, hätten registriert werden müssen. Dieser enorme bürokratische Aufwand hätte die kleineren Zuchtbetriebe zur Aufgabe ihrer alten Sorten gezwungen.

Weizen, Kartoffeln und verschiedene Bohnen; Foto: Susanne Aigner

Nun lehnte das EU-Parlament den Novellierungsvorschlag überraschend ab. Damit ist das Schlimmste zwar verhindert. Doch die Situation für kleinbäuerliche Saatzuchtbetriebe bleibt schwierig, denn die Zulassungspflicht für so genannte Vielfaltssorten wird weiter bestehen.

So haben seltene Sorten ohne historischen Hintergrund laut EU-Kommissar Tonio Borg keinerlei Chance auf eine Zulassung.

Glaubt man der UNESCO, verschwanden in den letzen 100 Jahren rund 75 Prozent aller Kultursorten. Die alten Sorten genügen den Vorgaben von Industrie und Handel meistens nicht, weshalb sie in der Regel auch keinen Platz auf der offiziellen Sortenliste finden. Dabei sind samenfeste Sorten gegenüber Hybridsorten im Vorteil: Sie reifen in angemessener Zeit heran und weisen höhere Zucker- und Trockensubstanzgehalte auf.