Kalte Krieger im Dialog

Ostspion trifft auf Westspion und beide gehen mit ihren ehemaligen Arbeitgebern hart ins Gericht

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Sie haben sich gegenseitig belauscht, überwacht und unterwandert. Im Kalten Krieg waren sie erbitterte Gegner, jetzt sitzen sie sich in einer Diskussionsrunde gegenüber. Einst liebten sie die Anonymität, jetzt suchen sie die Öffentlichkeit. Beide haben ihren Diensten über 30 Jahre mit viel Engagement und voller Loyalität gedient. Nun distanzieren sie sich: Was sie getan haben, beurteilen sie kritisch und erheben schwere Vorwürfe gegen ihre einstigen Arbeitgeber. Geheimdienste sehen sie inzwischen als Gefahr für die Demokratie. Man müsse andere Wege finden, forderten sie in einer von Reporter ohne Grenzen und der Wau Holland Stiftung organisierten Runde.

Während ihrer aktiven Dienstzeit hatten sie weit weniger Zweifel: "Der Zweck heiligt die Mittel, lautet der Grundsatz geheimdienstlichen Agierens", stellt Klaus Eichner klar. Er war von 1957 bis 1990 Mitarbeiter im Ministerium für Staatssicherheit der DDR. "Ich wurde 1974 in die neu gegründete Abteilung der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) versetzt", schildert Eichner seine Laufbahn.

Aufgabe der HVA sei es gewesen, Gegenspionage zu betreiben. Für Eichner hieß das:

Wir sollten in die Zentren der westlichen Geheimdienste eindringen.

Er war auf die Analyse der amerikanischen Nachrichtendienste spezialisiert. "Für die Aktivitäten eines Geheimdienstes gibt es eigentlich keine roten Linien", schildert er seine Erfahrungen. Skrupel gab es auf beiden Seiten nicht. Auch Menschenrechte stellten keine Hürde dar, wie sein ehemaliger Kontrahent bestätigt.

"Ich nenne das einen Polizeistaat"

Menschenrechte seien nie ein "beachtenswerter Parameter" gewesen, meint William Binney dazu. Er saß auf der anderen Seite des Atlantiks und arbeitete 30 Jahre für die NSA; lange Zeit als Ostblockspezialist und zuletzt als technischer Direktor. Jetzt sitzt Binney nur ein paar Meter vom Checkpoint Charly entfernt neben Eichner, im Herzen Berlins, wo sich einst Russen und Amerikaner unmittelbar gegenüberstanden.

Als unter dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush nach 9/11 der Überwachungswahn eskalierte, quittierte er den Dienst und wurde zu einem der schärfsten Kritiker der US-Behörde. "Nixon hat ein paar Tausend ausspioniert, jetzt betrifft es so ziemlich alle", kritisiert Binney die NSA. "Ich nenne das einen Polizeistaat."

Dies sei die größte Bedrohung für die amerikanische Demokratie seit dem US-Bürgerkrieg, sagt Binney. Was ihn empört, ist nicht so sehr die uferlose Abhöraktivität der des Dienstes, sondern die Ausdehnung der Überwachung auf US-Bürger.

Diese Maßnahmen seien ein unmittelbarer Verstoß gegen die Verfassung der USA. "Sie sagen immer, was sie machen, sei legal, aber es ist nicht verfassungskonform", urteilt Binney. Eichner hält eine Kontrolle der Geheimdienste prinzipiell für problematisch:

Da kann man parlamentarische Untersuchungsausschüsse einsetzen und Datenschutzregeln produzieren, der Geheimdienst tut trotzdem was er will.

Von Anfang an enge Zusammenarbeit zwischen US-Diensten und BND

Auslandsspionage und insbesondere Gegenspionage betrachten die einstigen Geheimdienstführungskräfte eher als ein Spiel, ein Wetteifern um den besseren Schachzug. Eichner erinnert sich, wie die neu gegründete HVA an Information über die US-Geheimdienste gelangte:

Die ersten wichtigen Erkenntnisse haben wir damals vom BND bekommen.

In Spanien habe der nämlich einen Stützpunkt betrieben, um die dort einlaufenden Mittelmeer- und Überseekabel abzuhören. "Eismeer war dessen Tarnnahme", so der ehemalige Stasi-Oberst. Es habe zwar von Anfang an eine enge Zusammenarbeit zwischen US-Diensten und BND gegeben, aber die Station Eismeer sei "gegenüber den Amis abgeschirmt" gewesen. Wie die Stasi an die dort abgegriffene Informationen gelangte, erwähnt er allerdings nicht.

Zum Verhältnis zwischen BND und US-Diensten sagt Binney: "Wir haben Informationen geteilt, solange das im Interesse beider Seiten war." Die NSA sehe das Abhören des Merkel-Handys nicht als Problem, lediglich den Umstand, dass man dabei erwischt wurde. Zum Verhältnis unter Nachrichtendiensten zitiert Eichner eine Diplomatenregel:

Staaten haben keine Freunde, Staaten haben Interessen.

Vor einem Fall wie Snowden hatte man innerhalb der NSA schon früher Angst, berichtet Binney. Deshalb habe er bereits Anfang der 1990er Jahre ein Programm vorgeschlagen, um die Zugriffe der Mitarbeiter auf sensible Daten zu kontrollieren. Aber von zwei Seiten habe es massiven Widerstand gegeben:

Die Analytiker wollten nicht, das wir ihre Arbeit kontrollieren können und die Manager nicht, dass wir wissen, was sie tun.

Am Ende sei das Projekt eingestellt worden. "Wir mussten Geheimnisse noch in Stahlschränken aufbewahren", kontert der ehemalige Stasi-Oberst Eichner. Heute sei das anders, wie Edward Snowden gezeigt habe. "Aber Offenlegung fördert den öffentlichen Diskurs", resümiert Eichner.

Plädoyer für Abschaffung der Nachrichtendienste

Heute plädiert Eichner für eine Abschaffung der Nachrichtendienste.

Man muss politische Bedingungen schaffen, die solche Instrumente überflüssig machen

Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts hätten Geheimdienste viele Polizeiaufgaben übernommen, wozu er auch die Terrorabwehr zählte. "Dazu braucht man aber gar nicht die Möglichkeiten der Geheimdienste", so Eichner.

Wenn man die Aufgaben wieder an die Polizei übergebe, könne man die Dienste abbauen, lautet die Einschätzung des ehemaligen Stasi-Offiziers, dessen Dienst es längst nicht mehr gibt. Binney hält dagegen Nachrichtendienste auch zukünftig für notwendig, kritisiert jedoch die Ineffizienz der NSA und plädiert für eine Fokussierung auf die Auslandsspionage. "Sie müssen die militärischen Operationen fremder Regierungen überwachen." Das erfordere zielgerichtete Maßnahmen, alles andere, wie etwa Massenüberwachung, sei ineffizient.

Was Reformen der Nachrichtendienste verhindere, seien die damit verbundenen umfangreichen finanziellen Interessen. Laut Binney gehen etwa 70 Prozent des NSA-Etats an Kontraktoren und sogenannte "Spies for hire". Auch Hackergruppen würden genutzt. "Geld ist das treibende Moment", sagt Binney. Aber es hingen auch viele Jobs daran, fügt er hinzu. "Es gibt viele Interessen, die dafür sorgen, dass das so weiter läuft."

Wie sichert man sich die Loyalität der Mitarbeiter?

Während die Überwachung von US-Bürgern in den USA nicht zu größerer Aufregung führt, versetzte die Vorgehensweise der Stasi die Bürger des eigenen Landes in Angst und Schrecken. Wie sichert man sich die Loyalität der Mitarbeiter, die man braucht, um so ein menschenverachtendes System am Laufen zu halten, lautete eine Publikumsfrage. Das konnten oder wollten die beiden Ex-Geheimdienstler nicht so richtig beantworten.

Es sei wohl eine Kombination aus Geld und Drohung, mutmaßten sie. "Die NSA arbeitet hauptsächlich mit Introvertierten, die fühlen sich sehr leicht bedroht", antwortet Binney lächelnd. Deshalb fühlten sich in der Behörde viele bedroht. Ob das zutrifft, klärt vielleicht Eichner in seinem in Kürze erscheinenden Buch "Imperium ohne Rätsel" auf, das sich mit den Erkenntnissen seines Dienstes über die NSA beschäftigen soll. Allerdings waren seine bisherigen Bücher auch von einer idealistischen Wahrnehmung der Historie gekennzeichnet.