Legitime Präsidentschaftswahl in einem zerrissenen Land?

In Kiew und im Westen versucht man schon jetzt, die Wahl als legitim darzustellen, auch wenn Teile der Ostukraine nicht an ihr teilnehmen werden

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Gestern betonte Interims-Regierungschef Jazenjuk erneut, dass die Präsidentschaftswahlen in 5 Tagen durchgeführt würden, obgleich weiterhin Kämpfe stattfinden, große Teile der Ostukraine nicht unter der Kontrolle von Kiew sind und die vorgeblichen Machthaber in Lugansk und Donezk gar nicht teilnehmen wollen.

Jazenjuk, der Ministerpräsident der Übergangsregierung, verspricht eine Wahl, die dem Präsidenten legitime Macht verleiht. Bild: kmu.gov.ua

Es würden "legitime Wahlen" mit einem "wirklich gewählten Präsidenten" sein, versicherte Jazenjuk trotzdem: "Alle Bürger der Ukraine sollten die Möglichkeit haben, daran teilzunehmen, ihre Stimme abzugeben und einen neuen Präsidenten zu wählen." Alle Regionen sollten daran teilnehmen. Derweil prüft das Justizministerium, ob man noch schnell die Kommunistische Partei verbieten könnte, weil Politiker und Mitglieder den Separatisten geholfen hätten.

Die Übergangsregierung und der hinter ihr stehende Westen wissen, dass bei einem Scheitern der Wahlen der Konflikt nicht einfacher werden würde. Allerdings jetzt den Schein aufrechtzuerhalten, sichere, freie und faire Wahlen im ganzen Land durchführen zu können, setzt zudem aufs Spiel, bei einem wahrscheinlichen Scheitern erst recht vor einem Dilemma und Machtvakuum zu stehen. Jazenjuk verkündete, dass alle "terroristischen Versuche, die landesweiten Wahlen zu stören", zum Scheitern verurteilt seien. Zudem habe man Maßnahmen ergriffen, um die Manipulation der Wahl zu verhindern. Allerdings sagte Übergangspräsident Turtschinow, in Luhansk und Donezk gebe es praktisch keine Polizisten mehr.

Erst am Sonntag hat die "Südostarmee" der Separatisten das letzte öffentliche Gebäude, das der Polizei, in Luhansk eingenommen. Nach Angaben der OSZE-Beobachtermission wurde das Gebäude von 100-200 unbewaffneten Menschen umzingelt. Daraufhin hätten Polizisten das Gebäude verlassen, der stellvertretende Kommandeur habe mit dem "Innenminister" Ivakin der "Volksrepublik" gesprochen, sie hätten sich die Hand gegeben. Ivansk haben den Polizisten versichert, man sei nicht gekommen, um zu kämpfen. Nach anderen Berichten hätten sich die Polizisten vor dem Gebäude, bejubelt von Menschen, aufgestellt.

In Mariupol, eingeschlossen von Sperren der Nationalgarde und der Armee, habe sich die Lage beruhigt, schreiben die OSZE-Beobachter. Die Barrikaden seien entfernt worden, der Hafen ist normal in Betrieb. Wie die Veränderung geschehen ist, sagen sie nicht. Auch hier hatte wie Igor Kolomoisky in Dnipropetrovsk, der auch mit seinem Geld Milizen finanziert, ein Oligarch eingriffen und seine Arbeiter geschickt, um Ruhe und Ordnung herzustellen.

Rinat Achmetow ist der reichste Ukrainer und der mächtige Arbeitgeber von 300.000 Angestellten. Der ehemalige Freund von Janukowitsch versucht einen Mittelweg zu gehen. Er hatte vermutlich zuvor mit den Separatisten verhandelt, angeblich hat er am 15. Mai auch ein Abkommen mit diesen geschlossen und soll diesen auch "Steuern" zahlen, bevor er seine Arbeiter die Barrikaden entfernen ließ. Polizisten und Arbeiter gehen nun gemeinsam Streife. Obgleich der Oligarch nun für eine vereinte Ukraine eintritt, diente seine private Sicherheitsmission auch dazu, dass das Militär und die Milizen nicht in die Stadt kommen, was erneut hätte zu Auseinandersetzungen führen können.

Realistisch scheint Innenminister Avakov zu sein, er sagte gestern: "Wir sind uns darüber im Klaren und wollen niemanden belügen, dass auf dem riesigen Territorium der Gebiete Donezk und Lugansk keine ordnungsmäßige Durchführung der Wahlen mehr möglich ist." Man lasse sich davon aber nicht stören, die Wahl würde stattfinden, auch wenn einzelne Regionen nicht abstimmen. Man habe das Land in drei Zonen eingeteilt: eine weiße Zone, in der keine Probleme erwartet werden, eine rosa Zone, in der "Provokationen" möglich seien, und eine rote Zone, in der mit Schwierigkeiten zu rechnen sei. Für die Ostukraine würden besondere Sicherheitsmaßnahmen eingeführt und sollen schnelle Eingreifgruppen Konflikte entschärfen.

Fragt sich dann nur, wie legal der von nur einem Teil der Bevölkerung gewählte Präsident sein wird, wenn gleichzeitig Armee und dubiose Milizen aus "Patrioten" gegen bewaffnete Separatisten im Osten kämpfen . Kurioserweise ist die Lage in der Ukraine spiegelbildlich zu der in Syrien, wo der von Russland gestützte Präsident Assad auch Scheinpräsidentschaftswahlen durchführt, an denen Teile des Landes nicht teilnehmen. Demokratie wird damit sowohl von Russland und den sepratistischen "Volksrepubliken" als auch von der ukrainischen Übergangsregierung und dem Westen zur Farce degradiert, um Machtinteressen durchzusetzen.

Ischinger preist das "Modell Mariupol"

Ob von Amts wegen oder aus Überzeugung vertritt auch Wolfgang Ischinger, der Co-Moderator der Runden Tische, die optimistische Meinung, dass Wahlen auf Teufel komm raus die bessere Alternative seien. Er geht zwar davon aus, dass es in Teilen der Ostukraine nicht möglich ist, die Wahl durchzuführen, weil dies aber "wahrscheinlich weniger als zehn Prozent des Landes" betreffe, sagte er dem Deutschlandfunk, würde dies es den Separatisten schwieriger machen, den derart gewählten Präsidenten als nicht legitim zu bezeichnen: "Im Osten ist man von ordentlichen Verhältnissen weit entfernt, und deswegen ist tatsächlich zu befürchten, dass in einigen Städten des Ostens Wahlen in der Art und Weise, wie wir uns das gerne vorstellen möchten, wohl nicht ordentlich stattfinden können."

Die Wahl würde zwar nicht das Land befrieden, wäre für ihn aber "ein wichtiger Schritt, der dazu führt, dass man dann irgendwann einmal doch zu einer Gesprächslösung kommt und dass die Waffen ruhen können". Es könnte aber auch zu mehr Unzufriedenheit führen, wenn nach der von vielen im Osten abgelehnten Übergangsregierung wieder ein Präsident gewählt würde, der eher für den Westen steht und von Teilen der Ostukraine nicht gewählt wurde.

Ischinger erklärt, die Separatisten würden sich weigern, an den Runden tischen teilzunehmen, allerdings lehnt die Übergangsregierung es ebenso entschieden ab, mit diesen zu sprechen, was Ischinger nicht erwähnt. Allerdings dürfte es weitgehend stimmen, wenn er die Separatisten als minoritäre Gruppe bezeichnet: "Was man im Osten des Landes feststellen kann, ist eine tiefgehende Unzufriedenheit mit der Regierung in Kiew, aber der Drang, sich von der Ukraine zu lösen, dieses Land aufzugeben, den gibt es anscheinend nur in den Köpfen der Separatisten. Den kann ich nicht bei der Bevölkerung oder auch bei politischen Vertretern aus der Region feststellen."

Ischinger verwies auch auf das "Modell Mariupol" des Oligarchen Achmetowals Alternative zum militärischen Vorgehen. Damit kritisiert er indirekt die Übergangsregierung, rechte Milizen und andere Oligarchen, die auf eine militärische Lösung des Konflikts setzen. Aber dieses Modell bestätigt gleichzeitig das korrupte System, das von Oligarchen beherrscht ist. Achmetow hat sich angeblich auch nicht überreden lassen, am Runden Tisch teilzunehmen. Gegen das korrupte System von Politikern und Oligarchen hatte sich gerade ursprünglich auch die Maidanbewegung aufgelehnt, allerdings ist bereits die Übergangsregierung durchsetzt von Angehörigen des alten Systems. Und wenn Oligarch Poroschenko, wie Umfragen vermuten lassen, die Wahl gewinnen könnte, wird sich am System nicht viel ändern.