Gabriel: Keine Überwachungstechnik für Regime, die Menschenrechte verletzen

Der Wirtschaftsminister folgt einer lange erhobenen Forderung von Bürgerrechtsorganisationen, aber lässt offen, an welche Staaten er denkt - und thematisiert auch nicht die staatliche Überwachung in Deutschland

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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will, wie er kürzlich in der FAZ schrieb nicht nur den "Datenkapitalismus" bändigen, sondern auch die Freiheit des Bürgers schützen. "Entweder wir verteidigen unsere Freiheit", schrieb er unlängst, "und ändern unsere Politik, oder wir werden zu digital hypnotisierten Mündeln der Datenherrschaft." Und es klingt schön, wenn er gegen die Unternehmen eine Wiedergewinnung der Datenautonomie fordert: "Die Regel heißt: keine Erfassung, keine Verarbeitung und keine Profilbildung, die vom Bürger nicht ausdrücklich autorisiert worden ist." Aber man vermisst, dass es bei der "Zukunft der Demokratie im Zeitalter der Digitalisierung" auch um eine längst fällige Begrenzung der staatlichen Überwachung geht. Gabriel zieht gegen Google und Co. zu Felde, die NSA erwähnt er nicht einmal.

Immerhin hat der Wirtschaftsminister, der gerade Rüstungsexporte im Wert von über einer Milliarde Euro auch an Staaten wie Saudi-Arabien angeblich genehmigen musste, weil diese auf Entscheidungen der schwarz-gelben Regierung zurückgingen, nun angekündigt, den Export von Überwachungstechnik stärker einschränken zu wollen.

Zwar fallen, wenn auch erst seit 2012, nach dem Wassenaar-Abkommen Überwachungs- und Störtechnik für die mobile Telekommunikation wie IMSI-Catcher oder Abhörsysteme unter die beschlossenen Exportkontrollen und seit Ende des letzten Jahres auch IP-basierte Überwachungssysteme, mit denen sich ein ganzes Netz überwachen, Metadaten und Content analysieren und abspeichern sowie Suchen ausführen und Verbindungsnetze erstellen lassen können. Also eben Systeme, wie sie aus Deutschland in Länder wie Iran, Syrien, Ägypten, Katar oder Bahrain gelangen. Beispiele sind Überwachungssysteme wie Monitoring Center von Nokia Siemens Netzwerke, später Trovicor, die in Iran, Bahrain und Syrien eingesetzt worden sein sollen. Trovicor wurde von den Reportern ohne Grenzen daraufhin zu einem "Feind des Internet" erklärt. Ebenfalls 2013 wurde "Intrusion software" in die Wassenaar-Liste aufgenommen, also beispielsweise Trojaner.

Das Wassenaar-Abkommen dient allerdings nur der "erhöhten Transparenz", für die beschlossenen Warenlisten sollen die Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung Exportkontrollen durchführen. Jetzt also will Gabriel also die Exportkontrollen für Überwachungstechnik in autoritäre Staaten verschärfen und damit in der EU vorpreschen. Angeblich seien bereits, wie NDR, WDR und SZ berichten, schon einige Lieferungen aufgehalten worden. "Autoritäre Regime unterdrücken ihre Bevölkerung schon lange nicht mehr nur mit Panzern und Maschinengewehren, sondern zunehmend auch mit Internet-Überwachungstechnologie", so Gabriel. "Wir wollen den Export solcher Technologien in Länder stoppen, die Bürgerrechtsbewegungen unterdrücken und Menschenrechte nicht akzeptieren."

Was fehlt, ist freilich eine Liste der Länder mit problematischer Menschenrechtslage, in die Überwachungstechnik nicht mehr exportiert werden soll. Es wird interessant werden, ob Gabriel hier auch den Mut hat, autoritäre Staaten zu benennen, mit denen Deutschland ansonsten wie mit Saudi-Arabien oder Bahrain gute Geschäfte macht. Wie sieht es mit Russland oder China aus? Mittlerweile ist auch die Türkei mehr und mehr zum Überwachungsstaat geworden, geht gegen Oppositionelle vor und übt Internetzensur aus. Sollte auch ein Nato-Land künftig unter die Exportkontrollen fallen können?

Reporter ohne Grenzen begrüßen die Ankündigung von Gabriel, dies sei ein erster Schritt, wichtig aber sei eben, für welche Ländern der Exportstopp überhaupt umgesetzt werde. Christian Mihr, Geschäftsführer von ROG: "Viele Regierungen bringen nicht zuletzt mit Hilfe westlicher Überwachungstechnologien kritische Journalisten und Blogger zum Schweigen. Deshalb setzen wir uns seit langem dafür ein, dass solche Technologien nicht in Staaten exportiert werden dürfen, die Pressefreiheit und andere Menschenrechte mit Füßen treten."

Die Organisation ist der Meinung, Überwachungstechniken, mit denen etwa wie mit einem "Staatstrojaner" Festplatten durchsucht, verschlüsselte Mails mitgelesen oder Dateien verändert werden können, "die gleichen Kriterien angelegt werden wie beim Export klassischer Kriegswaffen". Der zivile Nutzen sei begrenzt. Gleichwohl wird darauf hingewiesen, dass der Einsatz auch in demokratischen Rechtsstaaten problematisch sei: "In Deutschland hatte sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Online-Durchsuchung 2008 ausführlich mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Dabei kamen die Richter zu dem Ergebnis, dass der Einsatz solcher Technologie schon in einem demokratischen Rechtsstaat wie Deutschland hochproblematisch und deshalb nur unter sehr engen technischen und rechtlichen Vorkehrungen zulässig ist."

Gabriel, einst Befürworter der Vorratsdatenspeicherung, erwähnt denn auch mit keinem Wort, wie es denn mit dem Export von Überwachungstechnik etwa in die USA oder nach Großbritannien steht. Bei beiden Ländern handelt es sich zwar um Demokratien, aber nach den von Snowden geleakten NSA-Dokumenten bemüßigen sich deren Geheimdienste einer massenhaften, also Grundrechtsverletzenden Überwachung im Falle der Amerikaner auch von deutschen Boden aus. Die USA nutzen Überwachungstechniken überdies, um Menschen in Pakistan, Jemen oder anderswo auszumachen, zu verfolgen, zu lokalisieren und zu töten, was gegen Prinzipien des Rechtstaates und der Menschenrechte verstößt. Sollten Exportkontrollen auch gegen solche demokratischen Länder umgesetzt werden, denen sich Menschenrechtsverletzungen vorwerfen lassen?

Überdies wäre es an der Zeit, nicht nur Exportkontrollen für Überwachungstechnik einzuführen, die stets mit vielen Ausnahmen verbunden sein und zudem unterlaufen werden, sondern überhaupt zu diskutieren, welche Überwachungstechniken hierzulande entwickelt und eingesetzt werden dürfen bzw. sollen. Bislang ist stets der Trend, dass weitergehende Bestrebungen vom Verfassungsgericht eingeschränkt werden müssen, eine wirklich an der Bewahrung und der Stärkung der Bürgerrechte interessierte Politik muss der privatwirtschaftlichen und staatlichen "Datenherrschaft" bzw. deren Datenhunger Grenzen setzen. Vielleicht ist der Vorstoß von Gabriel, nimmt man seinen FAZ-Artikel mit der Ankündigung von Exportkontrollen zusammen, ein erster Schritt in diese Richtung. Die Hoffnung ist allerdings erst einmal gering, die Probleme der staatlichen Überwachung im eigenen Land waren Gabriel keine Überlegung wert.