Montagsdemos unter Feuer

Beim Streit um die Bewertung der aktuellen Montagsdemonstrationen geht es weniger um Inhalte als um verpasste Debatten und verschiedene Milieus. Ein Kommentar

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Das Unverständnis ist groß. Wer sind bloß diese Leute? So oder ähnlich taucht die Frage immer wieder in Berichten und Analysen auf, die sich mit den aktuell in mehr als 50 deutschen Städten stattfindenden "Montagsmahnwachen für den Frieden" auseinandersetzen. Am Montag wehrte sich auch Außenminister Steinmeier bei einem Wahlkampfauftritt in Berlin in einer Wutrede direkt gegen Demonstranten, die ihn als "Kriegstreiber" angegriffen hatten. Steinmeier warf ihnen seinerseits Eskalation vor.

Profilbild auf der Facebookseite www.facebook.com/montagsmahnwache

Viele Kommentatoren in den Medien stehen der Bewegung, die allein in Berlin Woche für Woche mehrere tausend Menschen auf die Straße bringt, mit großer Skepsis gegenüber. Auslöser des verbreiteten Unbehagens scheinen vor allem Protagonisten wie Ken Jebsen oder Jürgen Elsässer zu sein, denen immer wieder versteckter Rechtsextremismus unterstellt wird. Aber geht es im Kern wirklich nur um diese Personen? Oder treffen hier nicht auch Gruppen aufeinander, die sich bislang wenig zu sagen hatten?

Einen besonders markanten Medienbeitrag zu den Montagsdemonstrationen lieferte am vergangenen Sonntag das Magazin Spiegel TV. Dort war schon in der Anmoderation von "abstrusen Monstertheorien" sowie den "Montags-Schwarzmalern vom Potsdamer Platz" die Rede, welche - so die Moderatorin Maria Gresz - allesamt "einen Hau" hätten.

Etwas differenzierter berichtete am Montag das 3Sat-Magazin "Kulturzeit". Die Autoren Katja und Clemens Riha, bekannt unter anderem durch ihre kritische und vielschichtige Berichterstattung zum Buback-Prozess, waren einerseits erkennbar um ein Verständnis der Bewegung bemüht, misstrauen ihr aber andererseits offenbar auch. Im 3Sat-Bericht - der zu einer Flut von Protestkommentaren führte, zu denen die Redaktion am Dienstag auch Stellung nahm - schimmerte zumindest viel Argwohn durch. So hieß es dort:

Viele Redner loben zudem Putin. Auffällig sind professionell gestaltete Plakate. Sie beschwören eine deutsch-russische Freundschaft. Russische Medien berichten immer wieder über die Montags-Mahnwachen.

Die Formulierung legt nahe, der Protest könne von Moskau gesteuert sein. Ähnliche Vermutungen kursierten in den Medien auch bereits angesichts des Ausmaßes kritischer Leserkommentare zur Ukraine-Berichterstattung in den Online-Ausgaben von Spiegel, Zeit und Co. Auch diese massive Kritik der Leser schien vielen nur schwer begreiflich.

Der im 3Sat-Bericht zu Wort kommende Soziologe und Rechtsextremismusexperte Alexander Häusler versuchte sich an einer wissenschaftlichen Einordnung der Bewegung, scheiterte dabei aber schon sprachlich:

Ich kann da weder ein einheitliches Weltbild, geschweige denn eine irgendwie einheitliche, klare politische Programmatik erkennen. Wobei der klassische Antiamerikanismus begleitet mit durchaus Zuschreibungen, was zum Beispiel Zuschreibungen von Finanzeinflüssen angeht, auch durchaus antisemitische Tönungen mit aufweist - dass diese Feindbilder quasi diese Leute einigen. Das heißt also, dass diese Bewegung in ihren diffusen Feindbildsetzungen quasi so einen einigenden Charakter bekommt.

Die Probleme mit der Grammatik spiegeln eine geistige Unsicherheit und Irritation, die erklärungsbedürftig ist. De facto ist die gestotterte Aussage des Soziologen zunächst auch als Projektion eigenen Verhaltens kenntlich: Die Feindbildsetzung, die man anderen unterstellt, praktiziert man zunächst einmal selbst. Der vermeintlich unterschwellige Rechtsextremismus der "Anderen" hilft so bei der Interpretation einer Gruppe, die man schlicht nicht versteht.

Kürzlich versuchte sich die Berliner Zeitung an einer vorsichtigen Erklärung:

Offenbar ist es das, was all die Demonstranten vereint: Das Bewusstsein, dass die Dinge falsch laufen - und das Parteiensystem sie eher verschlimmert. Dass die Politik zu schwach ist, sich gegen die Macht der Wirtschaft zu wehren. Und die Medien eher gemeinsame Sache mit dieser Elite machen, indem sie bestenfalls Showkämpfe der Parteipolitiker inszenieren. Dieser Frust ist nicht neu. Neuer ist die Idee, sich dem Machtprinzip "Teile und herrsche" zu entziehen: Sich nicht mehr in Rechts und Links teilen zu lassen. "Am Ende gewinnen wir", steht auf einem Plakat. Aber was?

Eben jene von vielen Vertretern der Bewegung verkündete Aufhebung von Rechts und Links ist es, die insbesondere Anhänger der Linken zum Widerspruch reizt - stellt sie doch deren Selbstbild infrage. Auch wenn einige Bundestagsabgeordnete inzwischen den Brückenschlag wagen - die jetzige Sprachlosigkeit zwischen einem Teil der Linken und den "Montagsdemonstranten" spiegelt im weiteren Sinne wohl einfach eine über Jahre hinweg verpasste Debatte.

Ohne Frage haben große Teile der Linken relevante Fragen der Gegenwart bis heute eher ignoriert als diskutiert. Zu nennen wären Themen wie Geopolitik und False-Flag-Terror, aber auch eigentlich klassisch linke ökonomische Fragen zur Bankenmacht, der Rolle des Geldsystems oder dem, was der Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski als "Power Structure Research" bezeichnet. Dass all diese Felder zumindest im linken medialen Mainstream weitgehend unbestellt blieben und deren Protagonisten stattdessen in konsequenter Einfalt zu "Verschwörungstheoretikern" erklärt wurden, ist sicher auch eine Erklärung für das jetzige Fremdeln mancher gegenüber den Demonstranten.

Vorbei die Zeiten, als kontroverse Diskurse über Elitenmacht und gelenkte Demokratien noch als Speerspitze des kritischen Journalismus im Spiegel erschienen, wie etwa in den 1970er Jahren vom allseits angesehenen Journalisten Wilhelm Bittorf. Heute würde dieser (2002 verstorbene) Kollege dort wohl angesichts seiner "Verschwörungstheorien" kaum noch eine Volontärsstelle bekommen.

Solche Diskurse werden zu allen Zeiten selbstverständlich auch von Rechtsradikalen geführt. Und dass daher nun auch rechte Ideologen ein Interesse daran haben, unter dem Schirm der Montagsdemo-Bewegung unterzukommen, ist zu erwarten - und betrifft zugleich und unvermeidlich jede Bewegung, die massenwirksam sein will, ohne sich zugleich als traditionell links zu verorten.

Eine Person wie Jebsen allerdings als "rechts" oder "neu-rechts" zu bezeichnen, erscheint in jedem Fall absurd, wie auch ein aktuelles ausführliches Gespräch zwischen ihm und dem linken Aktivisten Pedram Shahyar (der die Montagsdemonstrationen mittlerweile unterstützt), deutlich macht. Darin geht Jebsen auch noch einmal im Detail auf den häufig vorgetragenen Antisemitismus-Vorwurf gegen ihn ein, der ursprünglich vom Publizisten Henryk M. Broder lanciert worden war.

Entscheidender als Personalfragen aber wird am Ende sein, welche Thesen und Forderungen von den Demonstranten insgesamt formuliert werden. Bislang sind als allgemeiner Tenor vor allem die Medienkritik sowie die Ablehnung eines drohenden Krieges erkennbar.

Dass somit die Medien selbst im Zentrum der Ablehnung stehen, ist natürlich ein weiterer Grund für die Skepsis vieler Journalisten gegenüber den Demonstranten. Aber ohne eine Debatte auch eigener Versäumnisse und Fehler in den Redaktionen wird es hier kaum zu einer produktiven Auseinandersetzung kommen. Dann bliebe es weiter beim "wir" gegen "die" - vermeintlich "Aufgeklärte" gegen vermeintliche "Rechtspopulisten". Was den Verursachern der Krise sicher nicht ungelegen käme.