Ukraine: Oligarch versucht sich in Konfliktlösung

Die Entwicklung in der Ukraine lässt ein Revival der versandeten Orangen Revolution erwarten, möglicherweise eröffnet ein vom Parlament verabschiedetes Memorandum einen Weg aus der Krise

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Nun wird offenbar in der Ukraine die Rückkehr der Oligarchen auch vom Westen als große Befreiung und als wichtiger Schritt hin zu einer Demokratie gefeiert. Während der milliardenschwere Oligarch Poroschenko ("Schokoladenkönig") gute Chancen hat, bei den wie immer auch durchgeführten Präsidentschaftswahlen als Sieger hervorzugehen, rüstet der von der Übergangsregierung als Gouverneur in Dnipropetrowsk eingesetzte Oligarch Igor Kolomoiski private Milizen aus und hat die Zentrale des Rechten Sektors in der Stadt aufgenommen, die dort auch Kampfeinheiten (Bataillon mit "Schwarzen Männern") trainiert haben.

Der Oligarch Rinat Achmetow ruft zu Protesten gegen die Separatisten auf, aber auch die eigenen Arbeiter scheinen keine Lust auf Gehorsam zu haben

Besonders angetan ist man von Rinat Achmetow, dem reichsten Mann der Ukraine, lange Zeit ein Steigbügelhalter des gestürzten Janukowitsch und Mitbegründer der Partei der Regionen. Er hat sich lange Zeit gegen die Maidan-Bewegung ausgesprochen und sich dann beim Erstarken der Separatisten und Kiew-Oppositionellen eher zurückgehalten. Offenbar hat er nun gesehen, dass die militanten Separatisten wenig Rückhalt in der Bevölkerung haben, auch wenn diese zu großen Teilen die Übergangsregierung in Kiew ablehnt und mehr Autonomie begehrt, aber nicht zu Russland will. Ein Anschluss der Ostukraine an Russland würde auch den Einfluss und die Geschäfte von Achmetow schaden, dessen Unternehmen weniger mit Russland als mit Europa verbunden sind.

Achmetow, der über eine "Armee" von 300.000 Arbeitern verfügt, hat offenbar erst einmal im Verborgenen seinen Plan vorbereitet. Während in Kiew kurz vor dem Sturz viele Abgeordneten der Partei der Regionen schnell das Lager gewechselt haben, hat der Oligarch Verhandlungen mit den Separatisten aufgenommen und wohl auch versucht, diese mit Versprechungen auf seine Seite zu ziehen, während er gleichzeitig den Anhängern Geld geboten hat, sich von den Militanten zu lösen. Nach Pavel Gubarev, dem Gouverneur der "Volksrepublik", hat der Oligarch die Separatisten sogar zu Beginn finanziert., was dieser aber abstreitet.

Das "Modell Mariupol" dürfte mittels Geld reüssiert sein, wo die Separatisten auch nicht so stark wie in Donezk oder Lugansk waren. Offenbar hatte er es erreicht, dass die Separatisten sich zurückzogen, die besetzten Gebäude verließen und es duldeten, dass die Barrikaden von den Arbeitern des Oligarchen geräumt wurden. Anschließend schickte er unbewaffnete Arbeiter gemeinsam mit Polizisten auf Streife, während er nicht zuließ, dass Armee und Nationalgarde bzw. westliche Milizen in die Stadt eindrangen. So konnte er friedlich die Ordnung wiederherstellen, aber gleichzeitig seine Macht auch gegenüber Kiew demonstrieren.

Der Erfolg führte offenbar zum nächsten Schritt. Am Montag rief er sein Arbeiterheer dazu auf, am Dienstag ab 12 Uhr bis 15 Uhr im Donbass Donezk einen "friedlichen Warnprotest" vor den Betrieben gegen die Separatisten auszuführen, die er als Banditen und Plünderer bezeichnete. Man darf davon ausgehen, dass es in seinen Betrieben entsprechende Anweisungen gab und er auch Geld fließen ließ (wie dies auch bei den Antimaidan-Protesten gewesen war, als die Partei der Regionen und Achmetow Arbeiter aus dem Osten nach Kiew brachten). Er erklärte, dass eine friedliche Demonstration seiner Arbeiter in Mariupol, die am Montag stattfinden sollte, abgeblasen wurde, weil angeblich Bewaffnete auf die Demonstranten schießen wollten.

Daher rief er zum Protest am Dienstag um 12 Uhr auf. Zu dem Zeitpunkt sollte eine Sirene den von ihm inszenierten Protest ankündigen, der dann täglich stattfinden soll, bis "Frieden" eingekehrt sei. Alle Patrioten und auch alle Autobesitzer sollen sich beteiligen, letztere mit Betätigung der Hupen. Der Oligarch kann sicher auf einen Teil seiner Arbeiter zählen, die ihre Arbeitsplätze nicht riskieren wollen und Angst davor haben, wie es wirtschaftlich mit den Separatisten weitergeht. Achmetow erklärte, die Separatisten hätten keine Ahnung von der Wirtschaft. Zudem hat er sicher recht, dass die Mehrzahl der Menschen nicht mehr unter "Angst und Terror" leben will und keine Lust haben, auf der Straße in Schießereien zu geraten.

Besonderen Erfolg scheint Achmetow jedoch nicht gehabt zu haben, berichtet die nicht Moskau- oder Separatistenfreundliche Zeitung Kyivpost.com. In Donezk sollen gerade einmal tausend Arbeiter im Fußballstadion, das dem Oligarchen mitsamt dem zugehörigen Fußballverein gehört, aufgetaucht sein. Sie blieben keine 3 Stunden, sondern zogen schon nach 15-20 Minuten wieder ab und stiegen in die bereitstehenden Busse, wie auch andere Medien bestätigen. Allerdings haben viele der vorbeifahrenden Autos gehupt. Nach einer Meldung von Achmetows Konzern SCM hätten "eine Million der Angestellten" gestern "gegen Gewalt und Chaos" im Donbass protestiert, was doch etwas übertrieben sein dürfte. Heute versicherte er in einer weiteren Ansprache, dass er immer den Menschen im Donbass "gedient" habe und dass die Menschen im Donbass "immer in seinem Herzen" seien. Die Leute der "Volksrepublik Donezk" würden hingegen die Menschen betrügen, sie hätten den Donbass zur Geisel genomme und würden ihn terrorisieren: "Ich glaube, sie werden hier schnell hinausgeschmissen werden."

Aber solche inszenierten Proteste, die noch dazu mangels Masse scheitern, schwächen den Fadenzieher. Gut möglich, dass die Menschen, gleich ob Pro-Maidan oder Anti-Maidan, die Herrschaft der Oligarchen und damit das korrupte System ablehnen. An dem muss Achmetow festhalten, schließlich sind alle Oligarchen auf krummen Wegen zu Macht und Reichtum gekommen. Schon am 14.5. hatte der Oligarch seine Position klar gemacht, dass er weder die Volksrepublik der Separatisten noch den Anschluss an Russland oder den Erhalt des Status quo will, sondern die Einheit einer dezentralisierten Ukraine, wo er, was er natürlich nicht sagte, den Donbass weiter und besser als bislang beherrschen könnte.

Gegen die Verdammung der Separatisten nun Denis Puschilin, der Führer der "Volksrepublik Donezk", erklärt, dass es nun klar sei, auf welcher Seite Achmetow stehe. Er kündigt an, die Unternehmen des Oligarchen würden verstaatlicht, da der Oligarch der "Volksrepublik" keine Steuern zahlen wolle. In Donezk scheinen die Separatisten weiter ungestört agieren zu können.

Angeblich war in Donezk für heute der dritte Runde Tisch geplant worden. Das hatte der von Kiew eingesetzte Gouverneur Serhiy Taruta, ein Oligarch natürlich, angekündigt. Aus unbekannten Gründen wurde er abgesagt und soll nun in Mykolaiv, in der Südukraine, stattfinden.

Der Rechte Sektor feiert Kämpfer der freiwilligen UNA-UNSO-Brigade.

Kiew und Separatisten zeigen erstmals Kompromissbereitschafty

Es gibt allerdings einen kleinen Hoffnungsschimmer, der nicht aus der Hand der Oligarchen stammt, sondern aus dem Parlament, der Rada in Kiew. So haben sich die Abgeordneten gestern auf ein "Memorandum der Einheit" geeinigt, das von der Partei der Region eingereicht wurde. Übergangspräsident Turtschnow, der auch Sprecher der Rada ist, sagte gestern Abend, dass das Memorandum verabschiedet wurde, das Gesetzeskraft hat. Unterstützt werden der Runde Tisch, die Einheit der Ukraine und die Präsidentschaftswahl. Eine "sofortige" Verfassungsreform soll die Dezentralisierung einleiten und regionale Volksabstimmungen ermöglichen.

Nach diesem Memorandum sollen die an der "Antiterroroperation" beteiligten ukrainischen Truppen wieder in ihre Stützpunkte zurückkehren, die "Antiterroroperation" würde beendet werden, während diejenigen, die Morde und schwere Verbrechen während der Massenproteste begangen haben, zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Die Truppen sollen allerdings erst abgezogen werden, wenn die Waffen niedergelegt, die besetzten Gebäude geräumt und alle Geiseln befreit wurden. Verlangt wird die Entwaffnung aller irregulären Kräfte, offen bleibt, ob darunter auch Milizen der Westukraine fallen. Das gilt auch für die Forderung, dass alle Gebäude, Straßen und Plätze geräumt werden müssen. Zudem sollen die Regionen durch eine Verfassungsänderung mehr Autonomie erhalten, die ukrainische Sprache würde Amtssprache bleiben, die Rechte der Minderheitssprachen müssten gewahrt werden, der Status der russischen Sprache soll gesichert werden.

Zunächst war eine Amnestie für die bewaffneten Separatisten enthalten gewesen, die ihre Waffen niederlegen. Das hat die Rada doch nicht verabschieden wollen. Auch die Vorkehrung, sich keinem Staatenbund anzuschließen, wurde fallen gelassen. Insgesamt erinnert das Memorandum an das Genfer Abkommen, das sein Papier nicht wert war, weil sie Kiew zu viel offen gelassen hat. Das dürfte auch hier wieder der Fall sein. Zudem ist fraglich, welche Macht die Rada gegenüber den Oligarchen hat. Vertritt sie das Volk oder nur deren unterschiedliche Interessen?

Vertreter der "Volksrepublik Donezk" haben erstmals erklärt, mit Kiew verhandeln zu wollen, allerdings fordern sie, dass zuerst die Truppen abgezogen werden. Die Gewährung der Amnestie und der Rückzug der Truppen dürften vorerst der Knackpunkt bleiben, da weder die Truppen noch die Milizen größere Erfolge in der Ostukraine melden können. Es gehen Gerüchte um, dass die Separatisten einen Korridor errichten wollen, um bei Gefahr nach Russland fliehen zu können.