Nordirak: Türkei nur in der zweiten Reihe?

US-Army, "Mosul-Offensive", Oktober 2016. Bild. US-Army/gemeinfrei

Umwege in der Intervention sind angesagt. "Im Notfall werden wir Maßnahmen ergreifen", kündigt Ministerpräsident Binali Yildirim an

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Die Offensive auf Mosul läuft. Nach offiziellen Angaben sind während der ersten fünf Tage 75 Dörfer befreit und 772 Kämpfer des sogenannten IS getötet worden. Mosul stellt eine für alle Regionalmächte bedeutende Stadt dar. So auch für die Türkei. Wie in Nordsyrien möchte Erdogan auch im Nordirak sein Territorium ausweiten, ganz im Sinne seines neo-osmanischen Projektes. Im Unterschied zu Syriens Regierung ist es der irakischen Regierung jedoch gelungen, die Türkei bei der Rückeroberung Mosuls und der Region Shengal in die zweite Reihe zu beordern.

Der irakische Präsident Al Abadi bedankte sich für das Angebot Erdogans, die Eroberung Mosuls mit aktiv zu unterstützen, lehnte dies jedoch nach einem Gespräch mit US-Verteidigungsminister Carter ab. Erdogan ist erbost. Schließlich betrachtet er irakisches Gebiet von Mosul bis nach Kirkuk als potentielles türkisches (Einfluss-)Gebiet - im Geiste des osmanischen Reiches. Dass er sein Land ins politische Abseits bugsiert, scheint er ob seines Größenwahns und seiner Kurdenphobie nicht wahrzunehmen.

Der Einmarsch türkischer Truppen im Verbund mit islamistischen Milizen ins syrische Jarablus Ende August sollte der Auftakt sein, um die türkische Einflusssphäre auszudehnen. Ilham Ahmed, die Kovorsitzende des Demokratischen Rates Syriens erklärte, dass Erdogans Ziele nicht nur auf Syrien beschränkt sind. "Er will die gesamte Region zwischen Aleppo und Mosul sowie Mosul selbst."

Dieses Ziel formulieren regierungsnahe Medien in der Türkei ganz offen: "Eine türkische Teilnahme an der Militäroperation würde 'einen frischen Wind nicht nur nach Mosul, sondern in die gesamte Gegend bringen", kommentierte Mahmut Övür in Daily Sabah", zitiert die Junge Welt.

Permanente Erfolgsmeldungen

Kurz vor Beginn der Offensive log sich dann auch der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim die Realität zu recht. Auf der Fraktionssitzung der islamisch-konservativen AKP sagte er: "Unsere Luftwaffe hat sich im Rahmen der Koalitionskräfte außerdem an den Luftschlägen beteiligt. Die, die sagen, die Türkei habe in Mosul nichts verloren, haben ihre Antwort erhalten."

Davon wusste aber offensichtlich außer Yildirim niemand etwas, so dass er auf Nachfrage zurückrudern musste. Auf die Frage, ob türkische Kampfflugzeuge an der Operation beteiligt seien, antwortete er:

Wenn es notwendig ist, werden sie das ohnehin sein. Es gibt ein Abkommen, wonach sie prinzipiell an der Koalition beteiligt sind.

Binali Yildirim

Immer wieder vermeldet die Türkei eine Beteiligung im Einsatz auf Mosul. Aufgrund der Dementi von allen anderen Beteiligten bleibt der Wahrheitsgehalt solcher Behauptungen allerdings begrenzt. Möglicherweise sind diese Behauptungen auch vor allem nach Innen gerichtet, die Regierung möchte der Bevölkerung wie im Krieg gegen die kurdische Opposition sich selbst durch permanente Erfolgsmeldungen stark präsentieren - egal ob die Realität anders aussieht.

Große Teile der Bevölkerung der Türkei bekommen keine anderen Nachrichten mehr als diejenigen der Agenturen der Regierung, da alle oppositionellen Sender und Zeitungen mittlerweile entweder verboten oder unter Regierungskontrolle gestellt wurden.

US-Verteidigungsminister Ashton Carter stellte bei seinem Überraschungsbesuch in Bagdad allerdings klar, die Entscheidung, wer an der Mosul-Offensive teilnehmen soll, obliege der irakischen Regierung. Ähnlich wie in Syrien ist auch im Irak der Machtkampf zwischen dem türkisch-sunnitischen Block und dem iranisch-schiitischen Block eine wichtige Dimension des Konflikts.

"Die türkischen Soldaten werden in der Region bleiben"

Die irakische Regierung hat mehrmals deutlich gemacht, dass das türkische Militär nichts in der Region verloren hat. Der Aufenthalt der türkischen NATO Armee ist also völkerrechtswidrig und provoziert einen Krieg. Nuri Al Maliki, der Vorsitzende der gesetzgebenden Versammlung hat angekündigt, dass ein aktiver Militäreinsatz "die Türkei in eine Katastrophe stürzen" werde und auch weitere Vertreter der irakischen Regierung haben mit Krieg gedroht, wenn die Türkei ihren Einsatz fortsetze.

Binali Yildirim hat sich offen zum Bruch des Völkerrechts bekannt, indem er dem Irak die Souveränität aberkannte:

Soll die irakische Regierung sagen was sie will, soll Bagdad sagen was es will, die türkischen Soldaten werden (…) in der Region bleiben.

Binali Yildirim

Während die USA in Nordsyrien/Rojava der Türkei große Zugeständnisse gemacht haben, versuchen sie im Irak den Machteinfluss der Türkei zu begrenzen. Die beteiligten Armeen sind vom Süden aus die irakische Armee, vom Osten aus die Peschmerga, vom Norden die Peschmerga. Die HPG (PKK) und die YPG sind an dem Einsatz bisher zumindest offiziell nicht beteiligt - allerdings verteidigt die HPG Kirkuk und ist gemeinsam mit der ezidischen YBS am Schutz des Shengal Gebietes beteiligt.

Die PKK ist auch vertreten

Die PKK fordert insbesondere, dass die ezidischen Kräfte der YBS ein Recht haben, an der Befreiung Mosuls mitzuwirken, dass aber auch die HPG mitwirken können. Dass die Volksverteidigungseinheiten HPG mit offizieller Unterstützung der irakischen Regierung in Kirkuk am Kampf gegen den IS beteiligt sind, ist eine Ohrfeige für Erdogan, der seit Jahren rechtswidrig in nordirakisches Territorium mit Kampfjets eindringt und PKK-Stellungen im nordirakischen Kandil-Gebirge bombardieren lässt.

Die Guerilla ist in Kirkuk. Sie kamen nach Kirkuk und befinden sich seitdem in Stützpunkten und Stellungen und dies auf Erbitten des Gouverneurs von Kirkuk, Necmettin Kerim, sie halfen und helfen den Peshmerga im Kampf gegen den IS.

Westa Resul, Frontkommandant der Peshmerga

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim behauptet nun entgegen anderer Meldungen, dass die USA und die irakische Regierung der türkischen Regierung zugesagt haben, dass weder die schiitische Volkswehr, noch die PKK an der Offensive teilnehmen werden. Dies berichtet jedenfalls die deutsch-russische, regierungsnahe Nachrichtenagentur sputniknews. Die Türkei hält demnach weiter am Plan fest, ebenfalls eine entscheidende Rolle in Mosul zu spielen:

Im Notfall werden wir Maßnahmen ergreifen. Wir sind dazu bereit, da die Versprechungen der USA und des Irak, dass die schiitische Volkswehr und die Arbeiterpartei Kurdistans nicht an der Militäroperation in Mosul teilnehmen werden, uns nicht zufriedenstellen.

Binali Yildirim, türkischer Ministerpräsident

Die Türkei behauptet weiterhin, sich an Angriffen auf den IS in Mosul effektiv zu beteiligen. Wie die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf ANF schreibt, hätten die Peschmerga der KDP die Türkei zum Eingreifen gebeten, während die KDP dies dementiert.

Erdogan und die Kontrolle von Mosul durch Barzani

ANF will beobachtet haben, wie IS-Stellungen vom türkischen Trainingslager aus beschossen wurden. Damit würde die KDP erneut ihr Bündnis mit der AKP-Regierung der Türkei deutlich machen und zeigen, dass Barzani die Unabhängigkeit Südkurdistans vom Irak auf der Basis einer Abhängigkeit zur Türkei zu errichten sucht.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Barzani zuvor ein Dekret erlassen hat, dass im Zusammenhang mit der Befreiung Mosuls nur der Name der "Peschmerga" fallen dürfe. Dies weckt den Verdacht, dass für Erdogan die Kontrolle von Mosul durch Barzani durchaus interessant sein könnte, da die Stadt damit quasi zum türkischen Klientelbereich gehören würde.

Verwaltungstechnisch erinnert dies an die relative Unabhängigkeit der Provinzen des osmanischen Reiches.