"Amerika muss immer führen"

US-Präsident Barack Obama meldet in einer Grundsatzrede den globalen Führungsanspruch der USA an und will dabei nicht alleine auf militärische Macht setzen

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Nach dem großen Druck, den das Weiße Haus im Rahmen der Ukraine-Politik nicht nur auf Russland, sondern gleichermaßen auf die EU, die Nato, die OSZE und den IWF ausgeübt hatte, war schon klar geworden, dass der wegen seiner bislang eher zurückhaltenden Außenpolitik in den USA unter Kritik stehende US-Präsident Barack Obama versucht, den Schalthebel wieder umzuwerfen und zur Durchsetzung der US-Interessen einen dritten Weg zwischen Isolationismus und Interventionismus zu gehen.

US-Präsident Obama bei seiner Rede vor den Absolventen der Militärakedemie West Point. Bild: DoD

In einer Grundsatzrede zur Außen- und Verteidigungspolitik vor der Militärakademie West Point meldete Obama erneut den globalen Führungsanspruch der USA an - wozu wahrscheinlich die Einschüchterungsstrategie gegenüber Russland, die Eindämmungspolitik Chinas und der Versuch gehört, die Nato-Mitgliedsländer zu höheren Verteidigungsausgaben und stärkerem militärischen Engagement zu nötigen. "Amerika muss immer auf der Weltbühne führend sein. Wenn wir es nicht machen, wird es niemand machen." Das Militär sei dafür zentral, könne aber nicht das einzige Mittel sein.

Wenn allerdings zentrale Interessen dies verlangen, werden die USA, droht Obama, immer auch militärisch und notfalls auch unilateral handeln. Und er machte klar, dass hier die Vereinigten Staaten über allem stehen und internationale Abkommen nichts gelten: "Die internationale Meinung ist wichtig, aber Amerika sollte niemals um Erlaubnis bitten, um unsere Leute, unsere Heimat oder unsere Lebensweise zu schützen." Wenn die USA nicht direkt bedroht sind, müsse man aber die Schwelle für militärisches Eingreifen höher als bislang setzen. So lange es zu den US-Interessen passt, müsse man aber Koalitionen bilden und die internationalen Organisationen stärken. Immerhin sagt er auch mit Blick auf die Bush-Zeit, dass der Einfluss der USA stärker sei, wenn sie als Vorbild auftreten und sich an die eigenen Regeln halten. So verspricht er, weiter an der Schließung von Guantanamo zu arbeiten und die Regeln für die globale Überwachung zu verändern, um Partner nicht zu verärgern. Konkret wurde er hier sicherheitshalber nicht.

Der Friedensnobelpreisträger hatte zwar die Kriege seines Vorgängers weitergeführt, aber bei Amtsantritt den Rückzug aus Afghanistan und dem Irak angekündigt. Aus dem Irak sind die Amerikaner ganz abgezogen, weil kein Abkommen mit der irakischen Regierung zustande kam. Der Abzug aus Afghanistan steht bevor, hier sollen aber 10.000 US-Soldaten weiter im Land bleiben. Bin Laden gebe nicht mehr, al-Qaida sei in Afghanistan und Pakistan "dezimiert".

Gerade hatte Obama das Ende des Afghanistan-Kriegs erklärt und dabei gesagt, es sei leichter Kriege zu beginnen, als sie zu beenden. Kriege im 21. Jahrhundert würden nicht mehr durch Friedensabschlüsse, sondern durch "entscheidende Schläge gegen unsere Feinde, den Übergang zu gewählten Regierungen und Sicherheitskräften beendet, die trainiert wurden, die Führung und schließlich die gesamte Verantwortung zu übernehmen". Das allerdings ist eine Verklärung, die kaum je für Amerikas Kriege zugetroffen hat, schon gar nicht für den Irak, und natürlich hinter der Rhetorik der Demokratisierung die US-Interessen versteckt. Wie weit sich die bislang korrupte Regierung verbessert und ob die Sicherheitskräfte den Schutz vor den Taliban nach dem Abzug der Isaf-Truppen gewährleisten können, muss erst noch abgewartet werden.

Jubel der neuen Offiziere, den Dienst in der Führungsmacht USA antreten zu können. Bild: DoD

Die USA wollen in Afghanistan eine starke Militärpräsenz beibehalten, erst kürzlich wurde eine Vereinbarung über die Einrichtung von Stützpunkten auf den Philippinen abgeschlossen. Das US-Militär hat weiterhin Hunderte von Stützpunkten weltweit. Aber Obamas Strategie war eher, zwar auf militärische Präsenz, aber nicht mehr auf massive militärische Gewalt zu setzen, die er als "militärische Abenteuer" bezeichnet, sondern auf weltweite Überwachung und Informationshoheit, auf verdeckte Einsätze von Geheimdiensten und Spezialeinheiten, auf gezielte Tötungen mittels Drohnen.

Es geht für ihn darum, den Einfluss der USA weltweit auszudehnen, "ohne Streitkräfte auszusenden, die unser Militär schwächen oder lokale Ressentiments schüren". Das ist ein ganz pragmatischer Ansatz, zu dem auch gehört, auf die hohen Kosten von Militäreinsätzen zu verweisen (die Bush-Regierung hatte in Bezug auf den geplanten Irak-Krieg noch von Peanuts gesprochen). Für den Ausbau der globalen Dominanz muss aber weiterhin der Terrorismus herhalten, der eben auch weltweit und dezentral geworden sei. Und so will er 5 Milliarden US-Dollar in eine "Antiterror-Partnerschaftsprogramm" investieren, um in anderen Ländern Sicherheitskräfte auszubilden, die stellvertretend den Krieg gegen die Terroristen führen.

Er sprach nicht mehr vom Globalen Krieg gegen den Terrorismus, sondern versuchte, die den Schwerpunkt der Außenpolitik von Europa und dem Nahen Osten weg in den pazifischen Raum zu verlegen, um den Konkurrenten China einzudämmen. Das Abkommen mit den Philippinen diente diesem Zweck. Und die Gunst der Stunde nutzte Obama, um Russland über den Ukraine-Konflikt mit dem Wiederaufwärmen des Kalten-Kriegs-Szenarios und dem Kampf um Energieressourcen zurückzudrängen und das alte Europa, das seit dem Irak-Krieg distanzierter war, wieder sicherheits- und wirtschaftspolitisch unter die Führung der USA zu bringen. Obama spricht hier von einer gelungenen "Mobilisierung der Weltmeinung und der internationalen Institutionen" Der Ukraine-Konflikt ließ auch das durch Snowden aufgekommene Misstrauen schnell vergessen machen.

Die "unverzichtbare Nation", ohne die es nicht geht

Jetzt also erhebt Obama - auch gegen seine innenpolitischen Widersacher und angetrieben durch seine teils neokonservativen Berater - wieder Anspruch auf die Führungsmacht der USA. Sein neues "Projekt für ein amerikanisches Jahrhundert" unterscheidet sich nicht ganz vom Fahrplan, den Bush verfolgt hat, Obama will nur offene militärische Interventionen als letztes Mittel einsetzen und zieht einen Strauß an anderen Strategien wie Diplomatie, Entwicklungshilfe oder Sanktionen zur Wahrung der US-Interessen vor, auch wenn gleichzeitig möglichst wenig Einsparungen am Rüstungsetat gemacht werden, der unter Bush aufgeblähte Militär- und Sicherheitsapparat also weitgehend erhalten werden soll.

Das Androhen und Ausreizen von Sanktionen gegenüber Russland gehört ebenso dazu wie die zuvor auch mit Russland vereinbarte Vernichtung der syrischen Chemiewaffen oder die Zurückhaltung gegenüber Iran, aber eben auch die Verstärkung der US-Präsenz an den Grenzen Russlands, der Versuch, den Raketenabwehrschirm weiter in den Fußspuren von Bush auszubauen, um die Partner zu schützen und gleichzeitig unter dem eigenen Schirm zu haben, die Fortsetzung des Drohnenkriegs oder der Druck auf die europäischen Partner, sich stärker an militärischen Interventionen zu beteiligen. Das war auch ganz erfolgreich, wie man anhand der deutschen Regierung spätestens seit der Ukraine-Krise und der Sicherheitskonferenz ebenso erkennen kann wie am Stillhalten gegenüber den US-Lauschprogrammen, an den Überlegungen, von russischen Gasimporten unabhängiger zu werden, indem u.a. Schiefergas aus den USA bezogen werden könnte, oder am Freihandelsabkommen.

Die neuen Offiziere der Abschlussklasse 2014 lauschen diszipliniert der Rede von Obama und sollen die Garanten der individuellen Freiheit sein. Bild: DoD

Die von Obama inszenierte Entschlossenheit ist natürlich auch eine Geste, die vor seinem Besuch in Polen und in der Normandie zum siebzigjährigen Jahrestag des D-Day Weichen setzen will. Vor allem aber will Obama seinen Kritikern zeigen, dass er die USA nicht aus den Konflikten der Welt herausziehen will. Die USA seien in den letzten Jahren unter seiner Präsidentschaft "in vielen Hinsichten kaum je stärker im Verhältnis zum Rest der Welt" gewesen, dem amerikanischen Militär stehe keine gleichrangige Macht gegenüber, die Gefahr direkter Konflikte sei gering, die Wirtschaft weiterhin die dynamischste und innovativste. Die USA würden immer energieunabhängiger und seien der Kern zahlreicher Allianzen. Es gehe nicht um Sicherheit und geopolitische Interessen, sondern um den Völkern "Frieden und Wohlstand" zu bringen. Und er trägt noch dicker auf, was in den USA aber Tradition ist:

Die Werte unserer Gründungsväter inspirieren führende Politiker in Parlamenten und neue Bewegungen auf öffentlichen Plätzen auf der ganzen Welt. Und wenn ein Wirbelsturm auf die Philippinen trifft, Schulmädchen in Nigeria entführt werden oder maskierte Männer ein Gebäude in der Ukraine besetzen, dann schaut die Welt auf Amerika, das helfen soll. Daher sind und bleiben die Vereinigten Staaten die eine unverzichtbare Nation. Das hat für das vergangene Jahrhundert gestimmt und wird für das kommende Jahrhundert zutreffen.

Die Vereinigten Staaten sind die Macht des Guten (ebenso wie Google nichts Böses tut und erklärt: "We make money by doing good"). Obama verknüpft die Unterstützung für Demokratie und Menschenrechte nicht mit Idealismus, die nationale Sicherheit würde dies gebieten: "Demokratien sind unsere engsten Freunde und ziehen viel unwahrscheinlicher in den Krieg." Das mag schon im eigenen Fall nicht zutreffen, aber Obama muss auch zugestehen, dass man nicht nur Demokratien und demokratische Bewegungen unterstützt. Von Saudi-Arabien und Co. spricht er lieber gar nicht und erklärt anhand von Ägypten, dass man halt doch Demokratie hinter Sicherheitsinteressen rangieren lässt, aber natürlich immer auf Reformen dringt.