Die lokalen Klüngel

Städte und Gemeinden in den Klauen der Bauwirtschaft. Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr - Teil 27

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Städte und Gemeinden pfeifen auf dem allerletzten Loch. In den meisten repräsentativen Demokratien. Alle Quellen der Geldbeschaffung haben sie bis zur Neige ausgeschöpft. Jetzt bleiben nur noch die Steuern zahlenden Bürger zum Schröpfen übrig. Wieder einmal werden Gebühren und Steuern angehoben. Aber selbst das hat Grenzen. Die Gemeinden können ihre Einnahmen auch nicht über hohe Müllabfuhrgebühren oder Strafzettel für Falschparker aufbessern. Denn damit dürften sie nach Recht und Gesetz gar keine Gewinne machen. Tun sie trotzdem. Über höhere Gebühren, neue Steuern und eingeschränkte kommunale Leistungen kommt die Krise auch bei den Bürgern an. Die krampfhaften Versuche der Kommunalpolitiker, neue Geldquellen anzuzapfen, offenbaren die Hoffnungslosigkeit der Lage vor Ort.

Der kommunale Korruptionssumpf ist in Deutschland tiefer als in manchem Schwellenland. Vor allem bei öffentlichen Bauaufträgen sorgt Korruption immer wieder für Schlagzeilen. Wenn Unternehmen bei ihren Angeboten gnadenlos die Preise drücken, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen und zugleich Schmiergelder an den Auftraggeber zahlen, muss dieses Geld andernorts wieder hereingeholt werden. Bei vielen Bauprojekten verschwinden Jahr für Jahr Millionenbeträge auf unerklärliche Weise in dunklen Kanälen.

Die Baukosten bei kommunalen Projekten laufen regelmäßig aus dem Ruder, und offensichtliche Defizite in der Planung und beim Controlling scheinen in den Städten und Gemeinden niemanden mehr sonderlich zu beunruhigen. Es wäre ja albern anzunehmen, dass in den Kommunalvertretungen und -behörden grundsätzlich lauter Deppen herumsitzen, die nicht bis drei zählen können. Das wäre zwar lustig, aber eben auch völlig lebensfremd. Tatsächlich ist das gezielte Politik.

Zwischen örtlicher Wirtschaft und örtlicher Politik herrscht eine regelrechte Kumpanei, die immer wieder dazu führt, dass größere Bauvorhaben die kommunalen Kassen über alle Gebühr strapazieren. Bei kommunalen Megaprojekten laufen die Kosten nach bescheidenen ersten Kostenschätzungen so gut wie immer aus dem Ruder.

Bei allen öffentlichen Ausschreibungen ist Betrug weit verbreitet und durchaus branchenüblich. Er kann in aller Regel aber nur dann reibungslos funktionieren, wenn die lokalen Politiker und die lokalen Firmen bei den Mauscheleien unter einer Decke stecken. Und das wiederum gehört zum Alltag bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Der Bund fördert den Korruptionssumpf nach Kräften

In der Kommunalpolitik ist die Vergabe öffentlicher Aufträge, vor allem die Bauvergabe, besonders korruptionsaffin. So schätzen Brancheninsider, dass die Schäden durch Preisabsprachen bei öffentlichen Baumaßnahmen sich auf jährlich mehr als zehn Milliarden Euro belaufen.

Die hohen Auftragssummen und die Komplexität des Vergabeverfahrens, die vielfältige Manipulationsmöglichkeiten bietet, laden geradezu dazu ein. Im Umfeld der Baubranche boomt die Korruption. Hohe Summen bei Bauaufträgen verführen zu Schmiergeldzahlungen. Im öffentlichen Sektor fällt das öfter auf. Im privaten Sektor wird härter kalkuliert. Leidtragende sind stets die Steuerzahler.

Ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Finanzkrise lockerte der Bund 2009 das Vergaberecht. Seither können Ämter Aufträge bis 100.000 Euro ohne jede öffentliche Ausschreibung und bis zu einer Million Euro mit beschränkter Ausschreibung vergeben. Damit handelte man den Städten und Gemeinden die Affären und Bauskandale von morgen in einer wahren Hülle und Fülle ein.

Beliebt ist es zum Beispiel, im Leistungsverzeichnis Positionen aufzuführen, die gar nicht auszuführen sind. Darüber wird dann nur ein einziger Bieter informiert. Der kann diese Positionen dann in seinem Angebot unterbewerten und die anderen überhöht bewerten. So kommt am Ende ein günstiger Gesamtpreis heraus, und der Auftrag ist ihm sicher. Funktionieren kann das allerdings auch nur, wenn in der Baubehörde jemand mit ihm unter einer Decke steckt.

Hat ein Auftrag mehrere Bauabschnitte, werden bereits im vorangegangenen Abschnitt ausgeführte Arbeiten in der nachfolgenden Ausschreibung erneut abgefordert. Das geht ohne Probleme, weil ja die Bewerber nicht wissen können, welche Arbeiten im vorangegangenen Abschnitt durchzuführen waren. Die Arbeit wird dann zwar nicht noch einmal gemacht, wohl aber noch einmal berechnet. Auch das erfordert eine Kumpanei zwischen jemandem in der Baubehörde und der Baufirma.

Wenn die Angebote eröffnet sind, müssen bei betrügerischen Machenschaften zumindest der günstigste Bieter und die für die Prüfung der Angebote zuständigen Personen zusammenarbeiten. Das Grundprinzip besteht darin, einen Preis anzusetzen, der so niedrig ist, dass der Zuschlag garantiert ist. Während die Angebote überprüft werden, erfolgt dann eine Preiskorrektur nach oben bis kurz unterhalb des Preises des nächstniedrigen Bieters.

Die Korruption bei der Vergabe kommunaler Bauaufträge wird noch dadurch gefördert, dass die allgemeine Finanzmisere auch die Baubehörden zum Sparen zwingt. Folglich gibt es in den Ämtern kaum noch Fachleute, die Baufortschritte überprüfen können. Die Vielzahl der engagierten Subunternehmer ist bei großen Bauprojekten für Außenstehende fast unüberschaubar. Das macht Kontrollen schwierig, und die Bauaufsicht ist schlichtweg überfordert.

Die öffentliche Hand hat ihre Kompetenz als Bauherr längst abgegeben, oft an private Firmen oder im schlimmsten, aber keineswegs seltensten Fall sogar an die Auftragnehmer selbst. Das ist fatal; denn nun sind die Macher der Bauwirtschaft unter sich, in der windige Methoden schon immer zum Alltag gehörten.

Für kommunale Haushalte gilt die Faustregel: Die laufenden Einnahmen sollten stets höher als die laufenden Ausgaben sein. Aus dem Überschuss kann ein Teil der Investitionen finanziert werden.

Wenn aber die laufenden Ausgaben höher als die Einnahmen sind, muss die Lücke durch Kassenkredite gedeckt werden. Ein Kassenkredit ist so etwas wie ein Dispokredit für eine Kontoüberziehung.

Kassenkredite dürfen deshalb haushaltsrechtlich nur kurzfristig genutzt und müssen kurzfristig wieder abgebaut werden. Schon weil sie wesentlich teurer als langfristige Kredite sind. Doch das gelingt in vielen Kommunen schon seit zehn, zwanzig Jahren nicht mehr, und jedes Jahr kommen neue Kassenkredite zur Finanzierung der aktuellen Fehlbeträge und Zinsleistungen hinzu.

Die Kassenkredite werden längst schon dauerhaft zur Finanzierung der laufenden Ausgaben verwendet. Anders als den Schulden für Investitionen stehen den Kassenkrediten jedoch keine realen Werte wie Schulen, Straßen oder Kanalisation gegenüber.

In wenigen Jahren haben sich die Kassenkredite der deutschen Kommunen bis 2014 auf über 45 Milliarden Euro vervielfacht, weil die Lücke zwischen laufenden Einnahmen und Ausgaben bei einer wachsenden Zahl von größeren Kommunen immer weiter auseinander klafft.

Auch Land- und Stadträte verteilen lieber großzügige "Geschenke" an die Wähler, als sich keusch in Sparsamkeit zu üben. Selbst in den Boom-Jahren 2007 und 2008 haben nach einer Untersuchung des Bundes der Steuerzahler von 425 Städten und Gemeinden in Niedersachsen nur zwei Drittel die sprudelnden Steuereinnahmen genutzt, um einen Teil ihrer Schulden zu tilgen. 131 Kommunen nahmen sogar zusätzliche Kredite auf.

Und als die Bundesregierung 2009 mit dem Konjunkturpaket II mit vollen Händen auf Pump finanziertes Geld an die Kommunen verteilte, griffen fast alle beherzt zu - oft ohne Rücksicht auf den damit verbundenen, bis zu 25-prozentigen Eigenanteil, der später die Stadtkasse belasten würde.

Auch nutzten längst nicht alle Kommunen das Geld so klug, dass sie beispielsweise Schulen und Turnhallen wärmedämmen ließen, um im Winter Heizkosten zu sparen. Lokalpolitiker wollen lieber etwas Vorzeigbares - und spendierten ihren Vereinen neue Kunstrasenplätze oder schicke Sportanlagen mit hohen Folgekosten, bei denen sie dann pompös als großzügige Spender paradieren konnten.

Und auch wenn's um Wahlgeschenke für gute Freunde geht, stehen manche Kommunalpolitiker den gern kritisierten Kollegen in Berlin an Dreistigkeit nicht nach. Ausgerechnet die hessische Pleitestadt Offenbach verzichtete 2010 auf Einnahmen von rund einer Million Euro aus der Getränkesteuer. Die mitregierende FDP hatte den Wirten vor der Kommunalwahl versprochen, dass diese Steuer verschwinden werde.

Städte wie Braunschweig, die ihre Versorgungsbetriebe fast vollständig privatisiert haben, können nicht einmal mehr an der Gebührenschraube drehen. Und hunderte Kommunen, die mit Nothaushalten regieren, sind sowieso längst nicht mehr Herr in der eigenen Stadt.

Obwohl es der Wirtschaft wieder besser geht, ist die Finanzlage der Städte und Gemeinden weiter katastrophal. Trotz anziehender Konjunktur und sinkender Arbeitslosigkeit stiegen die Sozialausgaben 2010 auf 42,2 Milliarden Euro, 2011 erneut auf über 43 Milliarden Euro. Auch die kurzfristigen Kassenkredite erhöhten sich dramatisch auf 40,5 Milliarden Euro. Damit verfestigt sich von Jahr zu Jahr die strukturelle Unterfinanzierung.

Den Kommunen droht der Verlust der Handlungsfähigkeit. Die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben stieg 2010 auf ein Rekorddefizit von 9,8 Milliarden Euro, 2011 auf 12 Milliarden Euro. Allein die Neuverschuldung der Gemeinden und Städte belief sich über sieben Milliarden Euro. Wenn die Zinsen für Anleihen steigen, kann das schnell zu einer Schuldenspirale werden.

Fast alle Städte sind hoch verschuldet. Besonders dramatisch ist die Lage in Nordrhein-Westfalen. Von 427 Städten und Gemeinden schafften überhaupt nur 39 einen ausgeglichenen Haushalt. Die anderen müssen Rücklagen aufzehren - oder neue Schulden aufnehmen. 17 weitere Städte sind bereits überschuldet oder stehen kurz vor der Pleite.

Mehr als 130 Städte und Gemeinden stehen bereits unter verschärfter Aufsicht der Regierungspräsidenten. Oberhausen, das gerade mal 200.000 Einwohner zählt, gehört mit 1,8 Milliarden Euro Schulden zu den am höchsten verschuldeten Kommunen Deutschlands. Städte wie Hagen oder Duisburg haben bereits ihr Eigenkapital aufgebraucht und gehören faktisch den Banken.

Die Geldnot der Städte und Gemeinden ist inzwischen so groß, dass ihre Mittel zu fast 90 Prozent durch ihre Pflichtaufgaben aufgezehrt werden. Es ist nicht im Traum daran zu denken, dass man mit Sparen bei den restlichen 10 Prozent freiwilliger Leistungen die Schulden reduzieren könnte.

Nach einer Studie der Deutschen Bank können die Kommunen im Schnitt nur 25 bis 30 Prozent der Einnahmen selbst regeln, etwa über die Festsetzung der Hebesätze für Gewerbesteuer und Grundsteuer oder über Gebühren. Sie haben also selbst nur in ganz geringem Maße Einfluss darauf, wie ihre Einnahmen sich entwickeln. Wollen sie Steuern und Gebühren, bei denen sie noch Einfluss haben, nicht dramatisch anheben, stecken sie im strukturellen Defizit fest.

Einnahmen und Ausgaben der Kommunen sind durch ein enges Korsett festgelegt, das lässt ihnen wenig Spielraum für Eigenverantwortung - doch ohne diese Eigenverantwortung kommen die Vorteile eines dezentralen Staatsaufbaus nicht zum Tragen.

Frank Zipfel, Analytiker bei Deutsche Bank Research

Ein Gutteil der Einnahmen kommt über die Beteiligung der Kommunen an Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer herein. Als Ausgleich müssen sie die Gewerbesteuerumlage an Bund und Länder abführen. Und zwischen den Kommunen gibt es mit der Kreisumlage und dem kommunalen Finanzausgleich zwei weitere Umverteilungsmechanismen. Weil sie so vielfältig verflochten sind, können die einzelnen Kommunen nicht autonom agieren.

An der kommunalen Basis rächt sich die traurige Realität des nationalen Protzes zuerst durch die Zerrüttung von Städten und Gemeinden und dann an den Bürgern. Die Gebühren für Kindergärten steigen und können dennoch nicht so sehr in der Höhe getrieben werden, dass sie wenigstens die Betriebskosten decken.

Städte und Gemeinden sind so ebenso wie Bund und Länder in die Enge getrieben. Alle Möglichkeiten der Geldbeschaffung haben sie bis zur Neige ausgeschöpft. Jetzt bleiben nur noch die Steuern zahlenden Bürger zum Schröpfen übrig. Und wieder einmal werden Gebühren und Steuern angehoben.

Aber selbst das hat Grenzen. Die Gemeinden können ihre Einnahmen auch nicht über hohe Müllabfuhrgebühren oder Strafzettel für Falschparker aufbessern. Denn damit dürfen sie nach Recht und Gesetz gar keine Gewinne machen. In ihrer grenzenlosen Not reagieren Städte und Gemeinden dennoch mit drastischen Gebührenerhöhungen. Ein anderes Mittel steht ihnen kaum noch zur Verfügung.

Über höhere Gebühren, neue Steuern und stark eingeschränkte kommunale Leistungen kommt die Krise auch bei jenen Menschen an, die von Kurzarbeit, leeren Auftragsbüchern oder Vermögensschwund noch nicht gebeutelt wurden. Doch bestehende Schäden nicht zu reparieren ist ebenso eine Verschiebung von finanziellen Lasten auf künftige Generationen wie Neuverschuldung.

Die Gegenmaßnahmen wirken hilflos: Die Verwaltung spart Papier, Radiergummis, Büroklammern und Bleistifte. Die Hundesteuer soll erhöht werden und die Grundsteuer auch. So werden die Steuergeschenke vor Ort wieder bei den Steuerzahlern eingesammelt. Die krampfhaften Versuche der Kommunalpolitiker, neue Geldquellen zu erschließen, offenbaren, wie hoffnungslos die Lage vor Ort bereits ist.

Mehrere Städte treiben eine Sexsteuer für Bordellbesuche ein, andere erheben eine Tourismusabgabe. 2011 lancierte Köln eine Bettensteuer. Mehr als 50 Kommunen in Deutschland folgten und erheben ebenfalls eine Bettensteuer, andere stellen neue Radarfallen auf, erhöhen Steuern und senken die Wassertemperatur in Schwimmbädern.

Viele Gemeinden bereiten sich darauf vor, nach der Hundesteuer auch eine Katzensteuer zu erheben, in manchen ländlichen Gemeinden kommt vielleicht bald eine Pferdesteuer. Bestimmt gibt es in so mancher Stadt inzwischen Überlegungen über die Einführung einer Fahrradsteuer oder einer Rasenmäherabgabe. Wo könnte man die Bürger denn sonst noch schröpfen?

Die schleswig-holsteinische Kleinstadt Quickborn pumpt ihre Bewohner an und bietet für Kredite bis zu 2,6 Prozent Zinsen. Eine besonders absurde Idee hatte der Bürgermeister des Thüringer Dorfs Niederzimmern. Er verkauft die Schlaglöcher in kaputten Straßen. Für 50 Euro können sich die Bürger auf dem ausgebesserten Stück Teer verewigen.

Eine Lösung allerdings bitten auch total bekloppte und krass abgefahrene Steuerkreationen nicht. Bestenfalls ein bisschen Medienaufmerksamkeit. Aber dafür kann man sich bekanntlich auch nicht viel kaufen.