Deutscher Atommüll soll in die USA

Aufgeplatztes Fass; Foto: US Department of Energy

Getarnt als Material zur Wiederaufarbeitung soll Atommüll aus dem Forschungszentrum Jülich ins US-Atomwaffenzentrum in South Carolina verschifft werden

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Atomkraftgegner in den USA haben herausgefunden, dass es seit drei Jahren konkrete Verhandlungen darüber gibt, Atommüll mit hoch angereichertem Uran aus dem havarierten AVR-Kugelhaufenreaktor im Forschungszentrum Jülich ins Atomwaffenzentrum Savannah River Site in South Carolina zu bringen. Tatsächlich drängt die Zeit, denn in Jülich musste die Betriebsgenehmigung für die Lagerung schon zwei Mal außerordentlich verlängert werden. Dass Atommüll in den USA sicher gelagert werden könnte, daran werden die Zweifel angesichts der Vorgänge in einem Lager für mittelradioaktiven Müll immer größer.

Immer mal wieder fallen negative Schlaglichter auf den 1988 havarierten und stillgelegten AVR-Kugelhaufenreaktors im Forschungszentrum Jülich (FJZ). Eine Expertenstudie kam 2008 zu dem Ergebnis, dass der Reaktor einst nur knapp an einer Katastrophe "vorbeigeschlittert" sei. Erst kürzlich wurde ein Bericht erstellt, der die wesentliche Kritikpunkte aus der Zeit bestätigte. "Der AVR hätte nie betrieben werden dürfen, weil er hochgradig unsicher war", bekräftigt der FZJ-Sicherheitsforscher Rainer Moormann, der einst auf die gravierenden Probleme hingewiesen hatte.

Damit nicht genug, wurde auch bekannt, dass strahlender Müll aus dem Reaktor ebenfalls im einstürzenden und absaufenden "Versuchsendlager" Asse versenkt wurde. Mehr als 100 Fässer mit verstrahlten AVR-Graphitkugeln wurden dort eingelagert. Es zeigte sich erneut, wie schlampig sowohl auf Seiten der Reaktorbetreiber und im Endlager Asse mit den hochgefährlichen Stoffen umgegangen wurde. So ist nur die Anzahl der gelieferten und eingelagerten Fässer dokumentiert worden.

Deshalb musste die Anzahl der verstrahlten Kugeln im Nachhinein geschätzt werden, die nun in der Asse auf die teure Rückholung warten (Hohe Radioaktivität in der Asse). Und 2011 kam es dann erneut zu Schlagzeilen, weil in Jülich sogar fast 2300 Brennstoffkugeln mit hoch angereichertem Uran "vermisst" wurden.

Brennelementkugeln sollen in die USA verschifft werden

Klar ist, dass in einem Zwischenlager in Jülich derzeit in 152 CASTOR-Behältern fast 300.000 intakte abgebrannte Brennelementkugeln lagern und die sollen nun offensichtlich in die USA verschifft werden. Die Zeit drängt, denn die Betriebsgenehmigung für die Lagerung in Jülich ist schon vor fast einem Jahr abgelaufen und wurde zwei Mal noch bis zum kommenden Juli verlängert.

Telepolis liegt eine am 1. April unterzeichnete Absichtserklärung zwischen der US Energiebehörde (Department of Energy, DOE), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Nordrhein-Westfälischen Wissenschaftsministerium vor, die einen Export des Atommüll in die USA vorsieht.

Als Begründung für den Atommüllhandel wird darin unter anderem genannt:

Die Annahme des Brennstoffes würde durch die US-Richtlinie zur Minimierung von hoch angereichertem Uran (highly enriched Uranium, HEU) unterstützt. Mit dieser Richtlinie beabsichtigt die US Energiebehörde, HEU im zivilem Handel zu reduzieren und schließlich vollständig zu entfernen, indem sie das aus den USA stammende HEU in Brennstoffen aus Deutschland entfernt und zur sicheren Lagerung zurück in die USA bringt, wo es in eine Form umgewandelt wird, in der es nicht mehr für Atomwaffen oder anderes improvisiertes Gerät zur Verbreitung von nuklearem Material genutzt werden kann. Die Lagerung des Brennstoffes würde auch den Zielen des Atom-Sicherheitsgipfels in 2014 beisteuern.

Auf Anfrage von US-Umweltschützern und Umweltschützerinnen hatte die DOE mitgeteilt, dass ein Umweltgutachten für die Aufnahme von etwa 900 kg hoch angereichertem Uran in das Atomwaffenzentrum Savannah River Site (SRS) bei Aiken in South Carolina in Auftrag geben wurde.

Hintertüren

Dort soll der Atommüll laut der Vorvereinbarung angeblich zu seiner Aufarbeitung gelagert werden. Bestätigt wurde damit ein Bericht des Spiegels aus dem vergangenen Jahr, wonach deutsche und US-amerikanische Behörden über einen möglichen Export von knapp 300.000 abgebrannten Graphitkugeln aus dem AVR-Reaktor in Jülich verhandeln.

Nun ist klar, dass die Verhandlungen sich schon über drei Jahre hinziehen. Hier drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass in den USA ein neuer Abnehmer für den strahlenden Müll gesucht wurde, nachdem die Versuche vor gut drei Jahren gescheitert waren, Atommüll in großem Stil nach Russland zu verfrachten.

Der Spiegel hatte auch darüber berichtet, dass dieser Atommüll-Export in die USA über eine Hintertür in dem im Sommer letzten Jahres verabschiedeten Endlagersuchgesetz möglich ist. Denn das lässt den Export von Atommüll aus Forschungszentren zu. Tatsächlich handelte es sich beim Jülicher AVR Reaktor aber ohnehin nicht um einen Forschungsreaktor.

Der Versuchsreaktor wurde von Energieunternehmen betrieben und speiste über 20 Jahre Strom ins Netz ein. Der AVR wurde zwar vom FJZ wissenschaftlich betreut und mit Betriebskostenzuschüssen unterstützt, war aber formal unabhängig.

Verhandlungen über weitere Abnahmen

Doch damit nicht genug, machen die lokalen Umweltschützerinnen und Umweltschützer von SRS Watch mit Bezug auf ihnen vorliegenden Daten deutlich, dass es bei den 152 Castoren mit dem Atommüll aus Jülich nicht bleiben soll. Denn verhandelt werde auch über die Annahme von weiteren 305 Castoren mit 605,000 Graphitkugeln aus dem THTR-300 in Hamm.

Dabei handelt es sich um das teure Debakel eines Atommeilers, der zwischen 1985 bis zur schnellen Stilllegung 1989 nur an 432 Volllasttagen in Betrieb war. Dafür wurde der Strom hoch subventioniert, denn neben offiziellen Subventionen gab es zudem für den erzeugten Strom eine Abnahmegarantie zu einem an der Steinkohleverstromung orientierten Preis, der damals um etwa 40 % über dem Abnahmepreis für andere Atommeiler lag.

Welche neue Hintertür gefunden wird, um auch diesen Müll in die USA zu schaffen, darauf darf man gespannt sein. Interessant ist vor allem die Argumentation der "Rücknahme" des Brennstoffs durch den Hersteller USA, die immer wieder verlautet wurde und auch in der Absichtserklärung auftaucht. Mit der Argumentation könnte Deutschland praktisch seinen gesamten Atommüll loswerden, indem es ihn an die Hersteller und Lieferanten zurück gibt.

"Kein Einlagerungsplan"

Atomkraftgegner und Umweltschützer wehren sich auf beiden Seiten des Atlantiks vehement dagegen, deutschen Atommüll in die USA zu verschiffen. Der Leiter der lokalen Umweltorganisation Savannah River Site Watch und langjährige Atomkraftgegner, Tom Clements, macht klar, dass unter dem Vorwand der Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen nun Atommüll in den USA entsorgt werden soll.

Das deutsche Atommüll-Dilemma, wie mit dem Atommüll umgegangen werden soll, darf aber kein Atommüllproblem für Savannah River Site werden.

Deutschland müsse ihn selbst entsorgen und unsinnige und gefährliche Transporte verhindern.

Auf Anfrage von Telepolis zweifelte Tom Clements daran, dass es gelingen werde, über die Umrüstung einer bestehenden Aufarbeitungsanlage aus den abgebrannten Graphitkugeln neue Brennstäbe für US-Atomkraftwerke herzustellen.

Während unklar ist, ob ein so unüblicher hochradioaktiver Müll überhaupt im SRS verarbeitet werden kann, ist sicher, dass es keinen Einlagerungsplan für den Müll gibt.

Bislang wurde eine geplante Umwandlung nur mit geringen Mengen im Labor erreicht. Auch die Energiebehörde gibt zu, dass die Entwicklung längst nicht abgeschlossen sei. Bisher seien 1,5 Millionen Dollar in das Projekt geflossen, doch müssten weitere 8,5 Millionen Dollar für die Fortführung zur Verfügung gestellt worden. Und Clements nimmt es der Energiebehörde nicht ab, dass sie den Import von deutschem Atommüll als Maßnahme zur Anti-Proliferation plane.

Obwohl das DOE behauptet, dass das Material sicher entsorgt würde, gibt es keinen Entsorgungsplan für hochradioaktiven Müll, und daher geht es im Grunde um den Transport ins SRS zur langfristigen oder endgültigen Lagerung.

Der Leiter von SRS Watch geht davon aus, dass ein Geschäft gemacht werden soll, um viel Geld in die leeren Kassen der SRS-Betreiber zu spülen. SRS Watch weist auch darauf hin, dass auf dem SRS-Gelände längst Atommüll aus anderen Ländern gelagert werde. Plutonium sei unter anderem schon aus Kanada, Belgien, Italien und Schweden angeliefert worden. Dazu lagern auf dem Gelände 180 Millionen Liter flüssigen hochradioaktiven Abfalls aus der Atomwaffenproduktion der 1950er Jahre. Die Tanks beginnen längst undicht zu werden, weshalb der Müll unter hohem finanziellem Aufwand in neue Behälter umgefüllt werden muss.

Dass mit einer angeblichen Rückholung des Atommülls in die USA gegenüber dem Partner Deutschland argumentiert wird, entbehrt tatsächlich jeder Logik. Oder wird der Bundesrepublik unterstellt, Handel mit atomwaffenfähigem Material zu betreiben? Wohl kaum, ohnehin hätte Deutschland auch trotz der Rücknahme der Graphitkugeln noch ausreichend Material dafür auf Lager. Die USA müsste also das gesamte strahlende Material aus Deutschland abnehmen, wenn diese Begründung ernst zu nehmen wäre.

450 Millionen Euro Exportkosten?

So dürfte tatsächlich eher der enorme finanzielle Druck eine bedeutende Rolle spielen, unter dem der SRS-Komplex steht. So bot sich die SRS zuletzt auch als Zwischenlager für US-amerikanischen Atommüll an, was aber zunächst durch den Einspruch von besorgten Bürgerinnen und Bürgern verhindert werden konnte.

Der Spiegel hatte im September 2013 veröffentlicht, dass für den Export des Atommülls aus Jülich 450 Millionen Euro im Gespräch seien. Das wäre weitaus mehr als der Bau eines neuen Zwischenlagers dort kosten würde. Erweitert man das gedanklich auf die mehr als doppelt so große Menge Atommüll aus dem THTR, dann könnte es sich um eine Größenordnung von über einer Milliarde Euro handeln.

Und mehr als kurios ist auch, wenn in der Absichtserklärung von einer "sicheren Lagerung" des Atommülls in den USA gesprochen wird. Bekannt ist, dass auch die USA - wie alle anderen Länder - über kein Endlager für hochradioaktiven Müll verfügen. Und die Vorgänge in der Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) im US-Bundesstaat New Mexico lassen erheblich Zweifel an einem verantwortlichen Umgang mit Atommüll in den USA aufkommen.

Dabei wurde in dem Salzstock nur langlebiger mittelradioaktiver Abfall aus der Atombombenproduktion eingelagert. Doch das Lager musste nach einem Unfall im Februar geschlossen werden, bei dem Plutonium freigesetzt wurde.

Aufplatzende Fässer

Inzwischen hat sich bestätigt, dass mindestens ein Atommüllfass wie erwartet aufgeplatzt ist, das aus der Atomwaffenfabrik Los Alamos kam. Die Inspektoren, die den Vorfall untersuchen, fanden heraus, dass zwar tatsächlich die Decke eingestürzt war. Aber das war offenbar nicht die Ursache für das Aufplatzen des Behälters, sondern es kam im Fass zu einer Explosion. Der Grund dafür war offenbar, dass falsches handelsübliches Katzenstreu beigemischt wurde.

Mit anorganischem Katzenstreu sollen die Nitrate im radioaktive Material stabilisiert werden, so dass es nicht austrocknet und sich überhitzt.

Vermutet wird nun, dass aber auch organisches, aus Mais oder Weizen hergestelltes Katzenstreu verwendet wurde, was weitere Explosionen und damit die Freisetzung von Plutonium zur Folge haben könnte. Das große Problem besteht nun darin, heraus zu finden, welche Fässer mit dem falschen Katzenstreu befüllt wurden, die sich als explosive Zeitbomben im WIPP oder in den anderen Lagerstätten befinden.