An allen Fronten

Chuck Hagel mit dem chinesischen Verteidigungsminister Chang Wanquan bei einem Treffen in Beijing, am 8. April, 2014. Bild: Erin A. Kirk-Cuomo für das US-Verteidigungsministerium; gemeinfrei

Die USA setzen auch in Ostasien auf verstärkte Konfrontation

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Eine kleine Meldung ließ dieser Tage aufhorchen: "Russischer Pilot provoziert mit Flugmanöver", titelte der Schweizer Blick am Abend. "Russischer Kampfjet bedrängt US-Aufklärer", heißt es bei der österreichischen Kronen Zeitung. Solche Vorfälle würden sich seit Beginn der Ukraine-Krise häufen, erfährt der Leser zudem.

Da kann man mal sehen, die bösen Russen wieder. Doch halt, wo hat sich der Vorfall abgespielt? Über dem Pazifik, wie der Blick am Abend in seiner Kopfzeile behauptet? Nicht ganz. Über dem Ochotskischen Meer. Das liegt zwischen der Halbinsel Kamtschatka, den Kurilen, dem asiatischen Festland und der Insel Sachalin. Alles russisches Territorium.

Nur ganz im Süden grenzt Japans nördlichste Hauptinsel, Hokkaido, an das Meer. Erst im März hatte die UN-Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels Russland auch den letzten, in dessen Zentrum gelegenen Rest des Randmeeres als sogenannte Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) zugesprochen. Das Gewässer ist also fast so etwas wie ein russisches Binnenmeer. Fast.

Besagte Kommission arbeitet auf der Grundlage der UN-Seerechtskonvention, die unter anderem regelt, wie Streitigkeiten über den Verlauf von Seegrenzen zu regeln sind. Allerdings gehört die USA neben Venezuela, der Türkei und einigen weiteren Staaten, die meist keine Küsten haben, zu den wenigen Ländern, die das 1982 unterzeichnete Abkommen und seine diversen Schlichtungsmechanismen nicht anerkennen.

Der Verdacht ist also nicht ganz von der Hand zu weisen, dass der US-Aufklärer Moskau mal eben demonstrieren sollte, was man in Washington von der Entscheidung der UN-Kommission hält. Nebenbei gewährt die Angelegenheit auch einen kleinen Einblick in die tendenziöse Berichterstattung vieler westeuropäischer Medien. Die gewählten Überschriften sind von der Art wie "US-amerikanischer Pilot provoziert russisches Militärflugzeug vor der Küste Floridas", nur dass in einem solchen Falle der Leser natürlich sogleich die Unhaltbarkeit der Aussage erkannt hätte.

Der Vorfall zeigt außerdem, dass die US-Regierung auch in Fernost offensichtlich keinerlei Interesse an einem Abbau der Spannungen mit Russland hat. Mehr noch, die USA setzen auch gegenüber China wieder auf eine Politik der Konfrontation. Das legen zumindest ungewohnt scharfe Äußerungen des US-Verteidigungsministers Chuck Hagel nahe, die dieser am vergangenen Samstag auf einer internationalen Konferenz in Singapur tätigte, wo er unter anderem offen den japanischen Aufrüstungskurs unterstützte. Das ist durchaus neu. Bisher wirkte Washington auf militärische Ambitionen Tokios stets mehr oder weniger dämpfend ein.

Konflikte aller Art

Das Ganze ist vor dem Hintergrund eines ganzen Konglomerats an Grenzstreitigkeiten zu sehen. In Ostasien hat nahezu jeder mit jedem das eine oder andere ungelöste Problem mit der Bestimmung der Grenzen. Einzig China und Russland ist es bisher gelungen, ihre Meinungsverschiedenheiten nach und nach auszuräumen und den Verlauf ihrer gemeinsamen Grenzen zu klären.

Aber dabei handelte es sich nur um einen Konflikt unter vielen: Russland streitet sich weiter mit Japan um einige der Kurilen-Inseln im Süden der Kette sowie in deren Nachbarschaft um die Abgrenzung der AWZ; Japan streitet sich mit den beiden Koreas um die Insel Dokdo (koreanisch) bzw. Takeshima (japanisch) und mit China um die Diaoyu- (chinesisch) bzw. Senkaku-Inseln (japanisch) nördlich von Taiwan. Während die strittigen Kurilen-Inseln zum Teil bewohnt sind, geht es bei den letzteren beiden Fällen um kleine, unbewohnte Eilande mit geringem wirtschaftlichen, aber hohem symbolischen Wert.

Die japanischen Ansprüche auf die Diaoyu-Inseln sorgen schon seit Jahrzehnten nicht nur in der Volksrepublik, sondern auch in Hongkong und Taiwan quer durch die meisten politischen Lager für Empörung. Schon in den 1990er Jahren, als die Regierung in Beijing (Peking) noch viel zu sehr mit Chinas Wachstum und dem Umbau der Wirtschaft beschäftigt war und der Konfrontation mit seinen Nachbarn nach Möglichkeit aus dem Wege ging, haben linke, Beijing-kritische Aktivisten aus Hongkong immer wieder mal mit Besuchen auf den Inseln gegen die Politik Tokios protestiert.

Dem Streit um die Inseln liegen unterschiedliche Interpretationen des Friedensvertrags von San Francisco zugrunde, der den Zweiten Weltkrieg in Ostasien beendete. In diesem war festgehalten worden, dass Japan alle Territorien zurückzugeben habe, die es China durch den chinesisch-japanischen Krieg 1894/5 entrissen hatte.

Entgegen der Position der Republik China (Taiwan) und der Volksrepublik bestreitet die Regierung in Tokio jedoch, dass die strittigen Inseln vor diesem Krieg unter Kontrolle des chinesischen Kaiserreiches gestanden hätten und somit zu den zurückzugebenden Gebieten gehören. Die USA hatten sie als Teil der Region Okinawa bis 1972 besetzt und sie trotz der ungeklärten Ansprüche gemeinsam mit dieser an Japan übergeben.

Historische Hypotheken

Zwischen China und Japan, Korea und Japan sowie Korea und China sind weiter die Begrenzungen der AWZs umstritten. Dabei geht es um Fischereirechte und eine Reihe vermuteter Bodenschätze, namentlich Erdöl und -gas. Viel Konfliktpotenzial in einer Zeit knapp werdender Energieressourcen.

Hinzu kommt, dass das Verhältnis zwischen Japan und seinen Nachbarn durch dessen zahlreiche Kriegs- und Kolonialverbrechen im letzten und vorletzten Jahrhundert derart belastet ist, dass ein Territorialstreit nicht unbedingt den Hintergrund divergierender ökonomischer Interessen benötigt, um die Gemüter von Zeit zu Zeit kochen zu lassen. Die japanische Rechte, die das Land seit 1945 meist regiert, streut immer mal wieder Salz in die Wunden, indem Minister die Gräber von Kriegsverbrechern besuchen oder öffentlich japanische Gräueltaten während des Krieges leugnen.

Für China hat die Auseinandersetzung zudem einen strategischen und einen innenpolitischen Aspekt. Was den ersten angeht, sind der chinesischen Küste zahlreiche Inseln vorgelagert, die nicht unter der Kontrolle der Volksrepublik sind. Im Norden ist die chinesische Küste durch die eine von Japan kontrollierte Inselkette - im militärischem, nicht im nautischen Sinne - nahezu abgeriegelt, zumal sich auf der größten dieser Eilande, auf Okinawa, auch ein Flottenstützpunkt der US-Marine befindet.

Insgesamt sind auf Okinawa in verschiedenen US-Marine, -Armee und -Luftwaffenstützpunkten rund 50.000 Mann und Frau US-Militärpersonal stationiert. Nördlich davon stehen 28.500 US-Soldaten in Südkorea Gewehr bei Fuß und weitere rund 16.000 auf den japanischen Hauptinseln. Und dann ist da noch, etwas weiter weg, westlich der Philippinen der große Luftwaffen- und Flottenstützpunkt auf Guam.

Ein aufstrebendes China, das den Anspruch hat, im Konzert der Großen nun auch militärisch mitzuspielen, kann sich da schon ein bisschen eingeengt vorkommen. Zumal es in der Vergangenheit mit militärisch übermächtigen Gegnern nur die schlechtesten Erfahrungen gemacht hat und das reichlich: Großbritannien hat im 19. Jahrhundert in den zwei sogenannten Opiumkriegen die Öffnungen des Landes erzwungen, Hongkong erobert, im zweiten mit französischer Beteiligung.

Japan nahm sich nach dem Krieg 1894/5 Taiwan, Russland hat die Abtretung Wladiwostoks und der Gebiete nördlich des Amurs erzwungen, und 1900 schlug eine europäisch-US-amerikanische Interventionsarmee - mit deutscher Beteiligung - den gegen die koloniale Ausplünderung des Landes gerichteten sogenannten Boxeraufstand nieder.

Im chinesischen kollektiven Bewusstsein sind diese historischen Demütigungen noch sehr präsent, insbesondere natürlich die japanischen Kriegsverbrechen, wie das Massaker von Nanjing. Wachgehalten wird sie natürlich auch durch eine entsprechende Geschichtspolitik, aber die chinesische Führung ist in gewisser Weise auch die Gefangene dieser Stimmung.

Jedes Nachgeben gegenüber Japan kann schnell zu massiver öffentlicher Empörung führen und auf der Grundlage reichlich vorhandener angestauter Unzufriedenheiten zum Katalysator für Rebellionen werden. In China haben sich in den letzten 130 Jahren nahezu alle Revolutionen und Aufstände an der Empörung über ausländische Mächte und eine zu nachgiebige oder vermeintlich zu nachgiebige Regierung in Beijing entzündet.