"Man darf den Zufall nicht unterschätzen"

Stefan Aust und Dirk Laabs über Staat und NSU - Teil 2

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In ihrem Buch Heimatschutz - Der Staat und die Mordserie des NSU sind die Journalisten Stefan Aust und Dirk Laabs bei der Rekonstruktion des Werdegang der Zwickauer Terrorzelle auf Widersprüche gestoßen, die sich nicht mit der offiziellen Version decken. Teil 2 des Gesprächs.

Ein weiteres Rätsel bei der Mordserie ist die Ermordung von Michele Kiesewetter. Können Sie uns erklären, warum dieser Fall so rätselhaft geblieben ist?

Laabs: Der Hauptgrund hierfür ist, dass die Polizei, insbesondere die lokale Polizei, unglaublich schlampig ermittelt und überhaupt nicht kooperiert hat. Selbst die banalsten Ungereimtheiten konnten die ermittelnden Polizeibeamten nicht klären. Dass dies bei einem Polizistenmord geschieht, ist sehr merkwürdig.

Aust: Im Fall Kiesewetter kann man ein paar Dinge relativ deutlich sehen: Es gibt eine auffallende (wenn auch nicht direkte) Täter-Opfer-Beziehung. Beispielsweise kommt Frau Kiesewetter aus der selben Gegend wie die Täter und ihr Onkel arbeitet beim Staatsschutz und hat gegen Thüringer Neonazis ermittelt. Es gibt also viele Bezüge, von denen man sich vorstellen könnte, dass die Tat kein reiner Zufall war.

Laabs: Dass die beiden Bereitschaftspolizisten nur Zufallsopfer waren, wie die Bundesanwaltschaft behauptet, ist von allen denkbaren Varianten die unwahrscheinlichste. Es ist auch extrem merkwürdig, dass genau an dem Tag, als Michelle Kiesewetter kurzfristig ihre Schicht annimmt, Uwe Böhnhardt die Mietdauer für den Leihwagen verlängert, die Täter pünktlich zur Pause der beiden Beamten um 14 Uhr auftauchen, am helllichten Tag nach ein paar Minuten sofort zuschlagen, zwei Polizisten auf einem Festplatz mitten in einer mittelgroßen Stadt in Deutschland umzubringen versuchen, sowie Dienstwaffen und Handschellen aus dem Auto entwenden.

Wenn man dann noch um weitere Merkwürdigkeiten weiß: Zeugen, die sehr glaubhaft versichern, dass sie einen blutverschmierten Mann durch die halbe Stadt rennen haben sehen, der anders aussah als Böhnhardt und Mundlos - ein Kollege und vielleicht Freund von Michelle Kiesewetter, der früher beim Ku-Klux-Klan und als einer der ersten Beamten am Tatort war und Kontakte zum Verfassungsschutz hatte (wobei hier der wichtigste Spitzel des Bundesamts für Verfassungsschutz leider verstorben ist), dann wird das alles noch viel seltsamer. Im Münchner Prozess versucht man diese Sachverhalte schön draußen und alles simpel zu halten. So einfach ist es aber nicht.

Sollen bei diesem Mord nicht auch FBI-Beamte zugegen gewesen sein?

Laabs: Darauf gibt es Hinweise.

Aust: Es gibt bei dieser Tat immer wieder Umstände, bei denen man denkt, dass sie unmöglich zufällig gewesen sein könnten, aber es vielleicht doch waren. Man darf den Zufall nicht unterschätzen.

"Manchmal tauchen auch gefälschte Sachen auf"

Zwei Zeugen, nämlich Thomas Richter und Florian Heilig sind kurz bevor sie im Prozess eine Aussage machen konnten umgekommen. Ist die Mortalitätsrate - unter Rücksichtnahme all der anderen Zufälle und Pannen, die sich bislang ergeben haben - für so einen Prozess nicht ein wenig zu hoch, um noch ein Zufall zu sein?

Aust: Jeder stirbt irgendwann und je länger dieser Fall zurückliegt, desto mehr Zeugen werden auf merkwürdige Weise zu Tode kommen: Diese beiden Fälle sind hochinteressant und geben einem zu denken. Ob dies aber kausal mit der ganzen Geschichte zusammenhängt, wage ich nicht zu behaupten. Ich glaube es nicht so richtig, aber ich weiß es einfach nicht. Dass wir uns damit weiter beschäftigen, steht aber außer Frage.

Laabs: Man darf nicht vergessen, dass manchmal auch gefälschte Sachen auftauchen ...

Aust: Wenn wir zum Beispiel Akten von Böhnhardt als V-Mann zugespielt bekämen, würden wir am ehesten davon ausgehen, dass sie gefälscht sind. Hier muss man höllisch aufpassen.

Laabs: Vielleicht gibt es ja Leute, die es freuen würde, wenn wir auf einen Fake hereinfallen.

Aust: Deshalb sind wir sehr vorsichtig. Alles was sich außerhalb des offiziellen Interpretationsrahmens bewegt, wird ja sofort als Verschwörungstheorie denunziert. Im Falle des Mordes an Uwe Barschel zum Beispiel gibt es so viele Verschwörungstheorien, dass es vermutlich unmöglich geworden ist, die Wahrheit herauszufinden.

Laabs: Deswegen haben wir uns geschworen, keine Abkürzung zu nehmen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.