Proteste von Asylsuchenden: Innenminister schalten auf stur

Inmitten zahlreicher Aktionen von Geflüchteten sollen einige der Protagonisten trotz gegenteiliger Versprechen abgeschoben werden. Ein Flüchtlingsmarsch traf derweil in Luxemburg auf EU-Innenminister

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Den Anfang machte vor zwei Jahren Würzburg, mittlerweile protestieren Geflüchtete in zahlreichen weiteren deutschen Städten für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Auch bei der heute in Bonn beginnenden Innenministerkonferenz soll demonstriert werden. Immer wieder werden auch aus anderen Länder Aktionen gemeldet, für den 21. Juni wird zu einem europaweiten Aktionstag mit gemeinsamen "Grenzverletzungen" aufgerufen.

In Deutschland werden meist an zentralen Plätzen Mahnwachen oder Camps errichtet, bisweilen wählen die Aktivisten als Mittel sogar Hunger- oder Durststreiks. Zu den zentralen Forderungen gehört die Abschaffung der sogenannten Residenzpflicht. Mit der umstrittenen Regelung werden Asylsuchende nach einem Schlüssel auf alle Bundesländer verteilt. Dort müssen sie teilweise in weit abgelegenen Lagern auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten. Reisen in andere Bundesländer und teilweise sogar benachbarte Landkreise müssen genehmigt werden. Wird mehrmals gegen die Auflage verstoßen, droht eine Abschiebung.

Zwei afrikanischen Aktivisten in Abschiebehaft

Viele Bundesländer setzen die Residenzpflicht jedoch nach eigenem Ermessen um. Zu den Ländern mit wenig Repressalien gehörte bislang das Land Berlin, das nun eine härtere Gangart einlegt: Nachdem viele Geflüchtete zu einem Protestmarsch nach Brüssel aufbrachen, nutzte der Innensenator Frank Henkel (CDU) die Gunst der Stunde und ließ mehrere verbliebene Aktivisten verhaften (Protestmarsch von Geflüchteten nach Brüssel, Festnahmen in Berlin).

Elf afrikanische Asylsuchende wurden von der Polizei nach Sachsen-Anhalt eskortiert - eine höchst symbolische Maßnahme, denn gewöhnlich werden lediglich die Papiere der Geflüchteten einkassiert und an die zuständige Behörde geschickt, wo sie gegen die Zahlung eines Bußgelds wieder abgeholt werden können. Im Innenausschuss des Landtages hatte das Innenministerium Sachsen Anhalts erklärt, man habe gegenüber Berlin nicht auf die Durchsetzung der Residenzpflicht gedrungen.

Während die übrigen Festgenommenen lediglich die Personalien abgeben mussten, sitzt der aus Burkina Faso stammende Abdoul Kaboré nun in Sachsen-Anhalt in Abschiebehaft. Eine erste Abschiebung wurde durch zahlreiche Protestbriefe und E-Mails verhindert. Jetzt soll der Aktivist am 30. Juni gegen seinen Willen von Hamburg nach Madrid befördert werden. Eine Haftprüfung ergab, dass er bis dahin nicht wieder auf freien Fuß gesetzt wird. Nach dem Dublin-System ist Spanien für Kaboré zuständig: Asylsuchende werden in jenes Land zurückgeschoben, über das sie die EU betreten haben. Von Spanien dürfte der Aktivist dann nach Burkina Faso weitergeschoben werden.

Kaboré ist nicht der einzige Aktivist dem die Abschiebung droht: Auch zahlreiche in Berlin lebende Geflüchtete erhielten Aufforderungen zur freiwilligen Ausreise. Kommen sie dem nicht nach, werden sie zur Festnahme ausgeschrieben. Nach der umstrittenen Räumung des beinahe zwei Jahre existierenden Camps am Berliner Oranienplatz sitzt nun ein 27-jähriger Mann aus dem Niger in Abschiebehaft. Er war festgenommen worden, nachdem er beim Amt vorstellig wurde, um seine Duldung zu verlängern, damit die ihm vom Berliner Senat zugesagte Einzelfallprüfung durchgeführt werden kann. Diese sollten laut einem Sprecher des Innensenators noch diese Woche beginnen. Dennoch soll der nigrische Aktivist nach Angaben seiner Anwältin morgen von Berlin-Tegel nach Italien zurückgeschoben werden. Bis dahin wird er wie Kaboré in der Justizvollzugsanstalt Volkstedt bei Eisleben festgehalten. Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat den Eilantrag seiner Anwältin abgelehnt.

Kampagne adressiert Piloten von Air Berlin

Aktivisten rufen nun zu einer "Fax-Aktion gegen die Abschiebung" auf, um den Kapitän des Fluges AB8270 zu einer Beförderungsverweigerung zu bewegen. Adressiert wird die Fluggesellschaft Air Berlin, die auch Kaboré abschieben wollte.

Die drohenden Abschiebungen sind für alle Beteiligten höchst symbolisch, denn erstmals würden die Protagonisten der Proteste von der Bildfläche verschwinden. Im Falle Berlins hatte das Land ursprünglich versichert, die Geräumten nicht belangen zu wollen und hierfür sogar spezielle Ausweise verteilt, die bei Polizeikontrollen auf das Moratorium aufmerksam machen. Genutzt hat das nichts, die Ausländerbehörden setzen sich rigoros darüber hinweg.

Auch unter den EU-Mitgliedstaaten regt sich Unmut über die europäische Flüchtlingspolitik. Italien fordert mehr Unterstützung für die Unterbringung von Tausenden Geflüchteten, die über das Mittelmeer übersetzen. Unter ihnen sind besonders viele Syrer, nun werden auch neue Fluchtbewegungen aus dem Irak erwartet.

Das Thema stand vergangene Woche auf der Tagesordnung der EU- Innenminister, die sich in Luxemburg zu ihrem regulären Treffen einfanden. Neben der "Task Force Mittelmeer" diskutierten die Innenminister über das Schengen-System und die Neuwahl des Direktors der EU-Grenzagentur Frontex. Beschlossen wurde unter anderem ein Maßnahmenpaket, das Terrorismus und unerwünschte Migration in einem Atemzug nennt und bekämpfen soll.

Befehlsverweigerung in Hamburg: "Ich remonstriere hiermit"

Das Treffen der EU- Innenminister kam wie gerufen für den kreativen Marsch der Geflüchteten, die auf ihrem Weg von Strasbourg über Schengen nach Brüssel ebenfalls in Luxemburg Station machten. Ihr Protest vor dem Konferenzzentrum wurde jedoch rabiat beendet, als die Polizei mit Hunden und Pfefferspray auf die Protestierenden losging. Mehrere in Gewahrsam Genommene kamen am Abend wieder frei, ob und weshalb Anklagen erhoben werden, ist unklar.

Am gleichen Abend demonstrierten Geflüchtete und Unterstützer in Hamburg gegen die Räumung in Luxemburg. Mehrere Medien berichten über die besonders brutale Gangart der Hamburger Polizei. Nicht alle Einsatzkräfte waren damit einverstanden: Nachdem eine Abgeordnete bereits über Twitter vermeldete, einzelne Beamte würden sich der Räumung widersetzen, wurde dies später von der taz bestätigt: Eine Einsatzleiterin habe den Räumungsbefehl in Zweifel gezogen, ein anderer Polizist habe sich umgedreht und gesagt: "Ich remonstriere hiermit."

Update: Die für morgen geplante Abschiebung ist erneut gestoppt. Zwar gebe es keine offizielle Aufhebung des Abschiebebescheid, Air Berlin habe sich aber nach einer Fax-Kampagne geweigert, den unfreiwilligen Passagier zu befördern. Dies teilten die Aktivisten auf ihrer Webseite mit.

Allerdings bedeutet dies nicht unbedingt Entwarnung: Die Fluglinie gab als Grund an, dass der Geflüchtete nicht polizeilich begleitet worden sei. Im Falle von Abdoul Kaboré, der ebenfalls in Abschiebehaft sitzt, wurde mittlerweile ein neuer Termin genannt, diesmal mit der Androhung von körperlichem Zwang. Er soll am 30.6. vom Flughafen Hamburg abgeschoben werden. Er fliegt mit German Wings.