Slawjansk: Kein Wasser, kein Strom und zwei tote Kinder

Tausende von Flüchtlingen - vor allem Frauen mit Kindern - sind in den letzten zwei Wochen aus den ostukrainischen Kriegsgebieten nach Russland aber auch in ukrainische Regionen geflüchtet. Kiew bestreitet die Flüchtlingswelle. Ukrainischer Verteidigungsminister will Ost-Ukrainer "filtern".

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Täglich rollen Busse mit Flüchtlingen aus den beiden ostukrainischen Städten Slawjansk und Lugansk Richtung Russland. Vor Beschießung sind die Busse nicht sicher, denn die vom ukrainischen Präsidenten, Petro Poroschenko angekündigten humanitären Korridore, gibt es immer noch nicht. Doch die Busse fahren trotzdem. Viele Männer bleiben, um die Wohnhäuser zu bewachen.

In Slawjansk und Lugansk wird es für Zivilisten immer gefährlicher. Insbesondere nachts beschießen ukrainischen Armee-Einheiten Ziele am Stadtrand von Slawjansk. Mehrere Vororte, wo nur kleine Holzhäuser stehen, sind schon zerstört. Manchmal fliegen die Artilleriegeschosse der ukrainischen Armee, die jetzt auch Panzer einsetzt, bis in die Stadt. Es wurden schon eine Schule, eine Kinderklinik und andere öffentliche Gebäude, aber auch mehrgeschossige Wohnhäuser von Artillerie-Geschossen getroffen (Fotos von beschädigten Wohnhäusern in Slawjansk).

Mehrere Zivilisten - darunter zwei Kinder aus Slawjansk - wurden getötet. Seit Beginn der Antiterroristischen Operation in der Ost-Ukraine sind 257 Menschen getötet und mehr als 1.300 Menschen verletzt worden, teile das ukrainische Gesundheitsministerium mit.

Der Alltag der Menschen in Slawjansk wird immer unerträglicher. Nicht nur dass seit Mitte April jede Nacht das Donnern der Haubitzen zu hören ist. Strom-Überlandleitungen wurden beschädigt, so dass es praktisch keinen Strom in der Stadt mehr gibt. Der Mobilfunk funktioniert nur mit Störungen, berichtet Ria Nowosti. Seit dem 4. Juni ist die zentrale Trinkwasserleitung der Stadt zerstört. Seit Mittwoch kommen auch keine Transporter mit Trinkwasser mehr in die Stadt. Das Risiko von Epidemien steige, erklärte der Vorsitzende des staatlichen Epidemie-Dienstes der Ukraine, Aleksandr Krawtschuk.

"Täglich verlassen zwei bis drei Autobusse Slawjansk", schreibt das örtliche Internet-Portal "Slavgorod". Der Hauptstrom der Flüchtlinge gelangt offenbar über das südrussische Rostow-Gebiet nach Russland. Seit dem Beginn des Krieges in der Ostukraine seien 70.000 Bürger aus der Ukraine über das südrussische Rostow-Gebiet nach Russland gelangt, teilte die Gebietsverwaltung von Rostow mit. Davon seien 35.000 Menschen in Russland geblieben. 3.700 Flüchtlinge aus der Ostukraine seien in Ferienlagern und bei einheimischen Familien untergebracht worden.

Der OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier, der sich am Mittwoch in Moskau mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow traf, will am Donnerstag ein Lager mit Flüchtlingen aus der Ost-Ukraine im südrussischen Rostow-Gebiet besuchen. Die ukrainische Grenzkontrolle bestritt, dass es eine Flüchtlingswelle nach Russland gibt.

Ukrainischer Innenminister wollte angeblich Waffenstillstand verkünden

Am Sonntag rief der ukrainische Innenminister Arsen Awakow den Vorsitzenden der selbsternannten Donezk-Republik Puschilin an, um über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Das berichtete der Ministerpräsident der Donezk-Republik, Aleksandr Borodai, gegenüber Journalisten.

Eine Bestätigung aus Kiew für den Anruf von Awakow gab es nicht. Angeblich habe Awakow eine sofortige Feuereinstellung und einen Flüchtlingskorridor angekündigt. Stattdessen gab es jedoch in der folgenden Nacht - wie auch in den Nächten zuvor - Beschießungen der Stadt Slawjansk gegeben, erklärte Borodai.

Kiew will den Kampf gegen die Separatisten offenbar bis zum siegreichen Ende führen. Ein wirkliches Gesprächsinteresse mit den Aufständischen in der Ost-Ukraine gibt es nicht. Davon zeugt auch eine Äußerung des geschäftsführenden Verteidigungsministers der Ukraine, Michail Kowal, der am Mittwoch auf einer Kabinettssitzung in Kiew erklärte, dass man gegenüber der Bevölkerung der Ost-Ukraine "spezielle Filtrationsmaßnahmen" anwenden werde. Man werde die Menschen ausfindig machen, die mit den Separatisten Kontakt haben und auf dem Territorium der Ukraine Verbrechen begangen haben.

Deutsche Korrespondenten abgereist

Obwohl sich die Situation in der Ost-Ukraine von Tag zu Tag zuspitzt, sind fast alle deutschen Korrespondenten aus Krisen-Region abgereist. Wer erfahren will, was im Osten der Ukraine vor sich geht, "der muss momentan auf russischsprachige, englische oder französische Medien ausweichen", schreibt der deutsche Journalist Moritz Gathmann (Spiegel Online), der selbst aus Donezk berichtete, im Ostpol-Internet-Magazin. "Wegen der Sicherheitslage" - so der Reporter - hätten fast alle deutschen Korrespondenten die Ost-Ukraine verlassen.

Gathmann berichtet, dass die Gefahren in Donezk für deutsche Journalisten überschaubar seien und man dort durchaus arbeiten könne. Als deutscher Journalist müsse man zwar davon ausgehen, "sich endlose Tiraden über die falsche Politik Angela Merkels anhören zu müssen". Die Gefahr aber, "im Keller eines selbsternannten "Volksbürgermeisters" zu landen, ist gering". Anderes gelte für amerikanische Journalisten.

Während deutsche Medien über die Ost-Ukraine kaum noch berichten und Berichte russischsprachiger Medien offenbar als nicht zitierfähig gelten, wird über die Arbeit ukrainischer Journalisten in deutschen Zeitungen wohlwollend berichtet. So berichtet der Berliner Tagesspiegel ausführlich über die ukrainische Website stopfake.org, die russische Verfälschungen in der Kriegsberichterstattung aufdeckt. Dass es auch auf ukrainischer Seite Fakes gibt, wird auf der Website nicht erwähnt. Und wenn ukrainische Mütter in Kiew und anderen Städten protestieren, weil sie nicht wollen, dass ihre Söhne in einen unmoralischen Krieg geschickt werden, wird darüber in deutschen Leitmedien höchstens am Rande berichtet.