Humanitäre Krise droht im Irak

Das UN-Flüchtlingshilfswerk weist auf die Not der vor den Kämpfen Geflüchteten hin und Kriegsverbrechen, die die ISIL-Kämpfer begangen haben

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Navi Pillay, die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR), hat gestern auf Berichte von Massenexekutionen und Morden seitens der ISIL-Kämpfer hingewiesen, die nach der Einnahme von Mosul und weiteren Städten angeblich Richtung Bagdad unterwegs sein sollen. Eine halbe Million Menschen seien auf der Flucht, 300.000 haben in den kurdischen Gebieten von Erbil und Kohut Schutz gesucht. Die Kurden haben ihrerseits Kirkuk unter ihre Kontrolle gebracht und suchen ihr Territorium zu sichern. Auch in Syrien haben Kurden und Islamisten immer wieder gegeneinander gekämpft.

Hunderte von Menschen seien in den letzten Tagen getötet worden, sagte Pillay mit Verweis auf Berichte, es gebe tausend Verletzte, aber die gesamte Zahl der zivilen Opfer sei noch unbekannt. Kämpfer der ISIL hätten Gefangene in Mosul befreit und mit Waffen ausgestattet und seien dann losgezogen, um gezielt Soldaten, Polizisten und Menschen zu töten, die sie mit der Regierung in Verbindung brachten. Allein in einer Straße in Mosul seien 17 Zivilisten erschossen worden. Schon in Syrien ist ISIL durch ihre Brutalität und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen aufgefallen. Unterstützung sollen sie aus Saudi-Arabien und Katar erhalten. Pillay erklärte, ISIL werde nach ihren gut dokumentierten schweren Verbrechen genau beobachtet. Mord, Verstümmelungen, Folter und Misshandlungen würden unter den gegebenen Umständen Kriegsverbrechen darstellen.

UNCHR teilte mit, dass der Strom der Flüchtlinge in den letzten Tagen weniger geworden sei. Manche seien wieder nach Mosul zurückgekehrt. Aber es fehlen Zelte und Versorgung für die Geflohenen, die nicht bei Verwandten, in Hotels oder Schulen, Moscheen und Kirchen untergekommen seien. Viele befinden sich in einem schnell bei Khazair errichteten Camp, 40 km von Mosul entfernt. Nach der International Organization for Migration sind aus Tikrit und Samarra 40.000 Menschen geflohen. Die Unsicherheit wachse im ganzen Land, sagt die Organisation, es drohe eine humanitäre Krise. In Mosul gebe es nur stundenweise Strom, Schulen und Moscheen seien zu Hilfskrankenhäusern für die vielen Verletzten und Kranken umgewandelt worden. Es gebe ein Fahrverbot für zivile Fahrzeuge und eine Ausgangssperre.

In der Provinz Anbar, wo ISIL bereits seit Januar Teile der Provinz und Städte wie Falludscha oder Ramada kontrolliert, ist allein fast eine halbe Million Menschen vertrieben worden. ISIL-Kämpfer haben in Abu Ghraib einen Damm letzten Monat zerstört, weswegen mehr als 70.000 Menschen vorübergehend ihren Wohnort verlassen mussten. Sie sind mittlerweile zwar teilweise zurückgekehrt. Es fehlt vor allem an Trinkwasser, weil durch die Überflutung die Wasserstellen beschädigt wurden. Im März bat UNHCR um finanzielle Unterstützung für die Vertriebenen in Anbar in Höhe von 26 Millionen US-Dollar, bislang kamen aber nur 12 Prozent. In der Provinz selbst halten sich 300.000 Flüchtlinge auf, der Großteil ist in Schulen untergebracht, die dafür nicht geeignet und damit zudem zweckentfremdet sind.

Mittlerweile sollen die Islamisten weiter Richtung Bagdad vorgerückt sein und Kämpfe in Muqdadiyah. in der Nähe von Bakuba, 60 km vor Bagdad, stattfinden. Unklar ist, ob Kurden in der Bakuba-Provinz Saadiyah und Jalawla verteidigen konnten. Die Islamisten sprachen davon, die Distrikte bereits zu kontrollieren. Der ISIS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani drohte mit der Einnahme von Bagdad und Karbala. Nach Berichten sollen sich Islamisten vor Samarra versammeln, um erneut einen Angriff zu starten, nachdem sie am Anfang der Woche wieder vertrieben werden konnten. Die irakische Regierung bereitet offenbar auch mit Freiwilligen, die sich zum Kampf gegen die Islamisten gemeldet hatten, eine Gegenoffensive vor. Truppen in Samarra seien verstärkt worden, von wo aus die Islamisten aus Tikrit und Dur vertrieben werden sollen.