ISIL bringt die Geopolitik durcheinander

Die USA bereiten sich auf Luftschläge gegen die Islamisten vor, die irakische Regierung stärkt mit schiitischen Milizen und Freiwilligen den Kampf gegen ISIL und die Verteidigung von Bagdad

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Wieder ist ein Bush unterwegs in Richtung Irak. Dieses Mal ist es der US-Flugzeugträger USS George HW Bush, den US-Verteidigungsminister Chuck Hagel gestern zusammen mit zwei weiteren Kriegsschiffen mit Lenkraketen in den Persischen Golf beordert hat. US-Präsident Obama hatte angesichts der Erfolge der ISIL-Islamisten im Irak keine Option ausgeschlossen, aber eigentlich doch die, US-Soldaten zu schicken. Gebeten hatte die Maliki-Regierung schon früher um Hilfe durch die Luftwaffe und Drohnen gegen die sunnitischen Islamisten. Das war bislang abgelehnt worden.

Sollten die Islamisten weiter Richtung Bagdad wie angedroht vorrücken können, könnte es also zu Luft- und Raketenangriffen auf ISIL-Stellungen kommen. Ob bereits US-Drohnen zur Aufklärung über dem Irak fliegen, ist derzeit nicht bekannt. Nachdem Maliki beim Abzug der Amerikaner kein Abkommen mit Washington geschlossen hat, wurden auch die Drohnen abgezogen und in die Türkei verlegt.

Möglich wäre eine militärische Intervention der USA in den Irak zugunsten der schiitischen Maliki-Regierung, deren ausgrenzende Politik gegenüber den Sunniten zum breiten Widerstand dieser gegen die Regierung und damit zum Nährboden für die für ihre Brutalität bekannten Islamisten maßgeblich beigetragen hat, weil vom amerikanischen Erzfeind Iran dieses Mal eher Unterstützung zu erwarten wäre. Auch der wiedergewählte syrische Präsident Assad würde nichts gegen eine Intervention haben, obgleich er taktisch klug die von Saudi-Arabien und Katar unterstützten Islamisten an der türkischen und irakischen Grenze meist ungestört ließ und vornehmlich gegen die Freie Syrische Armee oder die noch vergleichsweise gemäßigten al-Qaida-Islamisten der al-Nusra-Front vorgegangen ist. Aber auch Assad kann sich nun in den Kampf gegen den Terror einreihen.

Dagegen könnte es für die türkische Regierung schwieriger werden, die sich schon früh gegen das Assad-Regime wandte, auch wegen der Ölressourcen engere Kontakte mit der kurdischen Regierung im Irak und mit gemäßigten irakischen Sunniten pflegte und die Grenze nach Syrien für ein- und ausreisende Kämpfer offenhielt. So wurde die Türkei zur "Dschihad-Autobahn", über die Tausende Islamisten aus der ganzen Welt, auch aus Europa und aus der Türkei selbst, nach Syrien und von dort aus auch in den Irak reisten und ISIL verstärkten. Während sich der Westen bei der Unterstützung der bewaffneten syrischen Opposition zurückhielt, waren die Islamisten aus den Golfstaaten gut finanziell und mit Waffen versorgt und konnten sich daher besser ausrüsten und neue Kämpfer rekrutieren. Das Problem beleuchtet der Abgang von neun Offizieren der Freien Syrischen Armee. Sie zogen sich aus dem Kampf zurück, weil der Westen den Widerstand zu wenig unterstützt, um erfolgreich kämpfen zu können. Zudem müssten sie nicht nur gegen das Regime, sondern auch gegen ISIL kämpfen.

Unter Druck steht die türkische Regierung, weil weiterhin 80 Türken von den ISIL-Islamisten gefangen gehalten werden. Einer der festgehaltenen LKW-Fahrer konnte inzwischen entkommen. Das türkische Außenministerium wartet noch eine Entscheidung der Islamisten ab, Verhandlungen mit den Islamisten gebe es keine. Es wurde noch keine Begründung für die Verschleppung der Lastwagenfahrer und der Mitarbeiter und Angehörigen des Konsulats in Mosul gegeben, auch Forderungen wurden noch nicht geäußert. Das türkische Militär wies indes Behauptungen zurück, dass im Irak vier türkische Offiziere von der Regierung festgenommen worden seien, die die Islamisten trainiert hätten.

Während weiterhin die Rede davon ist, dass bereits iranische Soldaten im Irak seien, bestreitet dies der iranische Regierungschef Rohani ebenso wie der stellvertretende Außenminister Hossein Amir Abdollahian. Man werde dem Irak helfen, sagte er, wenn die Regierung dies wünscht, aber die Entsendung von Truppen in den Irak sei nie in Betracht gezogen worden. Auch Gerüchte von einer möglichen Zusammenarbeit mit den Amerikanern wies er zurück. Die Amerikaner könnten etwas in der Richtung unternehmen, er sei aber nicht informiert. Rohani warnte erneut vor der Ausbreitung des Terrorismus in der Region - der Iran unterstützt auch den Kampf des syrischen Regimes gegen den "Terrorismus", und er kritisierte die Staaten, die den Terrorismus finanziell und mit Waffen unterstützen. Die Terroristen würden ihren Terror auch in diese Länder zurücktragen. Angesprochen sind dadurch Saudi-Arabien und Katar, was auch bedeutet, dass die Amerikaner und der Westen in eine schwierige Lage kommen, schließlich sind Katar und Saudi-Arabien enge Verbündete (und wichtige Handelspartner für Waffen und Öl), gleichzeitig kämpfen aber Saudi-Arabien und Iran um die Vorherrschaft in der Region. Die saudische Aufrüstung, die viele Milliarden in die USA und in den Westen fließen lässt, ist vor allem gegen Iran gerichtet. Zudem würde eine Annäherung an den Iran auch Probleme mit der israelischen Regierung mit sich bringen.

Nach einem Bericht des Telegraph sind inzwischen wieder Zehntausende der Geflohenen nach Mosul zurückgekehrt. Nach dem Reporter hätten die meisten Menschen, die er in der Stadt fragte, einen positiven Eindruck von den Islamisten, die von einem sunnitischen Widerstand gegen die Maliki-Regierung getragen würden. Es sei ihnen lieber, unter der Herrschaft der Islamisten als unter der des "Maliki-Regimes" zu leben, das Sunniten oft diskriminierte. Trotz Exekutionen und anderen Brutalitäten sei die Stimmung mittlerweile friedlich.

Allerdings hat ISIL 10 Verhaltensgebote zur Einrichtung des islamischen Kalifats verhängt, die die gute Stimmung bald trüben könnten. Es wurden strenge Bekleidungsvorschriften verhängt, Versammlungen sind ebenso verboten wie das Tragen von Waffen oder von Fahnen, abgesehen natürlich von der ISIl-Flagge. Drogen, Alkohol und Zigaretten sind auch verboten. Dieben wird die Hand abgehackt, gebetet werden muss in den Moscheen. ISIL ist schlicht die Vertretung von Allah auf Erden, von Demokratie oder anderen säkularen Schnickschnack ist bei dem von den Islamisten gewünschten Gottesstaat nicht die Rede.

Während sich auf der einen Seite die ISIL-Kämpfer vermutlich an die Spitze des sunnitischen Widerstands gestellt haben, ziehen nun schiitische Milizen und schiitische Freiwillige in den Krieg, nachdem das Militär kampflos Mosul und andere Städte verlassen hatte. In Mosul waren immerhin mehr als 50.000 Soldaten, die von wenigen tausend Islamisten vertrieben wurden. Angeblich sind auch ehemalige Offiziere von Hussein zu den Islamisten übergewechselt. Vor Bagdad scheint aber nun, auch dank der Hilfe durch die Peshmerga-Kämpfer, ins Stoppen geraten zu sein. Vor Bagdad werden Wälle geschaufelt und Straßensperren errichtet, zusammen mit schiitischen Milizen haben irakische Soldaten wieder einige kleinere Erfolge um Samarra und Diyala erzielen können. Angeblich sollen mehrere Hundert ISIL-Kämpfer getötet worden sein. In Tikrit sollen die Islamisten die Zugangsstraßen vermint und mit Bomben versehen haben.

Der Krieg findet zunehmend zwischen schiitischen und sunnitischen Extremisten statt. Allein in Nadschaf sollen sich mehr als 8000 Männer gemeldet haben, um gegen die sunnitischen Islamisten zu kämpfen. ISIL zielt dies auch direkt an und hat die Zerstörung aller schiitischer Heiligtümer angekündigt. Das irakische Kommunikationsministerium blockiert den Zugriff auf soziale Netzwerke wie Facebook, YouTube, Twitter oder WhatsApp, weil diese von ISIL benutzt würden.