Ukraine: Friedensplan ohne Beteiligung der anderen Seite

Heute will der ukrainische Präsident Petro Poroschenko seinen Friedensplan mit gewählten Vertretern der Ostukraine beraten. Regierungsgegner sind nicht eingeladen

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Die sogenannte Antiterroroperation in der Ost-Ukraine stößt immer mehr auch auf aktiven Protest. Mehrere tausend Bergarbeiter verschiedener Kohlegruben zogen am Mittwoch mit Plakaten, auf denen stand: "Schluss mit dem Krieg" und "Nato nein", durch die Stadt Donezk. Nach russischen Medienberichten drohen die Bergarbeiter mit einem Streik, wenn die "Antiterroroperation" der ukrainischen Regierung nicht gestoppt wird.

Mediziner sprechen von einer humanitären Katastrophe in den umkämpften Städten der Ost-Ukraine. Jeden Tag wird dort der Tod von mehreren Zivilisten und auch Kindern gemeldet. Nur selten sind die Namen der toten Zivilisten der Öffentlichkeit bekannt. Inzwischen gibt es ein Foto von Polina, einem Mädchen aus Slawjansk, das beim Wasserholen von einem Granatsplitter getötet wurde.

Polina auf dem Arm von Michail Kowaljow, Chirurg im Zentralen Krankenhaus von Slawjansk. Foto: Intermedicare

Mehrere Hilfsorganisationen und bekannte Mediziner, wie Doktor Lisa aus Moskau starteten Aufrufe zur Unterstützung der Flüchtlinge aus den bedrohten Städten.

Abzugskorridor nach Russland

Der von dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko am Mittwoch vorgestellte Friedensplan stieß bei den Regierungsgegnern in der Ost-Ukraine und auch in Moskau auf heftige Kritik. Poroschenko hatte für die nächsten Tage eine einseitige Feuerpause angekündigt. Diese Feuerpause soll dazu dienen "die ungesetzlichen Einheiten zu entwaffnen". Außerdem soll ein Korridor geöffnet werden, damit die Militanten nach Russland abziehen können. Wer "kein Blut an den Händen hat", der soll unter eine Amnestie fallen (Poroschenko: "Die Ukraine befindet sich im Kriegszustand").

Die Waffenruhe soll nur von kurzer Dauer sein. Das Ziel der Militäroperation formulierte der Präsident der Ukraine folgendermaßen: "Heute tun wir alles dafür, um Slawjansk zu umzingeln und die Terroristen unter Führung von "Strelka" (gemeint ist der Kommandeur der Donezk-Armee, Igor Strelkow), die bewaffneten Widerstand gegen die ukrainischen Militärs leisten, zu liquidieren."

Unausgegorener Plan

Am Donnerstag will der ukrainische Präsident seinen Friedensplan mit gewählten Vertretern der Ost-Ukraine und Geschäftsleuten beraten. Vertreter der Separatisten sind zu der Beratung ausdrücklich nicht eingeladen. Der Plan des Präsidenten wirkt unausgegoren. Fraglich ist, ob er ernst gemeint ist:

  • Einen genauen Zeitpunkt für die Waffenruhe nannte Poroschenko nicht. Anfang der Woche hatte der Präsident den 22. Juni als Zeitpunkt für die Feuerpause genannt.
  • Größtes Hindernis ist nach den Worten von Poroschenko, dass die ukrainischen Truppen noch keine vollständige Kontrolle über die ukrainische-russische Grenze haben. Kiew befürchtet, dass die Aufständischen eine Feuerpause nutzen, um Freiwillige aus Russland in das Land zu schleusen.
  • Der Sprecher der "Antiterroroperation", Wladislaw Selesnjow, erklärte, die ukrainischen Truppen seien nur bereit, den Befehl des Präsidenten auszuführen, wenn auch die Separatisten das Feuer einstellen.

Sprecher der Donezk-Republik: Plan ist "sinnlos"

Der Vorsitzende der Donezk-Republik, Denis Puschilin, der sich zur Zeit zu Gesprächen über die wirtschaftliche Zukunft der Donezk-Republik in Moskau aufhält, lehnte den Friedensplan von Poroschenko ab. Der Vorschlag sei "sinnlos", da die Kämpfer damit rechnen müssten, nach der Waffenabgabe verhaftet zu werden.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte, die Initiative des ukrainischen Präsidenten sei nur "umfassend", wenn mit den Regierungsgegnern auch Gespräche geführt werden. Wenn man ihnen nur anbiete, das Land zu verlassen, sei das fast schon eine "ethnische Säuberung".

Dem radikalen Spektrum in der Ukraine ist offenbar schon die Ankündigung eines Friedensplanes ein Graus. Auf der Website der Ukrainskaja Prawda witterten zahlreiche User nationalen "Verrat". Da wolle Jemand "den Banditen den A… lecken, zum Nutzen von Putin und den Freimaurern in der EU", schreibt Userin "sara21". Weiter schreibt sara21: "Man darf die Militäroperation jetzt nicht einstellen, sonst ist alles automatisch verloren und die Zahl der Opfer steigt." Der User "OSSwold" schreibt: "Es ist absolut verrückt, wenn er (Poroschenko, U.H.) jetzt wirklich entschieden hat, uns der Beschießung auszuliefern und das als Friedensplan des Präsidenten bezeichnet … der später in die Geschichte als Genozid am ukrainischen Volk eingeht."

Nicht alle waren mit dieser Meinung einverstanden. User "Kotov Vany" konterte: "Eure Nazi-Kinderschänder töten friedliche Bürger mit Hilfe von Flugzeugen." User "s_stahofsky" - offenbar ein Regierungskritiker - meint, die Poroschenko-Kritiker aufklären zum müssen. Sie hätten den Friedensplan wohl "nicht richtig gelesen". "Es wird eine kurze Feuerpause von der Junta geben, und in der Zeit sollen die Donbass-Leute ihre Waffen abgeben. Und mir scheint, in der Zeit werden die Faschisten ihre Kräfte umgruppieren. Das ist alles."

Russisches Ermittlungskomitee ermittelt gegen ukrainischen Innenminister

Zwischen Petro Poroschenko und Wladimir Putin gab es zwar in den letzten Tagen mehrere Telefongespräche, aber das Klima zwischen Russland und der Ukraine bleibt trotzdem eisig.

Der Sprecher des russischen Ermittlungskomitees, Wladimir Markin, gab am Mittwoch die Einleitung von Strafverfahren gegen den Innenminister Arsen Awakow und den Gouverneur von Dnjepropetrowsk und Oligarchen Igor Kolomoiski. Die russischen Ermittler - so Markin - hätten herausgefunden, dass hinter dem Blutvergießen in der Ost-Ukraine insbesondere die beiden Politiker steckten. Kolomoiski finanziere mit "schmutzigem Geld" Spezialeinheiten. Der Oligarch hatte auch schon mal Kopfgeldprämien für Separatisten versprochen (Panzer und Kopfgeldprämien - Wie die Ukraine weiter zerrüttet wird) und bot Geld für die Abgabe von Schusswaffen. Russischsprachige Medien sehen in Kolomoiski auch einen der Drahtzieher des Brandes im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai.

Das Ermittlungskomitee wirft Kolomoiski und Awakow nun "organisierten Mord", "unerlaubte Methoden der Kriegsführung" und "die Entführung von Menschen" vor. Die beiden Politiker sollen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur internationalen Fahndung ausgeschrieben werden. Die russischen Ermittler meinen, die beiden Politiker seien verantwortlich für die Beschießung der ost-ukrainischen Städte Slawjansk, Kramatorsk, Donezk und Mariupol. Dabei seien Raketenwerfer und nichtgelenkte Flugzeugraketen mit einem Kassettenkopf eingesetzt worden. Gemeint ist offenbar der Raketenbeschuss der Gebietsverwaltung von Lugansk (Raketenangriff auf Sitz der Separatisten im ostukrainischen Lugansk).

Schon vier Journalisten getötet

Der Sprecher des russischen Ermittlungskomitees erklärte, bei der ukrainischen Militäroperation in der Ost-Ukraine seien 100 Zivilisten getötet worden, darunter vier Journalisten. Bei den Journalisten handelt es sich um Igor Korneljuk und Anton Woloschin vom russischen Fernseh-Kanal Vesti, die am Dienstag im Gebiet Lugansk von einer Granate getötet wurden. Außerdem geht es um den italienischen Foto-Korrespondenten Andre Rocceli und seinen Helfer, den russische Menschenrechtler Andrej Mironow. Die Beiden starben Ende Mai bei einem Granatwerferbeschuss vor der Stadt Slawjansk. Eine Foto-Reportage von Roccelli und Mironow über Familien in Slawjansk hatte in russischen Medien Beachtung gefunden.

Das russische Ermittlungskomitee geht davon aus, dass während der "Antiterroroperation" in der Ost-Ukraine 500 Wohnhäuser und ein großer Teil örtlichen Infrastruktur zerstört wurden. Insgesamt 50.000 Flüchtlinge hätten Zuflucht in Russland gefunden.