Frankreich: Sparpläne könnten 60.000 Arbeitsplätze vernichten

Der Wirtschaftsaufschwung bleibt aus; eine Regierungsmitarbeiterin veröffentlicht Prognosen aus dem Finanzministerium, die wenig Besserung versprechen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Frankreichs Konjunktur kommt nicht in Schwung; die Kluft zu Deutschland wächst, verzeichnet eine Umfrage unter 5.000 Unternehmen in der Euro-Zone. Weder die Unternehmen noch die Konsumenten schenken den Signalen zum Wirtschaftsaufschwung der französischen Regierung Glauben, heißt es im Bericht der Schweizer Zeitung NZZ. Nun wird der Nachtragshaushalt in der Volksversammlung debattiert, dessen Kernstück sind die Sparpläne der Regierung. Regierungschef Valls fordert Loyalität von den Sozialdemokraten. Doch aus deren Reihen kommt spitze Kritik, nicht gerade von einer Hinterbänklerin, sondern von der Ökonomin und Berichterstatterin der Haushaltskommission, Valérie Rabault.

Bei den Kommunalwahlen und bei den Europawahlen kassierte der PS eine unmissverständlich deutliche Wählerabfuhr. Manuel Valls, den Staatspräsident Hollande nach den Kommunalwahlen zum neuen Regierungschef bestimmte (Französisches Kampfkabinett mit Rücken zur Wand), reagierte jedesmal mit dem Versprechen von Steuersenkungen für Geringverdienende. Und jedesmal blieb es bei den Versprechen, Konkretes wurde nicht bekannt.

Viel Vages im "Pakt der Verantwortung"

Ähnliches gilt für die groß angekündigten Reformen, betitelt "Pakt der Verantwortung" (Schafft arbeitgeberfreundliche Politik mehr Arbeitsplätze?). Die Regierung konnte bislang nicht konkret klarmachen, wie sie Sparmaßnahmen, geplant sind 50 Milliarden Einsparungen bis 2017, mit dem Ziel einer Konjunkturbelebung über die Steigerung der Kaufkraft vereinbaren will.

Aus den Reihen der PS gab es viele Fragen und starke Kritik an den Reformplänen, die sie für zu unternehmerfreundlich halten, zum Nachteil von Familien, Rentnern und schlechtbezahlten Arbeitnehmern (Frankreichs Sparprogramm: Mehr Arbeitsplätze durch Abbau von Sozialleistungen). Hollande setzt dagegen darauf, dass die Entlastungen der Unternehmen von Sozialabgaben zu mehr Einstellungen führt. Bislang scheint die Wette nicht aufzugehen.

Unterlagen aus dem Finanzministerium mitgenommen

Um sich Klarheit über die Finanzierungspläne der Regierung zu verschaffen, griff die Berichterstatterin der Haushaltskommission, Valérie Rabault, Mitte Juni zu einem wenig üblichen, aber rechtlich abgesegneten Mittel: Sie stattete dem Finanzministerium einen Überraschungsbesuch ab und forderte kraft ihres Amtes die Unterlagen zum Nachtragshaushalt ein, deren Einsicht das Ministerium den Abgeordneten bislang verweigert hatte.

Heute veröffentlichten französische Medien dann die zentralen Einschätzungen, die Rabault aus den Unterlagen bezog. Allerdings geht es dabei weniger um die Finanzierung der Reformen, sondern um Prognosen.

"Extrem theoretisch"

Laut Rabault ist den Dokumenten des Finanzministeriums die Aussicht zu entnehmen, dass die Sparmaßnahmen einen negativen Effekt auf das jährliche Wachstum von 2015 bis 2017 hat, der auf 0,7 % beziffert wird. Auf Arbeitsplätze umgerechnet prognostiziert man 250.000 Arbeitsplätze weniger.

Dem stellen die Ökonomen des Finanzministeriums dann die positiven Effekte des Reformpakets entgegen, angeführt wird hier die geringere Belastung der Unternehmen und eine höhere Kaufkraft der Haushalte, was zu einem Wachstumseffekt von 0,6 Prozent jährlich führen könnte und zusätzlich 190.000 Arbeistplätze. Summa summarum würden durch die Reformepläne "60.000 Arbeitsplätze zerstört", wie der Nouvel Observateur resümiert.

Das ist kein sonderlich ermutigendes Ergebnis für die Regierung, die das Reformpaket im Parlament zur Abstimmung bringt. Klarheit in die Sache bringt es aber nicht. Die Zahlen bleiben, wie so vieles, was von Ökonomen mit mathematischer Camouflage vorgebracht wird, in Geheimnis gehüllt.

Der Finanzminister Michel Sapin, den selbst kritische Ökonomen als klugen Mann bezeichnen, kommentierte die veröffentlichten Zahlen als "Berechnungen, die von einer Anzahl von Ökonomen im stillen Kämmerlein angestellt werden", sie seien "extrem theoretisch". Eine realistischere Einschätzung lasse sich erst später abgeben. Ob sie besser aussieht, ist die Frage. Aber erstmal lenkt die Fußball-WM von düsteren Aussichten ab, zumindest solange das französische Nationalteam weiterhin viel besser spielt als erwartet.