Das Geld der Zukunft

Zur Diskussion um Negativzinsen und über die Chancen für eine Geldgebühr

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Die Europäische Zentralbank (EZB) hat Negativzinsen auf gehortete Geldbestände der Geschäftsbanken eingeführt. Kann es sowas überhaupt geben? Werden die Sparer nun enteignet? Kann man Deflation nur durch Inflation vermeiden? Und werden wir als Nächstes eine Gebühr auf Bargeld oder gar "rostende Banknoten" bekommen?

Die Idee, übergroße Geldbestände durch eine Gebühr zu enthorten, ist nicht neu. Die Berichterstattung hierüber ist dennoch vielfach mehr verwirrend als aufklärend. Selbst Stellungnahmen der wenigen prominenten Geldtheoretiker zu den Perspektiven einer stabilen Währung sind mitunter wenig erhellend. Ein exemplarisches Beispiel ist ein Beitrag von Bastian Benrath mit dem Titel "Das selbstentwertende Geld". Der Artikel auf Handelsblatt.com ist informativ, lesenswert und um Objektivität bemüht. Dennoch vermengt er Irrtümer, Missverständnisse und interessante Informationen. Es bleibt unklar, ob der Autor überfordert ist, gezielt zu analysieren, oder ob er gekonnt verwirren will. Ähnlich ergeht es einem mit Beiträgen von Thomas Straubhaar auf Welt.de und Christian Rickens auf Spiegel-Online.

Bastian Benrath verbindet den negativen Einlagenzins für die Geschäftsbanken mit der Möglichkeit negativer Einlagenzinsen für Privatleute und verquickt dies mit der Idee, Geldscheine durch eine Gebühr in Umlauf zu halten. Schon die Überschrift "Das selbstentwertende Geld", suggeriert einen falschen Zusammenhang.

Die Forderung, Bargeld durch eine Gebühr der Hortung zu entziehen, ist eine Maßnahme zur Vermeidung von Inflation und eine Voraussetzung für eine Währung mit einem gleichbleibenden Preisniveau. Oberflächlich betrachtet kann man die derzeit installierten negativen Notenbankzinssätze leicht mit der von Keynes und Gesell geforderten Geldgebühr verwechseln. Verstärkt wird die Verwechslungsgefahr, wenn man die Geldgebühr mit negativen Einlagenzinssätzen auf Girobestände gleichsetzt. In einem Beitrag einer Fachzeitschrift sollten solche Verwechslungen jedoch aufgeklärt und nicht, wie in zahlreichen Beiträgen geschehen, forciert werden.

Die Idee ist nicht neu. Sie geht zurück bis auf den deutschen Finanztheoretiker Silvio Gesell (1862-1930), der als erster eine Steuer auf die Geldhaltung forderte. Denn nichts anderes wären negative Leitzinsen: Da sich das Geld auf dem Konto selbst entwertete, hätte der am meisten von seinem Vermögen, der es möglichst sofort wieder ausgibt. Ein negativer Leitzins würde also so etwas wie eine künstliche Inflation hervorrufen. Sogar Ökonomen-Übervater John Maynard Keynes zitierte Gesell zustimmend.

Bastian Benrath

Dieser Verweis auf Gesell und Keynes, den Herrn Benrath macht, ist erfreulich, im Detail jedoch in mehrfacher Hinsicht falsch. Gesell forderte eine Gebühr auf Bargeld, um zu verhindern, dass dieses dem Geldkreislauf entzogen wird. Steuern erhebt man, um mit ihnen anstehende Aufgaben zu finanzieren.

Die Gebühr auf gehortete Bestände dient hingegen der Verstetigung des Geldumlaufes. Der anfallende Zentralbankgewinn ersetzt dabei bestenfalls die bisherigen Zinseinnahmen der Zentralbank und bleibt, wie der traditionelle Zentralbankgewinn, ein Nebenprodukt der Geldpolitik. Im Idealfall, wenn also Bargeld nicht zur Hortung missbraucht wird, wäre die erzielte Gebühr mit 6% p.a. auf das herausgegebene Bargeld, nicht höher als die bisher erzielten Zentralbankeinnahmen. Das Bargeld würde jedoch zügig von Hand zu Hand gehen und die aktuelle Praxis, die rückläufige Umlaufgeschwindigkeit durch eine permanente Erhöhung der Geldmenge zu kompensieren, würde vermeidbar.

Ein Großteil der lediglich spekulativ genutzten Besände würde zurück zur Zentralbank fließen. Damit wäre auch das Inflationsrisiko gebannt, dass aus dem unkontrollierten Wachstum der Geldmengen resultiert. Als Ergänzung der Situation vor 100 Jahren müsste man heute gewährleisten, dass die Hortung nicht auf die Girokonten verlagert wird. Endlos anwachsende Giralgeld- und Spekulationbestände entziehen dem Markt Kaufkraft und verringern das langfristige Kreditpotenzial. Dem kann man entgegenwirken.

Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts und Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, gelingt es nicht einmal, die scheinbare Notwendigkeit immer positiver Zinssätze kritisch zu beleuchten:

Der positive Zins motiviert Menschen dazu, heute zu verzichten, um morgen mehr zu erhalten. … Deshalb wird der Zins auch als "Preis für die Zeit" bezeichnet. Er ermöglicht, Konsum und Produktion zwischen Gegenwart und Zukunft zu tauschen.

Thomas Straubhaar

Mit der gleichen Logik könnte man Falschparker dafür belohnen, wenn sie ihr Auto aus dem Weg nehmen, anstatt sie mit einem Strafzettel zu belangen, weil sie die Straße blockieren. Auch Falschparken dient der Zeitersparnis. Es ist dennoch nicht sinnvoll, jeden Richtigparker zu belohnen. In dieser Diskussion geht es dennoch nicht darum, "den positiven Zins - und damit den zentralen Marktmechanismus - abzuschaffen", wie gerne unterstellt wird. Das Ziel ist es, das Instrumentarium der Notenbanken zu erweitern und dauerhaft niedrige Zinssätze zu ermöglichen.

Wieso soll Geldkapital ein Recht auf immer positive Zinsen haben?

Warum sollte der Guthabenzins selbst bei Kapitalüberangebot und einem Wachstum um Null nicht auch gegen Null fallen? Warum sollte die Notenbank nicht gegen das überproportionale Anwachsen der liquiden Geldmittel angehen? Reicht es nicht, über die Zeit das Ersparte in voller Kaufkraft zurückzuerhalten? Wieso soll Geldkapital ein Recht auf immer positive Zinsen haben? Andere Waren und Produkte haben dieses Privileg nicht - Bodenschätze und Monopole ausgenommen.

Positive Zinssätze verursachen massive Belastungen und Störungen im Wirtschaftsleben. Eine etwas kritischere Auseinandersetzung und eine ergebnisoffene Betrachtung möglicher Alternativen wären daher, selbst für ein konservatives Publikum, wünschenswert.

"Allein: Im Grunde sind sich Ökonomen darüber einig, dass der Leitzins nur positiv sein kann. Denn: Wer würde Geld verleihen, wenn er es nicht vollständig wieder zurückbekommt?", schreibt Benrath, zitiert aber gleichzeitig den Harvard-Ökonom Gregory Mankiw: "Anstatt das Geld zu einem negativen Zins zu verleihen, wäre es rentabler, sich Bargeld unter die Matratze zu legen."

Mankiw, der Fan von negativen Leitzinsen ist, sagt sinngemäß: Weil man Geld heute horten kann, ist es notwendig, dafür Kosten zu erzeugen, um diese schädliche Hortung zu vermeiden. Seinen Hinweis auf die Möglichkeit einer "Lotterie" erklärt die theoretische Notwendigkeit einer Maßnahme. Als praktischen Vorschlag für eine Geldgebühr formuliert er dies nicht. Eine Geldgebühr kann man heute technisch perfekt und präzise durch einen Magnetstreifen oder Mikrochip in den Geldscheinen realisieren. Benrath weist zu Recht auf diese Möglichkeiten hin:

Andere Vorschläge sehen vor, in jeden Geldschein einen Magnetstreifen einzubauen, der stets den aktuellen, entwerteten Wert wiedergibt. Auch ablaufende Geldscheine wären möglich: Einen Monat nach Ausgabe würde der Schein dann komplett ungültig.

Bastian Benrath

Die Schlussfolgerung dagegen ist wieder komplett falsch. Gesell und einige Anhänger seiner Idee beschreiben, dass der Liquiditätsvorteil des Bargelds in etwa 6% per anno ausmacht. Diesen Vorteil gilt es durch die Gebühr zu neutralisieren. Ein 100-Euro-Schein, der über ein Jahr lang in keinem Laden und bei keiner Bank eingezahlt wird, würde demnach mit einer Gebühr von sechs Euro belastet. Entsprechend würde ein 1000-Euro-Guthaben auf dem Girokonto bei einer Gebühr von 5% per anno mit 50 € belastet. Guthaben, die man weiter verliehen hat, bleiben von dieser Gebühr unberührt und würde bei einem angestrebten Kapitalmarktzins von um die 0% und einer hiermit ermöglichten preisstabilen Währung, dauerhaft ihren Wert erhalten.

Thomas Straubhaar erkennt in einer Gebühr für die Zurückhaltung von Geld, den Anfang vom Ende des Kapitalismus und verneint sogar die verbesserte Wertaufbewahrungsfunktion indem er nicht zwischen Bargeld und Ersparnissen differenziert:

Um das Horten von Bargeld zu verhindern, muss der Staat - als weiteren Schritt einer Interventionsspirale - die zeitliche Gültigkeit von Geldscheinen beschränken. Noten würden ihren nominalen Wert dann nur innerhalb einer bestimmten Frist behalten. Danach werden sie entwertet. In der Konsequenz wird so die Funktion des Geldes als Wertaufbewahrungsmittel zerstört. Auch das würde das Ende eines kapitalistischen Wirtschaftssystems bedeuten.

Thomas Straubhaar

Die Geldgebühr behindert die Zweckentfremdung des Geldes zu Spekulationszwecken. Damit wird es langfristig unmöglich, selbst bei enormem Kapitalüberhang, einen dauerhaft positiven Realzins zu erzielen. Dies reduziert die Dimension leistungsloser Einkommen maßgeblich und es entlastet die Arbeitseinkommen, aus denen letztlich alle Kapitaleinkommen abgezweigt werden.

Definiert man Kapitalismus als die Möglichkeit Geld durch den Besitz von Kapital (u.a. Geldvermögen) zu erlangen, wäre damit tatsächlich ein erster Schritt weg vom Kapitalismus hin zu einer gerechten Marktwirtschaft gemacht. Vollkommen falsch und unverständlich ist in diesem Zusammenhang Straubhaars Folgerung, die Funktion des Geldes als Wertaufbewahrungsmittel würde dadurch zerstört. Die Geldgebühr sichert den Geldumlauf und vermeidet eine expansive, inflationäre Geldpolitik. Langfristige Guthaben und die Wert-Einheit Euro können nun, ganz im Unterschied zur gegenwärtigen Notenbankpolitik, auf Dauer im Wert stabil bleiben.

Wie lässt sich das Wachstum von Geldvermögen und Schulden ohne Deflationsrisiko begrenzen?

Nicht weniger verwirrend ist der Artikel von Christian Rickens bei Spiegel-online "Die Zinsen schwinden, die Utopie beginnt". Rickens macht es dem Leser ganz besonders schwer, von der Vermutung Abstand zu halten, er wolle mit seinem Beitrag bewusst Verwirrung stiften. So schafft er es beispielsweise in einem einzigen kurzen Absatz, vier Fehler einzubauen:

Der Sozialreformer Silvio Gesell hat um 1900 sogar ein komplettes alternatives Wirtschaftssystem entworfen, das ohne Zinsen auskommen sollte. Mehr noch: Gehortetes Geld sollte ständig an Wert verlieren. Eine Forderung, die heute jedes deutsche Sparbuch erfüllt. Durch den Zwang zum Ausgeben wollte Gesell den Kapitalismus gerechter machen und Krisen verhindern.

Christian Rickens

Erstens: Gesell hat als Kaufmann die Ursachen der argentinischen Wirtschaftskrise untersucht und die Funktion von Geld und Zins analysiert. Seine Vorschläge zielten darauf ab, die Monopolstellung des Geldbesitzers zu überwinden. Niemals wollte er "ohne Zinsen auskommen".

Zweitens: Das Preisniveau sollte durch seinen Vorschlag stabil werden; das Geld gleichmäßig zirkulieren. Den Verfall der Kaufkraft, spricht die Inflation, hat er als größten Betrug an den Menschen empfunden.

Drittens: Die Entwertung der Sparguthaben resultiert aus der derzeitigen Unfähigkeit der Notenbank, den Geldumlauf ohne Inflationspotential zu gewährleisten. Dies hat mit den Negativzinsen oder gar einer Geldgebühr nichts gemein. Eine gesunde Zinsstruktur kann in der Spanne von minus sechs Prozent beim Bargeld und null Prozent für langfristige Ausleihungen liegen. Ein Wertverlust der Sparguthaben ist weder sinnvoll noch beabsichtigt.

Viertens: Enthortung von Liquidität kann durch Ausgeben und durch Ausleihen erfolgen. Gesells Vorschlag zielte darauf ab, die Hortung des herausgegebenen, in Umlauf gebrachten Bargeldes, unattraktiv zu machen. Sein Ziel war weder ein "Zwang zum Ausgeben" noch ein "gerechterer Kapitalismus".

Richtig liegt Herr Rickens, wenn er schreibt, dass Gesells Vorschläge darauf abzielten, Krisen zu verhindern. Es gibt bis heute keine befriedigende Antwort darauf, wie das Wachstum von Geldvermögen und Schulden begrenzt werden kann oder wie sich dauerhaft Inflationsraten um 0% realisieren lassen, ohne eine Deflation zu riskieren.

Der Vorschlag einer Geld- beziehungsweise Liquiditätsgebühr bietet hierfür einen Ansatz. Daher ist es befremdlich, dass im Anbetracht der aufziehenden, neuerlichen Katastrophe in führenden Medien und von prominenten Wissenschaftlern über diesen Ansatz mehr Verwirrung als Aufklärung betrieben wird. In manchen Medien muss man sich bei der Lektüre dieses Themas derzeit mit der Beurteilung gut gedacht zufrieden geben. Gut gemacht sieht anders aus.

"Die Lösung könnte schließlich eine Kombination aus negativem Leitzins und Entwertung von Bargeld sein", beschreibt Bernath die innovative Perspektive und führt damit die Diskussion zumindest in die richtige Richtung. Volkswirtschaftlich notwendig ist eine breite Fächerung der Zinsstruktur und deshalb müssen an dieser Stelle die Kapitalmarkt-Zinssätze in die Diskussion einbezogen werden. Mit der Möglichkeit, die Geldzirkulation konstruktiv zu beeinflussen, kann man ein Kapitalmarkt-Zinsniveau nahe Null gewährleisten und gleichzeitig das Preisniveau langfristig stabil halten. Dies ist die Perspektive, die hinter der Idee der Geldgebühr steckt.

Den Journalisten will man ihre Ungenauigkeiten ungern vorhalten, denn schon die Elite der Geldtheoretiker tut sich schwer, aus den Gedanken von Gesell und Keynes brauchbare Schlüsse zu ziehen. Das Handelsblatt zitiert Ansgar Belke, Professor für Makroökonomie an der Universität Duisburg-Essen mit den Worten: Die Vorschläge sind "für ganze Volkswirtschaften kaum realistisch. … Man müsste die Leute mit Polizeigewalt zwingen, das Geld zu benutzen." Der Autor schlussfolgert daraus: "Denn wer würde eine Währung haben wollen, die sich selbst entwertet?"

Fakt ist jedoch, dass es derzeit das erklärte Ziel der EZB ist, eine möglichst konstante Inflation von 2 % im Jahr zu erreichen. Die gesetzliche Vorgabe, einen preisstabilen Euro zu garantieren, erklärt die EZB per Definition als erreicht, wenn die Geldvermögen jährlich um 2 % entwertet werden.

Weil sie zur Vermeidung von Hortung derzeit auf die Inflation angewiesen ist, definiert sie ihr Inflationsziel als Preisstabilität. Dabei sind 2% einerseits zu wenig, um den Geldumlauf und eine hinreichend ansteigende Zinsstruktur zu sichern, und andererseits zu viel um die Kaufkraftstabilität der Löhne und Renten zu gewährleisten. Genau auf dieses Dilemma bietet die Geldgebühr eine Antwort.

Klaus Willemsen ist freier Referent der Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung. Aktuelle Kommentare finden Sie unter INWO.de/Medienspiegel.