"Es war ein Schock für mich, diese Äußerungen zum Karlsruher Attentat zu lesen"

Michael Buback sieht Parallelen zwischen der Aufarbeitung in Sachen NSU und der Aufarbeitung im Mordfall seines Vaters

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Gibt es Parallelen zwischen dem Fall NSU ("In diesem Falle würde ich fast nichts ausschließen") und der Aufarbeitung des Mordes an dem von der Roten Armee Fraktion (RAF) 1977 ermordeten Generalbundesanwalt Siegfried Buback?

Im Mai dieses Jahres meldete sich der Sohn von Siegfried Buback, der sich seit Jahren für die Aufklärung des Verbrechens an seinem Vater einsetzt, in einem Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort. Darin verdeutlichte er: Sowohl im Fall seines Vaters als auch in Sachen NSU gibt es erstaunlich viele Überschneidungen.

Im Gespräch mit Telepolis geht Michael Buback auf die Parallelen ein, er verrät, welche Aussagen von Innenminister Thomas de Maizière ihn schockiert haben, was er von einer Art Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild hält und er spricht an, welche Schritte er von ehemaligen RAF-Mitgliedern für notwendig hält, so dass es zu einer Versöhnung kommen könnte.

Die entscheidende Parallele: das Zusammenwirken des Verfassungsschutzes mit Terroristen oder mit Terroristen nahe stehenden Personen

Vor kurzem haben Sie einen Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht, darin sprechen Sie an, dass es Parallelen zwischen dem Karlsruher Attentat (bzw. dem Verfahren gegen Verena Becker) und dem Komplex NSU gibt. Welche Parallelen sehen Sie?

Michael Buback: Die Parallelen zwischen dem Stuttgarter RAF-Verfahren gegen Verena Becker und dem Münchner NSU-Prozess erscheinen mir auffällig: Viele Jahre lang wurde jeweils nicht gegen dringend Tatverdächtige vorgegangen, Akten verschwanden oder wurden vernichtet.

Die wohl entscheidende Parallele ist, dass es ein Zusammenwirken des Verfassungsschutzes mit Terroristen oder mit Terroristen nahe stehenden Personen gegeben hat. Ich befürchte, dass der Wunsch der Angehörigen nach Aufklärung der Morde auch im NSU-Prozess nicht erfüllt werden wird. Die als unmittelbare Täter bezeichneten zwei Männer sind nicht angeklagt und gegen sie kann es keinen Prozess mehr geben, da sie tot sind.

Erstaunlicherweise wurden beide über etwa zehn Jahren nicht wegen der Morde angeklagt, aber nach dem Tode der beiden Männer sind die Ermittler fest überzeugt, dies seien die Täter gewesen. Mich erstaunt diese Annahme auch deshalb, weil meiner Frau und mir von zwei Bundesanwälten erklärt wurde, es sei naiv anzunehmen, dass die Besitzer der Karlsruher Tatwaffe, also Verena Becker und Günter Sonnenberg, bei ihrer Verhaftung vier Wochen nach dem Verbrechen, auch die Karlsruher Täter seien.

Eine solch brisante Waffe werde selbstverständlich von den Tätern an Dritte weitergegeben. Beim NSU-Komplex wird der umgekehrte Schluss gezogen: Hier gelten diejenigen als unmittelbare Täter, bei denen oder in deren Bereich die Tatwaffe gefunden wurde.

Können Sie weitere Beispiele anführen?

Michael Buback: Ich kann mich nicht zu Details äußern, da ich das Stuttgarter Verfahren als Nebenkläger sehr viel besser kenne als das Münchner NSU-Verfahren, von dem ich nur aus der Presse weiß. Die zentrale Parallele - und dies ist wohl des Pudels Kern - erscheint aber klar. Sie liegt im Zusammenwirken des Geheimdienstes mit Terroristen und es gibt wenig Neigung, dies publik zu machen. Es erstaunt dann nicht, dass es in Verbindung mit den RAF- und NSU-Verfahren in Umfang und Zeitpunkt bemerkenswerte Aktenvernichtungen gab.

Die beim BKA gelagerten Spurenakten zum Karlsruher Attentat wurden im Jahre 1994 auf Weisung des Generalbundesanwalts vernichtet. Dabei hatte es im Jahre 1982 die Mitteilung des Verfassungsschutzes an den Generalbundesanwalt gegeben, Stefan Wisniewski sei der Karlsruher Schütze gewesen. Gegen ihn hatte die Bundesanwaltschaft zum Zeitpunkt der Aktenvernichtung jedoch noch kein Ermittlungsverfahren wegen dieses Attentats aufgenommen.

Irritierend ist auch, dass die 1982 übergebene Verfassungsschutzakte mit dieser Information über Wisniewski in der Bundesanwaltschaft verschwunden ist, sodass sie von der Behörde im Jahre 2007 beim Verfassungsschutz angefordert werden musste.

Welche Schlüsse ziehen Sie für sich aus dieser Erkenntnis?

Michael Buback: Die Verbrechens-Aufklärung wird offensichtlich schwer, wenn es ein Zusammenwirken geheimdienstlicher Stellen mit Personen im terroristischen Bereich gegeben hat. Bei Verena Becker geht auch der Senat des Stuttgarter Oberlandesgerichts davon aus, dass sie Informantin des Bundesamtes für Verfassungsschutz war. Bei dieser Sachlage stößt die weisungsgebundene Bundesanwaltschaft an Grenzen.

Es kann dann zwar jahrelang verhandelt werden, aber Kernpunkte bleiben ausgeklammert. Der Stuttgarter Prozess zum Karlsruher Attentat befasste sich mehrfach mit den örtlichen Gegebenheiten des Camps, in dem sich RAF-Terroristen im Jemen aufgehalten hatten. Der Antrag der Nebenklage, einen Lokaltermin am nahe gelegenen Karlsruher Tatort anzusetzen sowie an der Stelle, an der die Täter vom Motorrad in den Fluchtwagen umgestiegen sind, wurde dagegen vom Senat abgelehnt, obwohl dies für die Beurteilung von Zeugenaussagen sehr wichtig gewesen wäre.

Im Falle der NSU-Morde wäre zu fragen, wie durch die Vernehmung von Ferienbekannten und Nachbarn, die keinerlei Nähe zu einem der Tatorte hatten, die Ermittlungen vorangebracht werden können, wenn ein Verfassungsschützer nichts bemerkt hat, der in Kassel zur Tatzeit beim Tatort war und als Mann vom Fach doch Beobachtungen gemacht haben müsste. Wenn Geheimdienste im Spiel sind, kommt man nicht weiter, sagte mir ein kenntnisreicher Beobachter zu Beginn des Stuttgarter Prozesses. Dies wollten meine Frau und ich nicht glauben.

Keine Antwort von Frau Merkel

Auch die Hinterbliebenen des Oktoberfest-Attentats kämpfen bis heute für mehr Aufklärung. Verbrechen der so genannten dritten Generation der RAF sind noch immer nicht aufgeklärt und werfen auch viele Fragen auf. Haben Sie jemals daran gedacht, dass sich all diese Opfer und Hinterbliebenen der verschiedenen terroristischen Anschläge, die es in Deutschland gab und bei denen noch immer vieles unaufgeklärt ist, doch zusammen tun könnten, um sich gemeinsam für eine Lösung einzusetzen?

Michael Buback: Es wäre kein gutes Zeichen für unseren Rechtsstaat, wenn sich Opferangehörige solidarisieren müssten, um eine Aufklärung und Strafverfolgung zu erreichen. Hinzu kommt, dass die Empfindungen der Opferangehörigen sehr unterschiedlich sind, was ich gut verstehe. Einige wollen gar nichts mehr von dem schrecklichen Geschehen hören und wissen, sodass sie sich nicht an gemeinsamen Initiativen beteiligen möchten.

Übrigens haben Corinna Ponto, Jörg Schleyer und ich im September 2010 über die "Bild"-Zeitung an die Bundeskanzlerin appelliert, die Aufklärung der politischen Morde an unseren Vätern tatkräftig voranzutreiben. Wir haben keine Antwort erhalten.

Manchmal wird Ihnen von Kommentatoren vorgeworfen, dass Sie Rache wollen, man rät Ihnen, das Verbrechen an ihrem Vater doch endlich ruhen zu lassen. Können Sie unseren Lesern erklären, was ihre Motivation ist und warum Sie sich weiter für die Aufklärung am Mord ihres Vaters einsetzen?

Michael Buback: Wer so etwas sagt, verkennt, dass es nicht bei mir liegt, Anklage zu erheben oder gar eine Hauptverhandlung zu eröffnen oder zu beenden. Es war eine Anklage der Bundesanwaltschaft. Die von Ihnen erwähnten Kommentatoren sollten auch bedenken, dass die Stuttgarter Hauptverhandlung für Verena Becker wohl wesentlich wichtiger war als für die Familie Buback.

Frau Becker ist erst jetzt - nach dem rechtskräftigen Urteil wegen Beihilfe - dauerhaft vor Strafverfolgung wegen Mittäterschaft beim Karlsruher Attentat geschützt. Das war sie zuvor nicht, da das diesbezügliche Ermittlungsverfahren gegen sie im Jahre 1980 mit der Begründung eingestellt worden war, sie sei unschuldig, zumindest könne ihr die Tat nicht nachgewiesen werden.

Die damalige, für Verena Becker günstige Entscheidung war allerdings mit dem Risiko verbunden, dass sie beim Auftauchen belastender Fakten angeklagt werden könnte, was ja dann im April 2010 auch geschehen ist und zu Ihrer Verurteilung im Jahre 2012 geführt hat, die aber, wie wir jetzt wissen, keine Haft für Frau Becker zur Folge hat.

"Der Vorwurf, ich wolle Rache, erscheint mir abwegig"

Gut, aber um nochmal den Vorwurf, Sie wollten Rache üben, aufzugreifen...

Michael Buback: Wer mir einen Wunsch nach Rache vorwirft, zeigt damit, dass er sich nicht näher mit dem Verfahren befasst hat. Er wüsste sonst von meinem Plädoyer, das - wie auch meine Blogtexte über jeden Stuttgarter Prozesstag - bei 3sat.kulturzeit.blog nachzulesen ist.

Darin habe ich zunächst ausgeführt, "dass die Angeklagte Verena Becker unmittelbar an der Durchführung des Attentats am Gründonnerstag, dem 7. April 1977, beteiligt war", aber danach erklärt: "Die Tatsache, dass den Prozessbeteiligten jede genauere Auskunft über Einflussnahme des Verfassungsschutzes vorenthalten wurde und dass es sehr viele Hinweise darauf gibt, dass die Ermittlungsakten nicht den Ansprüchen genügen, die man in einem so gewichtigen Verfahren, in dem es um dreifachen Mord geht, verlangen muss, ermöglichen es mir trotz der klaren Täterschaft somit nicht, eine lebenslängliche Verurteilung für die Angeklagte zu fordern." Ich habe somit für Frau Becker keine Bestrafung gefordert. Der Vorwurf, ich wolle Rache, erscheint mir abwegig.

Und was genau ist jetzt ihre Motivation?

Michael Buback: Mein Vater und der Vater meiner Frau waren Bundesanwälte in Karlsruhe. Unsere Familie ist dem Rechtsstaat tief verbunden, für den sich mein Vater mit aller Kraft und im besten Sinne eingesetzt hat. Es hat Versuche gegeben, ihn als Person darzustellen, die für Isolationsfolter und Vernichtungshaft eingetreten sei. Dies hat, obwohl es nicht zutreffend ist, Menschen darin bestärkt, ihn zu ermorden.

Ich wollte dazu beitragen, das schwere Verbrechen aufzuklären. Meine Frau und ich hatten mit Erstaunen bemerkt, dass Personen Informationen uns, aber nicht den zuständigen Behörden gaben. Wir haben uns als Vermittler gesehen und diese Personen und ihre Angaben an die Bundesanwaltschaft weitergeleitet.

Wir wundern uns, dass kein allgemeines Interesse besteht, den Mord am Generalbundesanwalt und seinen Begleitern aufzuklären und die Attentäter zu verurteilen. Es wird gelegentlich so dargestellt, als handele es sich hierbei um das persönliche Hobby eines Angehörigen. Es ist aber doch das Anliegen eines Rechtsstaats.