Ukraine: Der Waffenstillstand endet

Präsident Poroschenkos Friedensplan scheint gescheitert zu sein, jetzt wird er wohl ganz auf die militärische Karte setzen. UNHCR berichtet von einem starken Anstieg der Flüchtlinge nach Russkand und in die Westukraine

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Heute endet der einseitig vom ukrainischen Präsidenten Poroschenko verhängte Waffenstillstand, mit dem er seinen Friedensplan durchsetzen wollte. Wohl auf Druck von Moskau hatten Vertreter der "Volksrepubliken" Lugansk und Donezk zunächst erklärt, diesen auch zu beachten, um einen Tag später mit der Vereinigung der beiden "Volksrepubliken" zu "Neurussland" zu erklären, dass der Kampf weitergehe, weil Kiew den Krieg fortführe. Kiew wiederum machte die Separatisten für Angriffe verantwortlich, beispielsweise für den Abschuss eines Militärhubschraubers bei der eingekesselten Stadt Slawjansk. An vielen Orten gingen auch gestern die Kämpfe weiter, die Separatisten haben einige Erfolge erzielt und weitere Panzer und gepanzerten Fahrzeuge von den geflohenen ukrainischen Kräften übernommen.

Die Chance wäre gewesen, während des Waffenstillstands, so brüchig er auch immer gewesen ist, direkte Gespräche zwischen den Separatisten und Vertretern der ungarischen Regierung unter der Leitung der OSZE über eine Lösung auf der Grundlage des von Poroschenko entwickelten Friedensplans zu beginnen, der nur ein höchst rudimentärer Entwurf war. Aber offenbar war der Druck auf Poroschenko zu stark, der selbst von den Falken sprach, die nur auf eine militärische Lösung setzen, um tatsächlich einen solchen Dialog über ein erstes Treffen hinaus einzuleiten, was auch bedeutet hätte, dass der Waffenstillstand hätte verlängert werden müssen.

Erreicht hat Poroschenko mit seinem Vorstoß nichts, was das Lager der nationalistischen Falken in der Westukraine stärken dürfte. So hatte bereits die rechtsnationalistische Swoboda-Partei am Mittwoch nach dem ersten trilateralen Gespräch moniert, dass Poroschenko nicht vom "Maidan, der ukrainischen Gesellschaft und den Soldaten, die ihren Leben beim Kampf im Donbass zum Schutz der territorialen Integrität der Ukraine riskieren, autorisiert wurde, eigene Verhandlungen mit den Terroristen zu führen". Der Swoboda-Abgeordnete Vytiv erklärte, das alles sehe wie ein "Verrat der Revolution der Würde" aus. Die Ukrainer würden auf "entschlossenes Vorgehen gegen die Invasoren und die Lustration der Regierung warten, müssten aber die Reinkarnation von zweifelhaften Figuren aus der Vergangenheit und die Bildung einer neuen korrupten Oligarchenrepublik beobachten". Der Waffenstillstand habe zu Verhandlungen mit der "russischen Terroristenbande" geführt, was in eine Legalisierung der Separatisten und einem Ende des militärischen Vorgehens münden könne. Viele Politiker hätten aus dem Maidan nichts gelernt.

Poroschenko dürfte jedenfalls gezwungen sein, die "Antiterroroperation" (ATO) nun massiv aufzunehmen, was aber auch wiederum die nationalistischen Milizen stärken und eine dauerhafte Lösung erschweren wird. Auch wenn es die ukrainischen Streitkräften, der Nationalgarde und den Milizen gelingen sollte, den bewaffneten Widerstand zu brechen, die staatliche Ordnung herzustellen und die Grenze nach Russland wie beabsichtigt zu versiegeln, wird es weiterhin Widerstand geben, der dann aus dem Untergrund mit Terroranschlägen agiert.

Gestern hat Petroschenko erklärt, man sei willens, die trilateralen Gespräche zwischen einem Vertreter der OSZE sowie einem russischen und ukrainischen Botschafter fortzusetzen. Die Separatisten hätten aber kein Interesse daran gezeigt. Aber wenn die den "Terroristen" gesetzte Frist nicht eingehalten werde, würde eine "logische Entscheidung" getroffen werden: "Wir haben zuerst die Versöhnung angeboten. Wenn dieses Angebot abgeschlagen wird, wird es für uns schwer sein, das zu verstehen. Wir werden angemessen handeln." Heute legte Innenminister Avakov nach. Wer den Bedingungen der Ukraine nachkommen will, habe jetzt noch wenige Stunden Zeit, dies zu tun: "Sonst werden angemessen und hart handeln."

Allein letzte Woche haben nach der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR 16.400 Menschen die Ostukraine verlassen. In der Ukraine ist die Zahl der Flüchtlinge damit auf 54.000 Menschen angestiegen. Es gebe einen "steilen Anstieg" von Flüchtlingen in der Ukraine, so UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass sich nach dem Ablauf des Waffenstillstands die Kämpfe verstärken und die Lebensbedingungen in der Ostukraine weiter verschlechtern werden. Noch mehr als in die Westukraine sind allerdings nach Russland geflohen. Die UNHCR spricht von 110.000 Menschen, die dieses Jahr nach Russland gekommen seien, allerdings hätten sich nur 9.500 als Flüchtlinge registrieren lassen.

In Brüssel hat heute Poroschenko den zweiten, wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommens mit der EU unterzeichnet. Er bezeichnete dies als einen der wichtigsten Tage seit der Unabhängigkeit, als Chance zur Modernisierung des Landes und als den ersten Schritt hin zur baldigen Aufnahme in die EU. Auch die Regierungschefs von Moldawien und Georgien haben das Assoziierungsabkommen unterzeichnet, wodurch die drei Länder der EU wirtschaftlich und politisch näher rücken.