Mit einer Tasse Kaffee die Welt retten?

Der Kapitalismus saugt die Kritik seiner Gegner auf, verwurstet sie und spuckt sie als kommerzielle Produkte auf den Markt - eine neue und vor allem schizophrene Situation

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"Cherry Guevara", so heißt ein in Australien verkauftes Eis-am-Stiel der beliebten Magnum-Reihe von Langnese. Auf der Verpackung steht: "Der revolutionäre Kampf der Kirschen wurde erstickt, als sie zwischen zwei Schokoladenschichten in die Falle tappten - möge ihr Andenken in Ihrem Mund weiterleben!"

Ja, der Kapitalismus versteht sich meisterlich darin, seine Gegner einfach zu verwursten und für sich zu nutzen. Auf der Eisverpackung prangt auch das weltberühmte Konterfei von Che Guevara, fotografiert 1960 von Alberto Korda. Stand das Foto früher für den revolutionären Kampf, ist es heute kaum mehr als die Lizenz zum Gelddrucken für Poster- und T-Shirt-Fabrikanten.

So ergeht es vielen Protestlern und Protestbewegungen: In seinen Anfängen war der HipHop eine Subkultur, die sich gegen Rassismus, Faschismus und Kapitalismus positionierte - heute sind Eminem, Bushido und Co riesige Marketingmaschinen, die den Plattenfirmen und Künstlern Millionen einbringen. Früher trugen die Ramones, Kurt Cobain und Andreas Baader demonstrativ Chucks Converse-Schuhe - und mit ihnen tausende von "Outlaws" -, heute findet man die Schuhe von Converse, die obendrein vom Sportartikelhersteller Nike geschluckt wurden, an den Füßen von BILD-Chefredakteur Kai Diekmann und unzähligen BWLern.

Starbucks am Brandenburger Tor; Foto: Aspersions. Gemeinfrei

Der Kapitalismus ist ein Meister darin, sich die Kritik einzuverleiben, sprich, die Kritik mundtot zu machen, indem er sie kommerzialisiert. Eines der besten Beispiele ist die sich weltweit ausbreitende Kaffee-Kette Starbucks. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek beschreibt diese Kommerzialisierung der Kapitalismuskritik folgendermaßen:

Wenn wir einen Cappuccino bei Starbucks kaufen, dann kaufen wir auch eine Ideologie. Starbucks gibt unverhohlen zu, dass ihr Kaffee ein bisschen teurer ist als derjenige der Konkurrenz. Aber dann kommt die Botschaft: "Starbucks gibt einen Cent von jedem verkauften Kaffee an die Kinder in Guatemala oder fünf Pfennige an die Bauern in der Sahara, wir unterstützen Wasser- und Gesundheitsprojekte, wir retten den Regenwald und so weiter."

In den alten Zeiten des simplen Konsums hat man einen Kaffee gekauft und sich vielleicht noch schuldig gefühlt: "Ich bin bloß ein Konsument, während in Afrika Menschen sterben. An diesen Kaffeebohnen klebt das Blut der ausgebeuteten Kindersklaven und Bauern." Heute aber kauft man sich nicht nur einen Kaffee, sondern gleich das gute Gewissen dazu.

Kümmern ums Karma der Kunden

Starbucks kann den Konsumenten nun ermuntern, ein Konsument zu bleiben, da dessen altruistische Natur quasi schon im Preis der "Fair-Trade-Produkte" mit inbegriffen sei. "It’s not just what you’re buying. It’s what you’re buying into", lautete der dazu passende Starbucks-Werbeslogan im angloamerikanischen Absatzgebiet. Der Kapitalist kümmert sich ums Karma seiner Kunden - gegen Geld, versteht sich. Im Kern handelt sich beim "ethischen Konsum" um eine moderne Form des Ablasshandels: Wer bezahlt, wird seiner Sünden reingewaschen.

Dieser sogenannte Kulturkapitalismus verwurstet jegliche Kritik, die ihm zwischen die Finger kommt. Verkauft werden weniger konkrete Produkte als vielmehr Symbole und ein Image, das gleichermaßen auf die Marke und auf den Konsumenten zurückstrahlt wie der leuchtende Apfel eines Apple-Geräts.

Die Waren sind "semantisch codiert": Wir kaufen den Gebrauchswert eines Produkts samt Image, manchmal sogar gar keinen Gebrauchswert und nur ein Image. Deshalb sehen wir in der gegenwärtigen TV-Werbung fast gar nicht mehr das Produkt, sondern wahlweise junge, hippe, trendige, konsumbereite, fröhliche Menschen, die ein bestimmtes "Lifestyle-Feeling" vermitteln sollen.

Früher hat Miele seine Waschmaschinen damit beworben, dass sie ihre modernen Fabrikhallen "Made in Germany" zeigten - heute geht das nicht mehr. Apple kann wohl kaum die chinesischen Foxconn-Werke zeigen, in denen die Lohnsklaven (unter ihnen auch viele Kinder) in 16-Stunden-Schichten und unter übelsten Arbeitsbedingungen das neue iPhone oder andere High-Tech-Geräte zusammenbauen.

Wird die Kritik an Apple weiter zunehmen, werden sie genauso zum Greenwashing übergehen, wie es nun schrittweise H&M, C&A, KiK und Co mit allerlei "Fair-Trade"-Zertifikaten machen. Die Produkte müssen passgenau auf die LOHAS zugeschnitten werden; abermals ist die Kritik im Preis mit inbegriffen.

Kaufe einen Kasten Krombacher-Bier und rette damit einen Quadratmeter Regenwald!

Der Kapitalismus ist "auf seine Gegner angewiesen, auf diejenigen, die er gegen sich aufbringt und die sich ihm widersetzen, um die fehlende moralische Stütze zu finden und Gerechtigkeitsstrukturen in sich aufzunehmen, deren Relevanz er nicht einmal erkennen würde", diagnostizieren die beiden Sozialwissenschaftler Luc Boltanski und Ève Chiapello in ihrem Buch Der neue Geist des Kapitalismus.

Nur noch ein paar Schönheitsoperationen auf dem Weg zum Paradies

Das ist schon enorm, wie sich der Kapitalismus in nullkommanix immer wieder die Kritik einfach einverleibt, sie unwirksam macht und obendrein noch Geld draus zieht. Am Krombacher-Beispiel ist es die vormals klar antikapitalistische Umweltbewegung, der dadurch (zumindest im Mainstream) der Wind aus den Segeln genommen wird. Auch das Carsharing, einst ebenfalls eine Idee der Subkultur, hat längst bei BMW und anderen Autoherstellern Einzug gehalten und wird gewinnbringend vermarktet - so rollt der Rubel auch in Zeiten der PKW-Absatzkrisen und nunmehr fehlenden Abwrackprämien.

Selbst wer fast nur Second-Hand-Ware konsumiert, läuft Gefahr, beim eBay-Konzern zu landen. Einer der neuesten Trends in Sachen Kritik-Kommerzialisierung dürfte veganes/vegetarisches Essen sein. War die "Animal Liberation Front" noch eine strikt antikapitalistisch Tierrechtsbewegung, die auch vor Tierbefreiungen und Sachbeschädigungen nicht zurückschreckte, so lecken sich jetzt Investoren wie Bill Gates die Finger nach veganem Fleischersatz.

Der Kulturkapitalismus ist damit weit schwieriger zu kritisieren als der klassische Industriekapitalismus, bei dem man noch simpler sagen konnte: Ihr beutet Menschen für 0,20 Cent Stundenlohn in Bangladesch aus, ihr verschmutzt den Rhein, ihr holzt die Regenwälder ab. Heute antworten die Firmen, während sie im gleichen Atemzug weiterhin ausbeuten und verschmutzen, dass sie ja ihren Beitrag zum Wohl der Welt beitragen.

Damit wird auch suggeriert, dass das kapitalistische System zum Paradies führen könnte, wenn man hier und da ein paar Schönheitsreparaturen vornimmt. Sprich, er verkündet weiterhin die Hoffnung, dass eine "soziale Marktwirtschaft" möglich ist, so dass es keiner Kernsanierung, sondern eben nur der Schönheitsreparaturen bedarf.

Die Revolution ist also hinfällig in der Logik des modernen Kapitalismus. Allein schon der Begriff der Revolution ist vom Kapitalismus vollends okkupiert, so dass jetzt sogar Adidas-Schuhe eine "Running Revolution" auslösen sollen und o2 den Slogan "Zeit für eine Revolution" mitsamt dem passenden Bild ausrufen kann.

Diese neue Situation ist höchst schizophren für den sogenannten Endverbraucher: Einerseits wird seine Kritik einverleibt und spült den Konzernen Milliarden in die Kassen. Andererseits sind "Fair-Trade"-Produkte und andere "Innovationen" in Nuancen wirklich besser für das Wohl der Menschen. Klar, die Konzerne lassen es sich natürlich nicht nehmen, dafür einen saftigen Aufpreis zu nehmen, schließlich ist der Kapitalismus kein Wohlfahrtsprogramm, sondern einzig und allein auf Profit aus, buchstäblich um jeden Preis. Die Kapitalismuskritik ist tot, lang lebe die Kapitalismuskritik.