Die Automatisierung des Krieges

... war Thema einer Anhörung im Deutschen Bundestag, bei der militärische Pragmatiker und Friedensforscher wenig Gemeinsamkeiten fanden

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Anfangs saß die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen noch selbst mit im Sitzungssaal 4.900 des Paul-Löbe-Hauses in Berlin, um bei der Anhörung des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag zu ethischen und rechtlichen Fragen des Einsatzes bewaffneter Drohnen die Einschätzungen der neun von den Fraktionen geladenen Experten zu hören. Ob, wie im Verlauf der vierstündigen Veranstaltung gelegentlich gemutmaßt wurde, die Entscheidung über die Beschaffung solcher Systeme ohnehin bereits gefallen ist, behielt sie allerdings für sich. Die Anhörung dürfte daran jedenfalls kaum etwas geändert haben. Im Wesentlichen wurden die aus der öffentlichen Debatte bereits sattsam bekannten Argumente noch einmal ausgetauscht.

Auf Seiten des Militärs steht dabei der Schutz der eigenen Truppen im Vordergrund. Die Soldaten müssten in der Lage sein, "ihren Auftrag mit der bestmöglichen Ausrüstung zu erfüllen", forderte etwa Generalleutnant Hans-Werner Fritz. Er schilderte, wie er selbst am 12. Juli 2010 in Afghanistan Artilleriefeuer zur Unterstützung von Bodentruppen anfordern musste. Es habe 16 Minuten gedauert, bis die Artillerie endlich schießen konnte. "Unter Beschuss kommt einem jede Minute endlos lang vor", sagte Fritz. Eine bewaffnete Drohne hätte diese Wartezeit deutlich verkürzen können.

Die schnellen Reaktionsmöglichkeiten in Verbindung mit den langen Stehzeiten von unbemannten Flugsystemen nannte auch Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages, als entscheidende Vorteile. Es seien abgestufte Reaktionen möglich, die auch Begleitschäden verringern könnten. Die Gegenargumente befassten sich seiner Ansicht nach dagegen überwiegend mit "abstrakten Gefahren". Was sich zukünftig aus diesen Systemen entwickeln könne, so Königshaus, darüber entscheide die Bundesregierung nicht.

Eben das ist zweifelhaft, denn natürlich stellen die heutigen Entscheidungen die Weichen für zukünftige Entwicklungen. So wies Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen darauf hin, dass das, was als Schutz bezeichnet wird, auch eskalierende Wirkung haben könne. Das Schutz-Argument beruhe auf "nicht nachprüfbaren Behauptungen und Fantasmen" und sei zudem grenzenlos, da sich damit die Beschaffung von immer noch mehr Systemen rechtfertigen lasse.

Eine räumliche und zeitliche Entgrenzung des Kampfgeschehens ist für Marcel Dickow von der Stiftung Wissenschaft und Politik ein "wesentliches Merkmal unbemannter Systeme", da sie größere Gebiete über längere Zeit überwachen könnten als bemannte Systeme. Zudem sei die Entwicklung zu stärker autonom agierenden Systemen unausweichlich. Wesentliche Faktoren dafür seien zum einen die Verkürzung der Reaktionszeiten, die die Fernsteuerung an ihre Grenzen brächten. Zum anderen würden die von immer mehr Sensoren übermittelten Datenmengen die Bediener der Drohnen überfordern und die Vorverarbeitung der Daten mehr und mehr auf die Maschine verlagern. "Schon heute kann der Operator Aspekte des Systems nicht in Echtzeit verstehen", mahnte Dickow.

Eine durch unbemannte Systeme bewirkte Beschleunigung des Kampfgeschehens wollte Generalleutnant Fritz indessen nicht erkennen. Es gebe lediglich eine "Verkürzung von Zeitabläufen". Und die Datenmengen ließen sich mithilfe von Filtern bewältigen. Für Niklas Schörnig (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) war das eine Bestätigung der von Dickow vorgetragenen Bedenken, woraufhin Fritz bemerkte, dass er keine Softwarefilter gemeint habe. Er wolle nicht der Robotik das Wort reden. "Der Mensch darf und soll nicht aus der Entscheidungskette heraus", so Fritz. "Ich würde mir kein autonomes System wünschen."

Das gilt insbesondere auch für die Gegenseite. Dickow wies zum Abschluss der Anhörung darauf hin, dass die Bundeswehr ausdrücklich nicht wolle, dass ihre Soldaten mit gegnerischen Robotern konfrontiert würden. Er gab zu bedenken: "Da wäre es vielleicht sinnvoll, sie auch selbst gar nicht erst zu entwickeln." Deutschland könnte sich als entschiedener Verfechter von Rüstungsbegrenzungen und -kontrollen bei Militärrobotern international profilieren. Ob die Verteidigungsministerin diese Chance wahrnehmen will, wird sich möglicherweise schon bald zeigen: In einer aktuellen Stunde des Bundestages am Mittwoch will sie sich zum Thema äußern.