Poroschenko: "Wir werden angreifen!"

Der ukrainische Präsident hat gezögert, aber die Falken waren stärker, jetzt sollen wieder die Waffen sprechen

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Das um drei Tage verlängerte Ultimatum der ukrainischen Regierung war erneut um 22 Uhr Ortszeit ergebnislos abgelaufen. Zwar war zuvor angekündigt worden, dass die Regierung schon vor dem Ablauf eine Entscheidung über eine Fortsetzung oder eine Wiederaufnahme der militärischen "Antiterroroperation" aufnehmen werde, aber die Diskussion im Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat ließ dies offenbar nicht zu. Der Druck auf Präsident Poroschenko war angewachsen, nicht auf Verhandlungen, sondern auf ein hartes militärisches Vorgehen zu setzen.

Bild: Ukrainische Propaganda-Website inforesist.org

Schon nach dem Ende des ersten Ultimatums am Freitagabend haben militante Nationalisten, Maidan-Aktivisten und Mitglieder von Milizen am Sonntag demonstriert und ein entschlossenes Vorgehen gegen die Separatisten verlangt. Die Falken wurden stärker, nachdem die Strategie von Poroschenko, der schon als "lahme Ente" beschimpft wurde, auch wegen der viel zu kurz angesetzten Zeit nicht griff. Moskau lenkte zwar ein und unterstützte den Waffenstillstand, will aber eine Fortsetzung des militärischen Konflikts vermeiden und hat zuletzt noch ukrainische Vertreter und OSZE-Beobachter auf die russischen Grenzposten eingeladen.

Poroschenko war hin- und hergerissen, Vernunft und Zurückhaltung hatten aber wohl keine Chance mehr, was nach den Protesten schon absehbar war. Auch ein letztes Telefongespräch von Poroschenko mit Putin, Merkel und Hollande brachte wohl kein Ergebnis, das Poroschenko bestärkte, den Waffenstillstand zu verlängern und die Gespräche mit den Separatisten fortzusetzen. Die radikalen nationalistischen Kräfte sahen in den Verhandlungen bereits einen Verrat. Sie kritisieren vor allem auch die EU, die Ukraine nicht ausreichend gegen die Separatisten und vor allem gegen Russland zu unterstützen. Man wähnt sich alleine, weswegen man selbst handeln müsse.

Während zumindest die EU und auch Russland auf weitere Verhandlungen setzten, wurde der innenpolitische Druck offenbar zu stark für den Oligarchen und "Schokoladenkönig", der auch deswegen auf eine nicht-militärische Lösung aus war, weil auch eine Niederschlagung der Separatisten im Osten keinen wirklichen Frieden bringen wird. Zu tief sitzen mittlerweile Hass, Angst und Misstrauen in beiden Landesteilen.

Jetzt also verkündete Poroschenko: "Wir werden angreifen und unser Land befreien." Dazu muss er die Separatisten als Kriminelle darstellen, allerdings ist in der Westukraine und seitens der Regierung sowieso nur von "Terroristen" die Rede gewesen: "Das Ende des Waffenstillstands ist unsere Antwort auf die Terroristen, Rebellen, Plünderer, auf all diejenigen, die sich über Zivilisten lustig machen, die die Wirtschaft ihrer Region lahm legen, die die Auszahlung der Gehälter, Pensionen und Stipendien verhindern, die Züge lahmlegen, Wasserrohre zerstören, die ein normales, friedlichen Leben verhindern."

Da nun die ukrainische Regierung das Heft in die Hand genommen hat, dürfte es zu einer Bewährungsprobe mit Moskau und dem Westen kommen. Nach Darstellung der Bundesregierung sei gestern Nachmittag im Telefongespräch "eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Kontaktgruppe und Separatisten" gefordert werden: "Ziel müsse ein beiderseitiger Waffenstillstand sein." Ähnliches liest man beim Kreml.

Poroschenko sprach nach der Wiederaufnahme der militärischen Aktion mit US-Außenminister Kerry, der Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten. Er informierte sie über das Ende des Waffenstillstands. Die ukrainische Regierung habe den Waffenstillstand zehn Tage lange eingehalten und dafür mit zahlreichen Toten bezahlt. Man werde aber politische Verhandlungen, wie vereinbart, fortsetzen, wenn alle Bedingungen des "Friedensplans" umgesetzt seien, also wenn es einen bilateralen Waffenstillstand gibt, wenn alle Geiseln befreit und die russisch-ukrainische Grenze vollständig kontrolliert und durch OSZE-Gesandte beobachtet werde.

Die radikalen Nationalisten freuen sich. Oleh Liashko schrieb auf seiner Facebook-Seite, dass Kriegsrecht im Donbass eingeführt worden sei: "Gott helfe der Ukraine. Ruhm der Ukraine. Tod den Feinden."

Poroschenko versucht weiterhin zu vermitteln und einen Keil zwischen den militanten Separatisten und der Bevölkerung in der Ostukraine zu treiben. Die ukrainischen Streitkräfte werden keine zivilen Gebäude angreifen, verspricht er, und sie werden Frauen, Kindern und alte Menschen nicht gefährden. Jederzeit werde man die Kämpfe beenden, wenn die gesetzten Bedingungen erfüllt sind. Der Friedensplan sei weiter in Kraft, es werde eine Dezentralisierung der Macht geben, Russisch könne frei weiter gesprochen werden. Allerdings hatte er schon klar gemacht, dass Russisch keine zweite Amtssprache mehr sein wird.