Wieder einmal wurden die Vermittler in der Ukraine ausgebremst

Steinmeier lädt zu einem Krisentreffen nach Berlin, in der Ukraine geht das Blutvergießen weiter, patriotische ukrainische Gruppen unterstützen die Streitkräfte durch Crowdsourcing

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Die Kämpfe in der Ostukraine halten an. Dabei ist mitunter wie in Donezk nicht klar, wer wen warum in einer Region bekämpft, in der Rebellen, Milizen, Banden und Soldaten die Oberhand haben, während das Leben weitergehen muss. Immer wieder geraten Zivilisten zwischen das Feuer. So wurden sechs Menschen in einem Bus in Kramatorsk getötet. Ob dies von den Granaten und Raketen der ukrainischen Truppen oder den Schüssen der Separatisten verursacht wurde, ist unbekannt. Klar ist aufgrund von Bildern, dass auch zivile Häuser in Slowjansk beschossen werden.

Der ukrainische Präsident Poroschenko hat trotz intensiver Gespräche mit Merkel, Hollande und Putin den Waffenstillstand nicht fortgesetzt, sondern entgegen der Vereinbarung auf Druck des ukrainischen Militärs, der nationalistischen Kräfte und des Maidan den Krieg gegen die Separatisten wieder aufgenommen. Damit tritt erneut ein Szenario ein, dass der deutsche Außenminister Steinmeier und sein französischer Kollege Fabius bereits kennen. Kurz nach einem Abkommen zwischen den Oppositionsparteien mit dem damaligen Präsidenten Janukowitsch zur friedlichen Machtübergabe protestierten die Maidan-Aktivisten gegen das Abkommen und setzten die Abgeordneten so unter Druck, dass diese das Abkommen platzen ließen, Janukowitsch absetzten und eine neue Übergangsregierung einsetzten, die vom Maidan akzeptiert wurde.

Damit blamierte Kiew auch die europäischen Vermittler, vermutlich darauf setzend, dass die US-Regierung, die sich ganz hinter die Maidan-Bewegung gestellt hatte und schon wusste, wer an die Macht kommen sollte, den "Putsch", wie dies Moskau nannte, decken würde. Es war die Zuspitzung des Konfliktes, den die ukrainischen Nationalisten und die US-Regierung wollten, um Russland zum Gegner zu machen, was auch prompt eintrat, indem Moskau mit einer gut inszenierten Aktion die Krim scheindemokratisch vereinnahmte, was wiederum zum Vorbild der Separatisten in der Ostukraine wurde, die Angst vor den Maidan-Nationalisten hatten.

Jetzt also wurden die europäischen Vermittlungsversuche wieder von Kiew düpiert. Dieses Mal scheint die Bundesregierung, schließlich war auch Kanzlerin Merkel an den Gesprächen über eine Verlängerung des Waffenstillstands beteiligt, nicht über die Brüskierung einfach hinweggehen zu wollen. Steinmeier hat den russischen Außenminister Sergej Lawrow, den ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin und den französischen Außenminister Laurent Fabius für heute zu einem Gespräch in Berlin eingeladen. Es soll wieder um eine Verlängerung des Waffenstillstands und um eine Kontrolle der ukrainisch-russischen Grenze unter OSZE-Beobachtung gehen, um zu verhindern, dass Menschen und Waffen von Russland aus in die Ukraine kommen. Es ist auch ein Versuch, den Konflikt in der Ukraine und zwischen der Ukraine und Russland auf europäischer Ebene zu lösen, also auch mit Einbeziehung Russlands, was weder die ukrainischen Nationalisten noch die Falken in der US-Regierung wollen. Allerdings ist schwer vorstellbar, dass Poroschenko den Krieg schon wieder abbläst und einen neuen Waffenstillstand einseitig ausruft, wenn nicht entscheidende Zugeständnisse der Separatisten erfolgen. Auch wenn Moskau darauf hingewiesen hat, dass der Einfluss auf die Separatisten überschätzt werde, was vermutlich zutrifft, so würde dabei auf jeden Fall Russland eine wichtige Rolle spielen.

Journalisten leben in der Ostukraine gefährlich

Wieder wurden auch zwei russische Journalisten vermutlich durch ukrainischen Beschuss verletzt, während in Lugansk zwei ukrainische Journalisten vermutlich von Separatisten gefangen genommen wurden. Am Sonntag wurde der russische Kameramann Anatoly Klyan in einem Bus durch einen Schuss getötet, der zu einem Militärstützpunkt fuhr. Im Bus befanden sich weitere Journalisten und Mütter von Sodaten, die ihre Söhne aufforderten, nach Hause zu kommen. Die Aktion war wohl von Separatisten organisiert worden.

Aber die Ostukraine ist zu einem gefährlichen Gebiet für alle Journalisten geworden, nachdem alle Seiten den jeweiligen Gegnern vorwerfen, einen Informationskrieg zu führen. Journalisten werden damit als "embedded", wenn nicht gleich als Unterstützer und Propagandeure, als Akteure des Informationskriegs der kämpfenden Parteien verstanden und entsprechend behandelt, mitunter gar nicht ins Land gelassen. Während man in Russland die ukrainische Seite verantwortlich macht, werden in der Westukraine die Separatisten beschuldigt.

Die Macht des Maidan

Präsident Poroschenko feierte gestern den ersten Erfolg der Truppen, die den Grenzübergang Dovzhansky eingenommen haben, während er begrüßte, dass das Parlament seinen Vorschlag angenommen habe, einen Orden der Euromaidan-Helden, der Helden der "Nebesna Sotnya" (Himmlischen Hundert) zu schaffen.

Mit dem Orden werden die Maidan-Aktivisten gefeiert, die während der Proteste von Scharfschützen getötet wurden und nun zu den Märtyrern im erfolgreichen Kampf gegen ein totalitäres Regime wurden. Ganz aufgeklärt ist weiterhin nicht, ob es sich nur um Sicherheitskräfte im Auftrag der Janukowitsch-Regierung gehandelt hat. Letztlich werden hier alle Maidan-Aktivisten verklärt, die am Wochende erst den Präsidenten unter Druck gesetzt hatten, den Waffenstillstand zu beenden und das militärische Vorgehen gegen die Separatisten fortzusetzen. Das hat Poroschenko auch gegen das Drängen von Merkel, Hollande und Putin gemacht, was auf die Macht des "Maidan" hinweist, gegen den noch immer kaum regiert werden kann. Poroschenko verklärt in seiner Ankündigung diese Bewegung denn auch entsprechen: Der Orden werde "für die Zivilicourage, den Patriotismus, die Aufrechterhaltung der Verfassungsprinzipien der Demokratie, der Menschenrechte und Freiheiten, der aktiven Sozialhilfe, der humanitären und sozialen Aktivitäten in der Ukraine, dem selbstlosen Dienst am ukrainischen Volk während der Revolution der Würde und anderen Maßnahmen in Verbindung mit der Unabhängigkeit, der Souveränität und der territorialen Integrität der Ukraine" verliehen.

Crowdsourcing für ukrainische Soldaten und Milizen

Von der Seite Kiews ist ebenso wie in vielen westlichen Medien davon die Rede, dass in der Ostukraine russische, tschetschenische oder von anderen Ländern kommende Söldner die prorussischen Separatisten unterstützen oder das Kommando übernommen haben. Wer diese Söldner bezahlt oder in welchem Auftrag sie handeln, wird allerdings nicht belegt: die russische Regierung, die Separatisten, irgendwelche Oligarchen? Oder finanzieren sie sich selbst durch kriminelle Aktivitäten? Oder sind es eher Freiwillige, die aus politischen Gründen oder Abenteuerlust zum Kampf in die Ostukraine gezogen sind?

Der Blick aus dem Westen geht freilich einseitig zu den angeblichen Söldnern aus dem Osten. Gemunkelt wurde allerdings auch, dass Söldner aus den USA oder gar aus Großbritannien oder Polen in den Kämpfen auf der Seite Kiews mitmischen sollen. Belege dafür gibt es ebenso wenig wie für die vermeintlichen Giftgasangriffe, die die Separatisten in den letzten Tagen moniert haben. Allerdings hat die ukrainische Regierung aufgrund der Schwäche und Unzuverlässigkeit der Armee und der Sicherheitskräfte nicht nur auf dem Maidan militant gewordene Männer für den Eintritt in die neu geschaffene Nationalgarde rekrutiert, sondern es auch zugelassen, dass verschiedene Milizen mit unterschiedlicher Finanzierung aufgestellt wurden und an der Seite der staatlichen Sicherheitskräfte in den Kampf zogen.

Während sich zumindest Teile der mitunter konkurrierenden militanten Separatistengruppen und der Milizen sowie der Banden, die mittlerweile in der Ostukraine entstanden sind, durch illegale Aktivitäten finanzieren, haben sich die Milizen in der Westukraine oft auch ihre Waffen und Ausrüstung während der Maidan-Unruhen beschafft. Nun ruft nicht nur das Verteidigungsministerium zu Spenden für die Armee und die Nationalgarde auf, weil oft das Notwendigste an Ausrüstung - von Uniformen über Stiefel bis zu Schlafsäcken - fehlt, sondern die Maidangruppe Menschenprojekt, eine gemeinnützige Organisation, hat das Crowdfunding entdeckt, um Soldaten und Milizen für den Kampf im Osten besser auszustatten. Unterstellt wird, dass Russland den Separatisten Geld, Waffen, auch schwere Waffen, liefert. Dem soll etwas aus eigener Kraft entgegengesetzt werden, um so eine richtige Volksarmee zu bilden.

So werden nun Gelder für eine neu zu bildende Scharfschützeneinheit und ein Volksbataillon gesammelt. Finanziert werden soll Ausrüstung. Gebraucht werden Gewehre für Scharfschützen, Stiefel, Schusswesten u.ä. Für ein Artilleriebataillon werden 13.000 Euro gesucht, für das Scharfschützenkommando 23.000 Euro. Für das erste "nationale Kommando", eine Einheit der Luftstreitkräfte, waren bereits 70.000 Euro eingesammelt worden. Erfolgreich war auch das Einsammeln der Gelder für die erste "nationale Drohne" zur Überwachung der Grenze. Mit etwa 26000 Euro kam so gar etwas mehr Geld herein, als angesetzt war, allerdings wollte man zunächst eine einsatzbereite israelische oder amerikanische Überwachungsdrohne kaufen. Das kam aber zu teuer, so dass man nun eine Drohne selbst zusammengebaut hat. Da die Grenze nach Russland teilweise noch nicht von den ukrainischen Sicherheitskräften kontrolliert wird, hofft man, sie mittels der Drohne, so einfach, langsam und wenig leistungsfähig sie ist, besser überwachen zu können, um festzustellen, wenn Waffen geliefert oder eben Kämpfer oder Söldner über die Grenze in die Ostukraine kommen.