Igor Kolomojski und sein Bataillon "Dnepr"

Ukrainische Fahne auf dem Kaufhaus "Europe" gegenüber von der "Passage". Bild: © Simon Erhardt

Der Oligarch ist Gouverneur von Dnipropetrovsk, die Stadt ist für ihn der "der Schlüssel zum Südosten der Ukraine"

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In Dnipropetrovsk ist vom Krieg nicht zu spüren. Hier ist Gouverneur und Oligarch Igor Kolomojski ein Garant des Friedens. Ohne ihn und sein Bataillon "Dnepr" hätte Kiew schon lange den Kampf verloren.

Die Stadt am Fluss Dnepr genießt den Status einer toleranten und multikulturellen Metropole. Aus den Fenstern des Kaufhauses "Passage" sieht man ein französisches Karussell, die Synagoge und Zwiebeltürme der orthodoxen Kirche. Schon zu Sowjetzeiten hieß eine der wichtigsten Straßen "Scholem Alejchem", benannt nach dem jüdischen Schriftsteller und Dramaturg. Heute ist hier das weltweit größte jüdische Zentrum "Menorah". Gebaut von Igor Kolomojski.

Im März 2014 wurde Kolomojski, Besitzer der Bankengruppe "Privat", zum Gouverneur der Dnipropetrovskaja Oblast ernannt. Davor hatte Kolomojski noch nie ein Staatsamt besetzt. Im Gegensatz zu anderen Oligarchen wie Akhmetov oder Pinchuk, wollte Kolomojski seine unzähligen Unternehmungen nicht unter dem Dach einer Korporation vereinigen. Er spielte auch nicht mit den Buchstaben des eigenen Namens wie der jetzige Präsident Petro Poroshenko (Inhaber der Süßwarenfabrikant "Roshen"). Igor Kolomojski wollte laut Aussagen einiger Kollegen im Schatten seines Geschäfts bleiben. "Diese Lektion haben wir alle in den schweren 90er Jahren gelernt", sagt ein Geschäftsmann aus Dnipropetrovsk.

Am Anfang standen die Einwohner von Dnipropetrovsk dem neuen Gouverneur eher skeptisch gegenüber. Für viele war diese Ernennung eher rätselhaft: Der Maidan kämpfte gegen die Oligarchen, um einen anderen an die Macht zu bringen? Doch als die Halbinsel Krim an die Russische Föderation ging, hatte das bis zuletzt Janukowitsch-treue Dnipropetrovsk die Seiten gewechselt. Das Rating von Kolomojski ist rasant gestiegen. Für viele ist er zum Garant des Friedens geworden. "Er kann der Putins Aggression im Osten den Stinkefinger zeigen", meint eine Verkäuferin in Dnipropetrovsk.

Igor Kolomojski kämpft, wie viele in der Stadt sagen, nicht nur um den territorialen Erhalt der Ukraine, sondern auch um die ukrainische Identität. In der Stadt selbst tragen viele Frauen die nationale Tracht und Blumenkränze auf dem Kopf. Fast auf jedem vierten Auto weht die ukrainische Fahne. Kaum zu glauben, dass diesen ruhigen Alltag ca. 250 Kilometer von Donezk trennen.

Das weltweit größte jüdische Zentrum "Menorah" liegt in Dnipropetrovsk. Bild: © Simon Erhardt

Besonders beliebt ist Kolomojski bei jungen Leuten. Im Stadtzentrum gibt es einen kleinen Maidan. An einem Baum ist ein schwarzweißes Foto von Sergej Nigojan befestigt, dem ersten Toten der Maidan-Proteste. Hier versammeln sich viele Studenten und Straßenmusiker. Die Meisten von ihnen waren nicht auf dem Maidan in Kiew, haben aber mitgefiebert. Nun kommen sie hierher, um über die politische Zukunft ihres Landes zu diskutieren.

Mit dem neuen Präsidenten sympathisieren hier viele. Doch für die Mehrheit heißt der neue Held nicht Petro Poroschenko, sondern Igor Kolomojski. Anastasia, Studentin der Dolmetscher-Fakultät, ist mit dem Handeln des Gouverneurs einverstanden. "Endlich wird irgendwas gemacht, um gegen die faschistischen Angreifer im Osten zu kämpfen."

Für Anastasia und andere Jugendlichen gibt es keine "Separatisten" oder "Aufständischen", sondern ausschließlich "Terroristen". Dass bei den Bombenanschlägen auch die Zivilbevölkerung leidet, stört die Versammelten nicht: "Krieg ist Krieg. In jedem Konflikt sterben auch Frauen und Kinder." Den russischen Medien trauen sie nicht, den ukrainischen Quellen schon. "Was sollen wir denn sonst gucken? Die russische Propaganda?!" Fragt man die Studenten, wem die Fernsehsender im Land gehören, schütteln viele ahnungslos den Kopf. "Kanal 5", einer der meist geschauten Sender, ist im Besitz des neuen Präsidenten Poroshenko und "1+1", der zweitgrößte im Lande, gehört dem Gouverneur Kolomojski.

Igor Kolomojski wird auch von aus dem Osten geflohenen Familien als "Held und Retter" zelebriert. In der Bahnhofsgegend hat er ein altes Wohnheim zur Verfügung gestellt. Dort werden ca. 1400 Flüchtlinge untergebracht. Die Hilfsorganisation "Dnepr hilft" ist seit Anfang Juni aktiv. Eine Freiwillige dieser Organisation erzählt über den täglichen Ansturm, mit dem das Personal zu tun hat. "Mit so einer immensen Strömung hat keiner hier gerechnet", sagt sie. Am Anfang seien viele Flüchtlinge aus der Krim gekommen, jetzt aber viel mehr aus den Donezk- und Luhansk-Oblasten. "Wir bieten nicht nur Unterkunft, sondern auch psychologische Hilfe und Kinderbetreuung", sagt Irina und erzählt von den weinenden Kindern und deren verzweifelten Müttern. Zurzeit wird im Stadtrat über einen größeren Aufenthaltsort für die Flüchtlinge diskutiert.

Auf dem ehemaligen Lenin-Platz, heute zum Platz der Maidan-Helden umbenannt, liegt das "Hauptquartier der nationalen Sicherheit". Dort kann sich jeder für den Armeedienst melden. Vor dem Gebäude stehen mehrere Männer in Tarnmuster - neue Spezialkräfte des Bataillons "Dnepr." Offiziell bekommt jeder "Freiwillige", wie sie hier genannt werden, ca. 4000 Hrivna (umgerechnet 250 Euro). Das ist ein Monatslohn, gezahlt vom Ministerium für innere Angelegenheiten. So viel verdient auch ein Polizist in der Ukraine. Den Rest zahlt Igor Kolomojski - im Briefumschlag. Die Höhe der Belohnung variiert je nach Qualifikation und Einsatzgebiet.

"Dnepr" ist keine private Armee, sondern eine offizielle Militärformation, bezahlt und bewaffnet vom ukrainischen Staat. Kolomojski zahlt nur die sogenannte "Prämie". Diese Konstellation garantiert dem Gouverneur der Dnipropetrovskaja Oblast nicht nur Loyalität der Kiewer Regierung, sondern auch die Neigung der Soldaten, da die Höhe deren "Prämie" sich in den Händen von Kolomojski konzentriere. Viele in der Stadt verstehen diese Prämie als eine "gute Tat" seitens Kolomojski, der seine finanziellen Möglichkeiten zu Gunsten des Volkes stelle. Mit ähnlichen Argumenten appelliert auch sein Administrationsleiter Boris Filatov. Wie Filatov bemerkte, wenn der Staat keine vernünftige Armee habe, sollen die Anderen sich dem Kampf anschließen.

Ein Werbeplakat der ukrainischen Armee in Dnipropetrovsk. Bild: © Simon Erhardt

Filatov ist einer der wohl kontroversesten Figuren in der Administration von Kolomojski. Filatov ist nicht nur ein aktiver Nutzer der Sozialen Netzwerke, sondern auch ein Kandidat für den Flug ins Weltall. Er will als erster Ukrainer an dem Programm Virgin Galactic teilnehmen und wäre bereit, 200.000 US-Dollar auf den Tisch zu legen. Boris Filatov und sein Geschäftspartner Genadi Korban mussten im Januar 2014 nach Israel fliehen, da sie auf der Leinwand des ihnen gehörenden Kaufhauses "Passage" Sendungen von "Kanal 5" ausgestrahlt haben. Der Sender hat sich von Anfang an als "pro Maidan" positioniert. Nach der Flucht des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch und dem Sieg des Maidan konnten Boris Filatov und sein Geschäftspartner nach Dnipropetrovsk zurückkehren. Seitdem ist die Leinwand des Kaufhauses "Passage" ein wichtiger Mitläufer im Alltag der Stadt. Neben der Werbung wird im 20-minütigen Takt die ukrainische Hymne abgespielt. Danach folgt ein Werbespot vom Bataillon "Dnepr".

Unweit von hier war auch die streitbare Plakatkampagne von der Bank "Privat". Zehntausend Dollar war der "Privat" Besitzer Kolomojski bereit für den Kopf eines Separatisten zu bezahlen. Sogar in den Kreisen des Rechten Sektors hat Kolomojski Freunde gefunden. Als er zum neuen Gouverneur ernannt wurde, übergab der Führer des Rechten Sektors in der Dnepropetrovskaya Oblast, Andrei Denisenko, dem Oligarchen den sogenannten "Stadtschlüssel". Auch bei der darauffolgenden Pressekonferenz saß Denisenko neben dem neuen Gouverneur. Wie viele in der Stadt schmunzeln, unterstützt Kolomojski den Rechten Sektor auch finanziell. Die jüdische Gemeinde sieht diese "Freundschaft" misstrauisch. Igor Kolomojski ist nicht nur Mitglied des Verwaltungsrates der jüdischen Gemeinde in Dnipropetrovsk, sondern auch Leiter der jüdischen Gemeinden der Ukraine. Somit ist jede Unterstützung des Rechten Sektors durch Kolomojski zumindest fraglich.

Viele Geschäftspartner von Kolomojski sagen, er zahle ungern aus der eigenen Tasche. Als Finanzier und einer der reichsten Männer der Ukraine, berechne er seine Strategie im Voraus. Sei es der Rechte Sektor oder das eigene Bataillon "Dnepr", Kolomojski schenke nichts. Eine Geschichte, die durch die Straßen von Dnipropetrovsk kursiert, ist die vom März 2014, als er angeblich das Tanken der in den Osten geschickten Schützenpanzerwagen bezahlte. Boris Filatov hat Anfang März in mehreren Zeitungen und Sozialnetzwerken mitgeteilt, Igor Kolomojski habe aus eigener Tasche den Tank für Schützenpanzerwagen des "Süd-Einsatzkommandos" bezahlt. Später hat das Verteidigungsministerium der Ukraine die Ausgaben veröffentlicht. Fast 188 Millionen Hrivna (ca. 11.750.000 Euro) wurden aus dem Staatsbudget der Firma "Ukrtatnafta" überwiesen. Die Ölunternehmung gehört dem Oligarchen Kolomojski.

In einem Interview sagte Kolomojski, dass seine Stadt der Schlüssel zum Südosten der Ukraine sei. Derjenige, der Dnipropetrovsk kontrolliere, kontrolliere auch den ganzen Osten. Zurzeit ist die Stadt am Dnepr vollkommen in Händen von Igor Kolomojski.