"Personen zu Terroristen erklären, die es noch nicht sind, damit sie es nicht werden"

Frankreichs Regierung plant Gesetzesverschärfungen, um Anschläge von Heimkehrern aus dem Dschihad in Syrien zu verhindern

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Wirtschaftspolitisch kommt die sozialdemokratische Regierung in Frankreich nicht in Tritt, es hagelt Kritik v on allen Seiten, auch innerhalb des PS gibt es Streit. So will man sich sicherheitspolitisch keine Blöße geben. Laut Le Monde kursiert derzeit ein Gesetzesentwurf aus dem Innenministerium, der sich insbesondere mit der Gefahr der Rückkehrer aus der Dschihad-Kampfzone Syrien befasst. Die Maßnahmen, die dort vorgeschlagen werden, gehen sehr weit.

Prävention ist die zentrale Absicht der Maßnahmen, die einmal vorsehen, Verdächtigen die Ausreise nach Syrien zu verbieten - und den Verstoß gegen ein solches Verbot mit Haftstrafen von bis zu 3 Jahren und einer Geldstrafe von bis zu 45.000 Euro zu ahnden. Ein zweiter kardinaler Punkt des Maßnahmenkatalogs besteht darin, einen neuen Straftatbestand einzuführen, den des individuellen Terrorismus, im Orginal: "entreprise individuelle terroriste". Dieser soll den bekannten Anklagepunkt der Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung ergänzen, bzw. angesichts des Phänomens der vom Dschihad fanatisierten Einzeltäter an die Aktualität anpassen.

Innenminister Bernard Cazeneuve will den Entwurf heute der Ministerrunde vorlegen, heißt es in dem Bericht der Zeitung. Schon im Frühjahr hatte man verschärfte Maßnahmen zur präventiven Überwachung angekündigt (Französisches Frühwarnsystem gegen Dschihadisten), auch dort war bereits die Rede von Ausreiseverboten, allerdings noch auf Minderjährige beschränkt.

Jetzt hat man die Schraube noch weiter angezogen, mit Verweis auf die Lage in Syrien, wo die fanatischen Gotteskrieger und deren Attraktion auf willige Kämpfer laut Innenministerium "eine Drohung darstellen, die alles übertrifft, was man bisher gekannt hat": durch die Anzahl der Dschihadisten, durch ihre besondere Art der Kriegsführung und die Prägnanz der Rolle, die moderne Komunikationsmittel darin einnehmen, wie das Ministerium ergänzt.

Abzulesen ist daran, dass die Sicherheitspolitiker ein großes Gestaltungsfeld haben wollen, das von Geheimdiensterkenntnissen bestimmt wird: Wie will man im Vorfeld wissen, ob jemand mit unguten Absichten nach Syrien reist? Die naheliegende Antwort ist verstärkte Überwachung. Man will die Überwachung gezielt halten, so das Versprechen. Aber schon die Angaben zum verdächtigen Personenkreis schwanken, je nach Einschätzungen umfasst er zwischen 200 und 800 Personen, was eine bestimmte Vagheit erkennen läßt. Immerhin stehen Grundrechte auf dem Spiel: die Reise-und Bewegungsfreiheit und sowie der Schutz der Privatsphäre. Überwacht werden dürfte auch das weitere Umfeld der Betroffenen.

Die Mord-Anschläge der Mudschahedin in Frankreich

Demgegenüber hat Frankreich allerdings mit dem selbsternannten Mudschahedin Merah, der das Land 2012 mit seiner Mordserie schockierte (siehe Islamist als Hauptverdächtiger der Anschläge) und zuletzt mit dem aufsehenerregenden Fall des Mörders von Brüssel, bei dem ebenfalls dschihadistische Motive publik wurden (Keine "pazifistische Absichten" im Gepäck), Argumente, die die verschärften sicherheitspolitische Maßnahmen nicht gerade als "paranoische Reaktion" abtun lassen.

Die Ausdehnung der Überwachung, die damit einhergeht, ist aber auch eine Gratwanderung, sehr vieles hängt davon ab, wie gut sich die Verdächtigen eingrenzen lassen, wie genau das Gesetz, Autorisierungen und den Einsatz unterschiedlicher Mittel regelt. So wenig die Gefahr durch Fanatiker abzutun ist, so ist aber auch auf Missbrauchsmöglichkeiten zu achten, die sich hier auftun.

Umso mehr als der Geist des Gesetzes von einer präventiven Linie getragen wird, für die im Augenblick der französische Richter - und Buchautor - Marc Trévidic steht. Trévidic ("Ich denke an den Terrorismus, ich esse den Terrorismus, ich träume den Terrorismus") ist bekannt für markige Aussagen zu einem weitaus entschiedeneren Anti-Terror-Kampf. Insbesondere ein Satz von ihm wird von Le Monde als eine Art Leitmotiv für das Gesetz dargestellt:

Es gibt Leute, die man als Terroristen kennzeichnet, damit sie es nicht werden.

Müßig darauf hinzuweisen, welche Spielräume dieser Ansatz eröffnet. Konkretes ist vom neuen Gesetzesentwurf noch wenig zu erfahren. Ursprünglich sollte er Teil eines Paketes sein, er entwickelte sich aber immer mehr zu einem eigenständigen Komplex, der mit den Nachrichten aus Syrien anwuchs und mit der wachsenden Aufmerksamkeit für mögliche "einsame Wölfe mit nicht-pazifistischen Absichten", die aus dem Dschihad-Hotspot in ihre Heimatländer heimkehren.

"Es müssen schwerwiegende Gründe vorliegen"

Zitiert wird in Le Monde ein Passus des innenministeriellen Entwurfs wonach für das Ausreiseverbot "schwerwiegende Gründe vorliegen müssen, die annehmen lassen, dass der Verdächtige Reisen ins Ausland (es wird hier nicht speziell Syrien genannt; Einf. d. A.) plant, um dort an terroristischen Aktivitäten teilzunehmen, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder um sich dort an Einsatzplätzen terroristischer Gruppen aufhält unter Bedingungen, die geeignet sind, um ihn bei seiner Rückkehr in französisches Territorium zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit werden zu lassen".

Dieser Verdacht treffe konkret derzeit auf schätzungsweise 200 Personen zu, heißt es dazu im Zeitungsbericht. Laut Innenministerium gibt es derzeit 800 Franzosen, die sich in Syrien befinden, dort hinwollen oder von dort zurückgekommen sind, 300 sollen an Kämpfen teilgenommen haben. Sie rücken damit alle in den Verdachtskreis. Wie genau der gezogen wird, hängt für die Öffentlichkeit nicht einsehbar an den Geheimdiensten.