Staatspleite für (vielleicht) Weltmeister Argentinien?

Geier über Argentinien? Bild: R. Streck

Die Nationalmannschaft wartet auf das Endspiel gegen Deutschland, während das Land auf eine technische Staatspleite zustrebt

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Noch ist das Spiel gegen Deutschland nicht gewonnen. Ein Sieg für Argentinien am Sonntag wäre für das Land von ganz besonderer Bedeutung, weil die technische Staatspleite am Monatsende kaum noch abwendbar ist. Am vergangenen Montag scheiterte ein Versuch, mit einem Vermittler in New York eine Lösung für den Milliardenstreit mit US-Hedgefonds zu finden. Wirtschaftsminister Axel Kicillof machte klar, dass die Forderungen der Hedgefonds "unmöglich umgesetzt" werden können. Dabei geht es scheinbar "nur" um gut 1,3 Milliarden US-Dollar (1,5 Milliarden mit Zinsen). Zu dieser Zahlung hatte ein US-Bezirksgericht Argentinien verurteilt. Doch kommt das Land dem Urteil nach, können sich daraus enorme Forderungen anderer ableiten und das Land in die reale Pleite treiben. Entgehen kann es ihnen durch eine technische Staatspleite bis zum Jahresende. Dann läuft eine Gleichbehandlungsklausel aus.

Geier über Argentinien? Bild: R. Streck

Noch überlagert die Fußball-WM die drohende Staatspleite in Argentinien. Da sich das Land gegen die Niederlanden im Elfmeterschießen ins Finale geschossen hat, hält die WM-Spannung bis Sonntag an. Die Spannung, ob das Land demnächst erneut in die Pleite abschmiert, wird davon überdeckt. Doch die bleibt noch fast drei Wochen erhalten. Bis zum 30. Juli hat Argentinien eine Galgenfrist zur Zahlung von 1,5 Milliarden Dollar an die "Geierfonds", wie Argentiniens Präsidentin Christina Kirchner die Hedgefonds bezeichnet, die erfolgreich in den USA gegen das Land geklagt hatten. Der Streit wird in den USA ausgefochten, weil die argentinischen Staatsanleihen einst in Dollar nach amerikanischem Recht begeben worden waren.

Im Juni hat das Bundesgericht in den USA höchstrichterlich das Urteil des Bezirksrichters bestätigt, eine Revision der Südamerikaner abgewiesen und sie damit zur Zahlung verpflichtet (Argentinien im Abwehrkampf gegen Hedgefonds und US-Justiz). Die Lage hat sich für Argentinien verschärft, weil das Land auch der übergroßen Mehrzahl der Gläubiger (93%) die Zinsen in Höhe von 539 Millionen Dollar nicht mehr überweisen darf, mit denen man sich einst auf eine Umschuldung verständigt hatte. Sie waren schon am 30. Juni fällig gewesen. Aber solange die Forderung aus dem Urteil nicht beglichen ist, dürfen andere Gläubiger nicht vor den Hedgefonds bedient werden, die Argentinien verklagt hatten. Deshalb sind nun die Zinszahlungen blockiert und deshalb droht eine Staatspleite.

Geklagt hatten Hedgefonds unter Führung von NML Capital und Aurelius Capital Management. Sie hatten einst billig Staatsanleihen des früheren Pleitestaats zu Schrottpreisen gekauft. Sie hatten sich auf die Umschuldung mit der großen Mehrheit der Gläubiger nicht eingelassen, die in zwei Schuldenschnitten auf zwei Drittel des Nennwerts der Anleihen verzichteten. Obwohl NML und Aurelius die Anleihen weit unter dem Nennwert kauften, verklagten die Fonds Argentinien auf die Zahlung der kompletten Summe plus Zinsen. Damit könnte eine erfolgreiche Umschuldung nach einer Staatspleite 13 Jahre späte platzen. Mit derlei Geschäften wurde Paul Singer zum Milliardär, der hinter NML steht. Aurelius dagegen wird von seinem früheren Mitarbeiter Mark Brodsky geleitet.

"Sie machen vor nichts halt"

Argentinien befindet sich in einer Zwickmühle. Das Land hat die Zinsen nun auf einem Konto einer US-Bank hinterlegt, um Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit gegenüber der Mehrheit der Gläubiger und der internationalen Gemeinschaft zu zeigen. Gestützt wurde dies mit riesigen Anzeigen in Tageszeitungen am Mittwoch, in der die Zahlungswilligkeit erneut bekräftigt wurde. Die Regierung spricht von einer "Erpressung" der Hedgefonds, die 1600% Prozent Gewinn auf Kosten der Argentinier machen wollten, schrieb der Wirtschaftsminister in einem Gastbeitrag für die Financial Times (FT) am Mittwoch.

Er betont, dass die "Geierfonds" niemals Argentinien Geld geliehen hätten. NML habe die Anleihen für etwa 50 Millionen Dollar billig von Investoren gekauft, wolle nun aber den Nennwert in einer Höhe von mehr als 800 Millionen einstreichen, was eine Rendite von 1600% in sechs Jahren bedeute, schreibt Kicillof. Hätte der Fonds wie die Mehrheit der Gläubiger die Umschuldung angenommen, hätte sich der einst eingesetzte Betrag noch immer fast vervierfacht. Er wirft ihnen vor, nicht verhandeln, sondern nur absahnen oder das Land in den "default" (Zahlungsunfähigkeit) treiben zu wollen. "Sie machen vor nichts halt" und wollten ein "souveränes Land erpressen". Sie forderten privilegierte Bedingungen und bei ihrer Spekulation mit 40 Millionen Argentiniern fügten sie dem internationalen Finanzsystem irreparable Schäden zu und verunmöglichten so Umschuldungen in der Zukunft.

Dabei hätte Argentinien kein Problem, die geforderten 1,5 Milliarden Dollar aufzubringen. Doch wenn das Land zahlt, dann kommen sofort neue Forderungen von anderen Fonds auf das Land zu. Denn NML und Aurelius halten nur 1% der einstigen Anleihesumme. Doch mit Gläubigern von gut 7% der Gesamtsumme wurden einst keine Übereinkünfte erzielt. Das bedeutet, dass bei der Zahlung sofort Nachforderungen im Umfang von etwa 15 Milliarden Dollar folgen würden, womit Argentinien vom Regen in die Traufe käme. Es müsste gut die Hälfte aller Devisenreserven zur Begleichung der neuen Forderungen aufwenden.

Das wirklich große Problem des Landes findet sich aber in der RUFO-Klausel. Die "Rights Upon Future Offers" sichern allen Gläubigern eine Gleichbehandlung zu. Würde sich Argentinien mit den Hedgefonds einigen und ihnen mehr bezahlen, als damals mit der Mehrheit bei der Umschuldung vereinbart wurde, hätten alle einstigen Gläubiger nach dieser Klausel wieder eine Rechtsgrundlage für Nachforderungen. Je nachdem, wie viel Geld die Hedgefonds aus dem Land herauspressen, könnten sich die Forderungen dann auf bis zu 120 Milliarden Dollar belaufen. Die wären für Argentinien unbezahlbar und es wäre wieder am Ausgangspunkt der Pleite 2001 angelangt (Quo vadis Argentina?).

Genau deshalb erklärte das Wirtschaftsministerium am Montag, dass die Forderungen aus dem Urteil von Richter Thomas Griesa "unmöglich umsetzbar" seien. Ein Treffen des Wirtschaftsministers Kicillof mit einem Vermittler in New York blieb am vergangenen Montag ergebnislos. Doch Argentinien ist weiter zum Dialog bereit, um eine "gerechte und ausgewogene" Lösung mit den Hedgefonds zu finden. Zunächst müssten aber die Zinsüberweisungen ermöglicht werden, um unter gerechten Bedingungen verhandeln zu können, ohne die Drohung einer Staatspleite im Hintergrund.

Die Fonds hatten ihre Position nicht nur gegenüber dem vermittelnden Anwalt Daniel Pollack in Gesprächen schon deutlich abgesteckt. Jay Newman hatte sie ebenfalls in einem Beitrag für die FT dargelegt. Von der Maximalforderung rücken die Fonds nicht ab, bieten aber an, dass nicht die gesamte Summe direkt fließen müsse, sondern ein Teil der Gesamtforderung könne auch mit neuen Staatsanleihen bezahlt werden. Man sei bereit, Argentinien mehr Zeit zu geben, um seinen Verpflichtungen nachzukommen: "Our firm could be persuaded to give Argentina more time if its government took concrete and serious steps towards meeting its legal obligations."

Das Land hat aber noch einen Trumpf in der Hinterhand, um eine mögliche reale Staatspleite wie 2001 zu vermeiden. Auch wenn es die Regierung kategorisch ausschließt, spricht doch angesichts der festgefahrenen Situation vieles dafür, dass man sich auf eine technische Staatspleite einlässt, wenn es keine bezahlbare Einigung mit den Hedgefonds bis zum Monatsende gibt. Noch am Donnerstag schloss der Kabinettschef Jorge Capitanich jede Art eines "default" kategorisch aus. Er kündigte an, dass sich schon am Freitag erneut eine Abordnung aus Buenos Aires in New York mit dem Vermittler an einen Tisch setzen werde. Allerdings werde diesmal der Wirtschaftsminister nicht von der Partie sein. Damit ist klar, dass keine Ergebnisse zu erwarten sind.

Spiel auf Zeit?

Angesichts der verzwickten Lage ist es für Argentinien sinnvoll, auf Zeit zu spielen, wie es schon die WM- Fußballer in Brasilien beim Spiel gegen die Niederlande getan haben, um ins Finale zu kommen. Erwogen wird deshalb auch eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof im niederländischen Den Haag. Denn die schon angesprochene RUFO-Klausel zur Gleichbehandlung, die für das Land extrem gefährlich ist, läuft schon am Jahresende aus. Ab dem 1. Januar 2015 könnte Argentinien auf Augenhöhe über die Forderungen mit den Hedgefonds verhandeln. Das Land wäre dann frei von weiteren unbezahlbaren Nachforderungen.

Die Frage ist, wie hoch der Preis dafür ist, fünf Monate international erneut als Pleitestaat gehandelt zu werden. Für die schwache Wirtschaft, die am Rand zu Rezession steht, dürfte die Aussicht kaum belebend wirken. Doch eine technische Pleite könnte für die überschaubare Zeit verkraftbar sein. Schließlich ist allen klar, dass das Land nur zahlungsunfähig erklärt wird, es aber real nicht ist. Welche Auswirkungen das international hätte, ist unklar. Es gibt Stimmen, die angesichts der überschaubaren Lage davon ausgehen, dass kein Desaster droht. "Den Investoren auf den Schwellenmärkten kann das eigentlich mehr oder weniger egal sein", schreibt das Wall Street Journal Deutschland.

Bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sieht man das schon etwas anders. Vergangene Woche kamen die Außenminister der OAS-Mitgliedstaaten in Washington zu einer Sondersitzung zusammen und sicherten Argentinien ihre "volle Unterstützung" zu. In der Erklärung sprach sich die OAS fast einstimmig für eine Lösung im umfassenden Prozess der Umschuldung argentinischer Staatsschulden aus. "Es ist von zentraler Bedeutung für die Stabilität der internationalen Finanzarchitektur, dass die im Rahmen der Umschuldung ausgehandelten Vereinbarungen respektiert werden." Nur die USA waren gegen die Erklärung und Kanada enthielt sich der Stimme.

Der OAS-Generalsekretär wurde noch deutlicher. Der Chilene José Miguel Insulza meinte, nicht nur die Finanzstabilität sei bedroht, sondern auch die Mechanismen für Umschuldungen, die mit verschiedenen internationalen Organismen ausgearbeitet worden seien. Insulza verwies darauf, dass man Großbanken in Krisensituationen als "too big to fail" bezeichnet und mit Steuergeldern vor der Pleite rettet. Eine Staatspleite mit ihren sozialen Folgen gerade für die Schwächsten werde jedoch nie für "too big" erklärt, sagte der ehemalige Außenminister Chiles. Er forderte, dass Argentinien in dieser Situation geholfen werden müsse und bedauerte, dass es keine internationalen Regelungen gäbe, die Umschuldungsprozesse wie in Argentinien absicherten. Für "einige unerwünschte Akteure" im Finanzsystem bietet eine Krise immer Möglichkeiten, um Geld zu machen. "Geierfonds" und "Spekulanten seien es egal, ob die Armut in Ländern wie Argentinien durch ihre Aktivitäten zunehme.