Poroschenko: Für jeden toten Soldaten werden hunderte Separatisten getötet

Der Stand der Dinge nach Angaben des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats

Das Morden in der Ostukraine geht weiter, Verhandlungen und eine friedliche Lösung scheinen keine Aussicht mehr zu haben

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Nachdem die Separatisten ihre verbliebenen Kräfte in Donezk und Lugansk gesammelt haben bzw. Milizen aus einigen Städten vertrieben wurden, ist noch kein Zeichen zu erkennen, dass sie ihre Waffen niederlegen werden, obgleich Russland noch einmal eine "humanitäre" Intervention ausgeschlossen hat. Bei Angriffen sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums 19 Soldaten und 4 Grenzpolizisten getötet und 93 verletzt worden. Mittlerweile wird von 30 Toten gesprochen. Die ukrainischen Streitkräfte hätten an einigen Orten die Stützpunkte von Separatisten zerstört und dabei mehr als 100 "Terroristen" getötet, manche wie ein Sprecher der "Antiterroroperation sprechen auch von 1000, was man gleich als Propaganda verbuchen kann.

Nach dem Angriff der Separatisten. Bild: Inforesist.org

Die Separatisten haben gestern mit einem russischen Grad-Mehrfachraketenwerfer eine ukrainische Fahrzeugkolonne an der ukrainisch-russischen Grenze angegriffen und diese nach eigenen Angaben zerstört, wie Ria Novosti berichtet. Sie sprechen von 30 getöteten ukrainischen Soldaten. Überdies wurden zwei weitere Autobahnbrücken gesprengt, um das Vordringen der ukrainische Verbände Richtung Lugansk und Donezk zu behindern. Die Rebellen drohen, bald auch über Flugzeuge zu verfügen. Der Milizenchef von Lugansk, Waleri Bolotow, berichtete, man habe neben einen Panzer auch ein Kampfflugzeug erbeutet, das mehr oder weniger einsatzbereit sei. Schwer umkämpft ist weiterhin der Flughafen in Lugansk.

Zudem hätten die prorussischen Milizen in letzter Zeit auch Kanonen, Grad-Mehrfachraketenwerfer, Luftabwehrsysteme und Panzerabwehrwaffen von der ukrainischen Armee erbeutet, und sie nicht nur gut für die Verteidigung, sondern auch für Angriffe gerüstet. Sollte dies nicht nur Propaganda sein, um die Unterstützer bei der Stange zu halten und den Angreifern Angst einzujagen, dann dürfte es der ukrainischen Armee schwer fallen, die Rebellen zu besiegen, wenn auf Artillerie und Flugzeugangriffe verzichtet werden soll, wie dies Andrej Lyssenko, der Sprecher des Sicherheits- und Verteidigungsrates am Dienstag versichert hatte.

Gestern Nachmittag kündigte Präsident Poroschenko als Reaktion auf die Angriffe Rache im Stil von Israel an. Poroschenko scheint zerrissen zwischen dem Druck vornehmlich aus der EU, den Konflikt ohne blutiges militärisches Vorgehen durch Verhandlungen aufzulösen, und innenpolitischen Falken, die eine schnelle und harte Niederschlagung der Separatisten fordern. Jetzt muss er den innenpolitischen Falken entgegenkommen und droht den für den Angriff mit dem Mehrfachraketenwerfer Verantwortlichen, dass sie ebenso gefunden und eliminiert würden wie diejenigen, die den Kampfhubschrauber mit einem MANPAD abgeschossen hatten: "Die Militanten werden mit Hunderten ihrer Leben für das Leben eines jeden Soldaten von uns zahlen. Kein einziger Terrorist wird vermeiden können, zur Verantwortung gezogen zu werden. Jeder wird bestraft werden." Die ukrainischen Soldaten seien Helden, sie müssten aber auch, nachdem die Städte "befreit" wurden, ein "verantwortliches Verhalten" zeigen, d.h. sie sollen den Einwohnern helfen und sie mit allem Notwendigen versorgen. Das ist ein Spagat zwischen aggressiver Rache und Zurückhaltung, die von den Soldaten, noch eher von den Mitgliedern der Nationalgarde und den Milizen, kaum gewahrt werden dürfte.

Das mit der Rache gefällt dem Rechten Sektor

Neben den 30.000 Soldaten befinden sich auch 2000 bewaffnete Milizen in der Ostukraine, die offiziell zur Teilnahme im Krieg gegen die "Terroristen" aufgefordert wurden, nachdem die ukrainische Armee in der ersten Zeit kaum Fortschritte erzielen konnte. Für Andriy Parubiy, der Vorsitzende des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats und zuvor der Chef der sogenannten "Selbstverteidigungskräfte" des Maidan, sind die Milizen entscheidend, um die Armee und deren Kampfkraft zu stärken, wie die Kyiv-Post berichtet: "Die Menschen kamen und fragten nach Waffen und sagten, sie wollten kämpfen. Wir mussten einen Mechanismus finden, um dies zu kanalisieren. Die Tatsache, dass wir es vermochten, diese riesige Energie des Maidan auf den Schutz des Vaterlands zu richten, hat viel geholfen."

Die Bemerkungen geben auch noch einmal einen Hinweis darauf, dass die Maidan-Proteste keineswegs so friedlich waren und Militante aus dem rechtsnationalistischen Spektrum angezogen hatten, die damals von den Oppositionsparteien und dem Westen unterstützt wurden. Die Nationalgarde wurde auch deswegen geschaffen, um einen Teil der Maidan-Militanten zu legalisieren und unter staatliche Kontrolle zu bringen. Viele, darunter auch der Rechte Sektor, wollten dies aber nicht und setzten auch mit der Hilfe der Vaterlandspartei von Timoschenko, der rechtsextremen Swoboda-Partei und Parubiy, der an der richtigen Stelle saß, schließlich durch, dass Freiwilligenbataillone, also Milizen, von Oligarchen und Gruppen legal gebildet, finanziert und vereint mit Armee, Nationalgarde und anderen Sicherheitskräften in den Krieg in den Osten ziehen konnten.

Parubiy zeichnete Kämpfer der Nationalgarde aus, die Slowjansk eingenommen haben. Bild: .rnbo.gov.ua

Nach der Kyiv-Post gibt es 22 von diesen Milizen, darunter auch "Bataillone" der Nationalgarde. "Es sind die Männer, die auf dem Maidan standen", sagt Parubiy, der sie als "hochgradige professionelle" Kampfverbände preist. Keine der Bataillone, so versichert er, würde auf Befehl von Oligarchen oder nach eigenem Willen handeln. Die Bataillone der Nationalgarde unterstehen der Polizei und sollen allen voran bei der Wiedereroberung von Slowjansk und Kramatorsk gewesen sein. Parubiy ehrte Mitglieder der Nationalgarde als Helden und sagte: "Es ist symbolisch, dass die Flagge in Slowjansk von Freiwilligen aus der Maidan-Selbstverteidigung gehisst wurde." Besonders hochgerüstet und gut ausgestattet ist das Dnepr-Bataillon, das zumindest vom Oligarchen Kolomoisky, Gouverneur von Dnipropetrovsk, mitfinanziert wird. Der Rechte Sektor ist hier beteiligt, aber auch an anderen Milizen.

In der Ostukraine haben sich Verschleppungen und auch Folter gehäuft. Meisten werden sie von den Rebellen ausgeführt, wie Amnesty International berichtet. Sie wollen die Bevölkerung einschüchtern, halten die Geiseln als Schutzschilde in besetzen Gebäuden oder wollen Lösegeld. Verschleppungen und Misshandlungen gebe es aber auch auf Seiten der westukrainischen Kräfte. Zahlreiche Menschen sind bereits aus der Ostukraine in die Westukraine geflüchtet, deutlich mehr aber nach Russland, wo bereits mehr als 100.000 Menschen Schutz vor den Kämpfen gesucht haben.

Wie weit Informationen aus dem Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat zu trauen ist, steht in den Sternen, der Medienkrieg wird auch hier ausgefochten. Ein Sprecher berichtete gestern, dass russische Reporter Schießereien in Lugansk inszenieren, wobei sich Separatisten als ukrainische Soldaten ausgeben würden: "Die Tatsachen zeigen, dass die wirkliche für Zivilisten in den Gebieten besteht, wo sich russische Fernsehreporter befinden." Die "Terroristen" hätten auch die Grenzstadt Chervonopartyzansk beschossen und eine Schule, vier Häuser und eine Busstation zerstört. Eine Granate habe auch einen Bus mit Arbeitern getroffen und dabei 5 getötet und 10 verwundet. Es könnten aber auch die ukrainischen Truppen gewesen sein, die die Stadt eingenommen haben.