Nicht nur sauber, sondern rein

Welche Vegetarier und Veganer sind die besten Menschen? Psychologie auf der Suche nach dem ethischen Mehrwert

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Dass Vegetarier und Veganer die besseren Menschen sind, wissen sie selber nur zu gut. Aber wer unter den besseren Menschen gehört nun wirklich und wahrhaft zu den allerbesten? Man kennt es von Religionen: Wer Gott oder den Göttern oder dem Heiligen an sich besonders nahe sein will, wird öfter zum Extremismus verführt.

Bild: Romuald Bokej/CC-BY-2.0

Wer schon außer dem Islam nichts gelten lässt, der kann immer noch in den heiligen Krieg ziehen; wer schon nicht mehr weiß, wo in seiner Wohnung noch ein Papstbild anzubringen wäre, kann weitere Fleißkärtchen beim Opus Dei sammeln; wer sich den Hintern schon durchmeditiert hat, kann sich immer noch die Augenlider ausreißen, wie, der Sage nach, Bodhidarma. Ob das dann wirklich alles passiert und konsequent durchgehalten wird, ist eher zweitrangig, denn was wirklich zählt, ist die Proklamation der eigenen Überlegenheit und die generelle Leidensbereitschaft.

Der gute Zweck heiligt alle Leiden, und wer sehr viel leidet (oder das Leid trägt, leider anderen sehr viel Leid zufügen zu müssen), beweist dadurch seine Hingabe an den guten Zweck. Der Psychologe Hank Rothgerber von der Bellarmine University in Louisville / Kentucky hat nun einmal untersucht, ob sich diese Hierarchien der Hingebung auch bei denjenigen finden, die sich fleischfrei ernähren.

Superethische Turbovegetarier halten sich standardmäßig für besser

Vier Gruppen hat Rothgerber betrachtet: die gesundheitlich orientierten Vegetarier und die ethisch orientierten sowie die gesundheitlich und die ethisch orientierten Veganer. Veganer, das nur zu Erinnerung, sind Vegetarier, die sich nicht nur vegetarisch ernähren, sondern darüber hinaus jede Nutzung von tierischen Produkten ablehnen.

Pro-Tipp: Wer sich kurz und knackig über Veganer informieren will, sollte sich den Film "Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" anschauen. Abgesehen davon, dass er insgesamt recht unterhaltsam ist, präsentiert er den veganen Superhelden Todd Ingram (dargestellt von Brandon Routh), und dessen Auftritt erläutert den Veganismus bündiger als tausend vegane Propagandatraktate.

Ein naiver Mensch würde vielleicht annehmen, dass sich die Anhänger der verschiedenen Fraktionen des guten, fleischfreien Daseins wechselseitig gern leiden mögen. Tatsächlich ist es nach Rothgerbers Untersuchung so, dass die Veganer die bloß gesundheitsorienterten gegenüber den ethisch orientierten Vegetariern abwerten, und zwar umso stärker, je stärker sie selbst ethisch orientiert sind.

Wurde bei der Befragung ins Spiel gebracht, dass die Mehrheit der Menschen ja immer noch dem liederlichen Fleischverzehr frönt, schlossen sich die Reihen wieder: Dann waren auch die strengsten Veganer wieder eher bereit, den bloß gesundheitsopportunistischen Vegetariern ein bisschen von ihrer Überlegenheit abzugeben. Rothgerber hat für dieses Verhalten den Begriff "horizontal hostility" parat, was nicht ganz passend erscheint, wenn die Studie selbst bestätigt, dass sich die superethischen Turbovegetarier von der veganen Front standardmäßig für ethisch viel perfekter halten als alle anderen, was ja eher nach einer Pyramide des Eiferertums aussieht.

Kritikfähigkeit lässt arg zu wünschen übrig

In einer Hinsicht jedenfalls - und das haben sie wiederum mit den religiösen Eiferern gemein - kommen alle Fraktionen des ernsthaften Vegetarismus auf einen Nenner: Ihre Kritikfähigkeit lässt arg zu wünschen übrig. Kaum ein Vegetarier (von welcher Abteilung auch immer) würde zugeben wollen, dass eine konsequent vegetarische Ernährung sehr wohl Gesundheitsrisiken birgt, vor allem für Kinder und Säuglinge.

Dass die angeblich prinzipielle ethische Überlegenheit der vegetarischen/veganen Ernährungs- und Lebensweise einer kritischen Überprüfung ebenso wenig standhält wie die Behauptung, eine fleischfreie Kost sei naturgemäß gesünder, ist dann für vegetarische/vegane Ideologen absolut unerträglich. Das musste zum Beispiel Anfang des Jahres der Blogger Felix Olschewski erfahren, als er nur die Frage zu stellen wagte, ob Vegetarier mehr Blutvergießen verursachen als Fleischesser.

Die Reaktionen auf seinen lesenswerten, wenn auch nicht perfekten Artikel waren so heftig, dass er sich schließlich gezwungen sah, die Kommentarfunktion abzuschalten.

Ernährungslehren kommen und gehen, und je heftiger sie verteidigt werden, desto weniger Substanz haben sie in der Regel. Der Mehrwert besteht meist in einer narzisstischen Selbstaufwertung der Adepten. Um es mit Adorno zu sagen: "Zart [und in diesem Sinne "ethisch", M.H.] wäre einzig das Gröbste: daß keiner mehr hungern soll."

Diesem Ziel hat uns der Vegetarismus, gleich welcher Couleur, noch keinen Millimeter näher gebracht.