Von Gaza nach Teheran?

Kassam-Raketenabschussgeräte in Gaza; Aufnahme vom Juli 2007. Foto: IDF. Lizenz: CC BY-SA 2.0

Israels Rechte sehen den Konflikt mit der Hamas als Testfall für einen Militäreinsatz gegen den Iran

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Sonntag sind erstmals seit Beginn der Operation "Fels in der Brandung" israelische Bodentruppen im Gazastreifen aktiv geworden: Eine Eliteeinheit sei in den Norden des Landstrichs beordert, um dort eine Abschussbasis für Raketen mit größerer Reichweite zu zerstören. Mit solchen Raketen hatte die Hamas am Samstag abend Tel Aviv beschossen, nachdem sie dies zuvor angekündigt hatte. Wie viele dieser Raketen ihr Ziel erreicht haben, ist unklar: Offiziell wurden alle entweder in der Luft zerstört oder gingen in unbewohntem Gebiet nieder.

Die Eliteeinheit stieß bei ihrem Einsatz auf massive Gegenwehr; vier der Soldaten wurden verletzt. Israels Militär hatte die Einwohner im nördlichen Gazastreifen aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen; gut 4000 von ihnen seien, so die Vereinten Nationen, der Aufforderung gefolgt, und hätten Zuflucht in UNO-Einrichtungen gesucht. In Jerusalem hat Regierungschef Benjamin Netanjahu derweil damit begonnen, den Fokus in Richtung Iran auszurichten: Die dortige Regierung unterstütze die Hamas, man werde keinesfalls akzeptieren, dass der Iran sein Nuklearprogramm fortsetzt. Nun wird darüber spekuliert, ob als Nächstes ein Militäreinsatz gegen den Iran folgen könnte.

Es waren nur wenige Sätze. Doch sie reichten, um Diplomaten und Regierungsolitiker in Europa und den Vereinigten Staaten in Aufregung zu versetzen. "Heute diskutieren die Außenminister des Westens über die Frage, wie man mit dem iranischen Atomprogramm umgehen soll", sagte Israels Regierungschef zu Beginn der allwöchentlichen Kabinettssitzung:

Ich möchte daran erinnern, dass Hamas und der Islamische Dschihad vom Iran ausgebildet und finanziert werden. Iran ist eine maßgebliche Kraft im Terrorismus, die die Terrororganisationen gegen die wir kämpfen, finanziert, ausbildet und bewaffnet. Diesem Iran kann nicht gestattet werden, die Fähigkeit zu erlangen, spaltbares Material für Atomwaffen zu produzieren. Sollte dies geschehen, werden die Dinge, die wir um uns herum sehen, und die Dinge, die im Nahen Osten geschehen, weitaus schlimmer sein. In den vergangenen Jahren haben wir, ich und meine Kollegen hier um den Tisch herum, mehrere Vorhersagen für den Nahen Osten getroffen, und bedauerlicherweise sind sie alle eingetreten. Die Vorhersage eines Iran als nuklearer Schwellenstaat darf nicht eintreten, sie darf nicht. Sie wird nicht.

Schon seit Jahren steht die Möglichkeit im Raum, dass Israels Militär irgendwann einen Angriff gegen Ziele im Iran beginnen könnte. Immer wieder wurde damit gedroht, auch schon von Netanjahus Vorgängern, immer wieder wurde er regelrecht gefordert, von rechten Politikern.

Dass es trotzdem nicht gemacht wurde, lag weder am internationalen Druck, noch an der Weigerung der US-Regierung, sich an einem militärischen Eingreifen zu beteiligen, und schon gar nicht lag es daran, dass man den Verhandlungen mit dem Iran Gelegenheiten zum Reifen geben wollte; niemand wird ernsthaft davon ausgehen, dass der Iran sein Atomprogramm komplett einstellen wird, selbst wenn sie sich dazu bereit erklären", hatte Netanjahu gesagt, bevor er Anfang 2009 ins Amt des Premierministers zurück kehrte (er war schon mal Ende der 1990er Jahre für kurze Zeit Regierungschef gewesen).

Es ist nicht davon auszugehen, dass er diese Ansicht nach der Wahl des recht moderaten Hassan Ruhani zum iranischen Präsidenten vor einem Jahr geändert hat. Israel misst Ruhani nur einen geringen Einfluss bei; die tatsächlichen Protagonisten seien die selben, wie schon seit eh und je; Ruhani nur ein "freundliches Gesicht auf einem hässlichen Körper", sagen Analysten der israelischen Regierung.

Hauptgrund für die Zurückhaltung bisher war, dass man nicht wusste, ob Israel die Auswirkungen eines Militärschlages gegen den Iran würde verkraften können. Und nun, während der aktuellen kriegsähnlichen Situation, glauben zumindest die Hardliner in der Regierung, die Antwort erfahren zu haben. Die Abwehrsysteme hätten sich bewährt, betonen sie immer wieder: die Schäden, die durch die vom Gazastreifen aus abgefeuerten Raketen verursacht werden, seien gering, das öffentliche Leben gehe weitgehend weiter.

In der Regierung glaubt man deshalb, dass die Abwehrsysteme auch bei einem Raketenbeschuss aus dem Iran und, falls die Hisbollah dem Iran zur Hilfe kommen sollte, dem Süden des Libanon heraus, funktionieren werden. Man sei heute weit vom ersten Golfkrieg Anfang der 90er Jahre entfernt, als Tel Aviv schutzlos den vom Irak abgefeuerten Raketen ausgeliefert war, oder vom zweiten Libanon-Krieg 2006, als in 38 Tagen 4000 Raketen auf den Norden Israels nieder gingen.

Die Befürchtungen von Ägypten, Jordanien und den Regierungen auf der arabischen Halbinsel

Im Ausland sieht man die Dinge allerdings etwas anders: Sofort nach Netanjahus Äußerungen meldete sich US-Außenminister John Kerry bei Netanjahu, und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier setzte kurzerhand für Montag Israel und Palästina auf seinen Reiseplan. Die Befürchtung: dass ein israelischer Alleingang die ohnehin schon ebenso komplexe wie brenzlige geopolitische Lage im Nahen und Mittleren Osten zum Kippen bringen könnte. Ein sagt ein amerikanischer Diplomat dazu:

Wir sehen die Gefahr, dass ein israelischer Militärschlag gegen den Iran das Atomprogramm vielleicht um einige Jahre zurück wirft, aber dafür die dortige Regierung destabilisiert, oder, was wahrscheinlicher ist, Möglichkeiten zum Dialog verbaut.

Vielfach wird in diesen Tagen von Vertretern der internationalen Diplomatie beklagt, dass Israels Regierung Forderungen stellt, die niemand sonst ernsthaft erwartet, weil sie für die andere Seite nicht erfüllbar sind, und vor allem, dass man nicht differenziert. Immer wieder wird der Eindruck geäußert, dass die komplexen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, die im Iran, aber auch im Gazastreifen vor sich gehen, an Israels Premier vorbei gegangen zu sein scheinen.

So habe der Iran schon vor geraumer Zeit seine Unterstützung für die Hamas erheblich zurück gefahren - ein Umstand, der maßgeblich zur finanziellen Krise der Organisation beitrug, die dann wiederum dazu führte, dass sie sich dazu bereit fand, die eigene Regierung im Gazastreifen zu Gunsten einer Duldung einer neugebildeten Regierung unter Führung von Präsident Mahmud Abbas aufzulösen. Dabei stellt die Hamas kein eigenes Personal für die Regierung. Ein Punkt, der Netanjahu ebenfalls den Vorwurf mangelnder Differenzierung eingetragen hat.

Die Sorge in der internationalen Gemeinschaft wird aber nicht nur von der nun wieder belebten Iran-Frage getragen. Ägypten, Jordanien und die Regierungen auf der arabischen Halbinsel befürchten, dass sie in den Konflikt mit hinein gezogen werden könnten.

Gespannt beobachtet man dort, wie die jeweiligen Öffentlichkeiten auf die Entwicklungen in Gaza reagieren: Man befürchtet Massendemonstrationen, sollten die Luftangriffe noch länger weiter gehen, die Zahl der Todesopfer auf der palästinensischen Seite, die am Sonntag nachmittag bei um die 170 (die Angaben variieren) lag, weiter steigen, möglicherweise eine Bodenoffensive des israelischen Militärs beginnt.

1.500 Ziele im Gazastreifen bombardiert

Israels Luftwaffe hatte am Samstag abend damit begonnen, Flugblätter über dem nördlichen Gazastreifen abzuwerfen. Die Menschen sollten bis Sonntag mittag, 12 Uhr, ihre Häuser verlassen. Danach, so die Ankündigung, drohten verstärkte Luftangriffe in dem Gebiet. Man sei zu dem Ergebnis gelangt, dass 36 Prozent der Raketen, die in Israel nieder gehen, von dort aus abgefeuert werden, so die Militärsprecher.

Nach dem Verstreichen der Deadline war allerdings keine Veränderung zu beobachten. Die Luftangriffe gingen, ebenso wie die Raketenabschüsse mit unveränderter Intensität weiter. Die Nachricht, eine von Gaza aus abgefeuerte Rakete sei auch in Nahariya direkt an der libanesischen Grenze nieder gegangen, stellte sich als falscher Alarm heraus.

Allerdings werden mittlerweile auch die Palästinenser selbst vom Raketenfeuer in Mitleidenschaft gezogen: In Hebron und Bethlehem gingen Geschosse nieder, und hier schützt keine "Eiserne Kuppel". Auch aus dem Libanon heraus wurden erneut Raketen abgefeuert. Seit Freitag bemüht sich die libanesische Regierung unter Einbeziehung der Vereinten Nationen darum, eine Eskalation zu vermeiden.

Seit dem offiziellen Beginn der Militäroperation wurden um die 1.500 Ziele im Gazastreifen bombardiert; die Gesamtzahl der Raketen liegt bei um die 1000. Dabei muss man allerdings anmerken, dass hier verschiedene Zahlen im Umlauf sind; die genannten Zahlen sind ein Mittelwert daraus. Zum Vergleich: Während des 38tägigen Libanon-Krieges 2006 wurden insgesamt an die 4000 Luftangriffe geflogen, und rund 12.000 Raketen auf Israel abgefeuert.

Bei der Suche nach einem Ausweg bilden sich mittlerweile auch Allianzen, die niemand für möglich gehalten hat. So präsentierten Ägypten und Katar einen gemeinsamen Vorschlag für einen Waffenstillstand, der auf der am Ende des letzten Gaza-Krieges im November 2012 geschlossenen Waffenruhe, beruht.

Katar

Das Besondere: Bis vor Kurzem waren beide Länder noch in eine Art kalter Krieg verwickelt, der einige Monate nach der Absetzung von Präsident Mohammad Mursi in Ägypten begonnen hatte. Ursprünglich war es dabei nur um den Preis für Gas-Lieferungen an Ägypten gegangen; die Übergangsregierung in Kairo hatte im Verlauf des Streites dann damit begonnen, der Regierung in Doha vorzuwerfen, über den Nachrichtensender Al Dschasira die neue Regierung destabiliseren zu wollen, um den eigenen Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Außerdem unterstütze man die Muslimbruderschaft - Katar sucht bereits seit einigen Jahren den Dialog mit islamistischen Gruppierungen, um dadurch, so die allgemeine Vermutung von internationalen Medien und Diplomaten, an Einfluss zu gewinnen.

Auch im Gazastreifen ist Katar aktiv: Man unterstützte die Hamas-Regierung dort finanziell und finanzierte darüber hinaus Infrstruktur-Projekte. Das Politbüro der Hamas ist in Doha ansässig, nachdem es im Verlauf des Bürgerkrieges in Syrien Damaskus hatte verlassen müssen.

Ägyptens Präsident Abdelfattah as-Sisi machte sich nun zu Nutze, was bislang Gegenstand des diplomatischen Konfliktes zwischen Kairo und Doha war: Katar sucht den Dialog zu islamischen Gruppierungen wie der Muslimbruderschaft und der Hamas; Ägyptens Regierung warf Katar deshalb vor, den Terrorismus zu fördern. Zudem ist das Politbüro der Hamas in Katar ansässig.

Die Waffenstillstandsbemühungen

Ägypten, das in der Vergangenheit eine Vermittlerrolle zwischen Israel und der Hamas inne hatte, ist als Schiedsrichter hingegen mittlerweile vom Platz gestellt worden. Denn vor einigen Monaten hatte die damalige Übergangsregierung der Hamas vorgeworfen, die Muslimbruderschaft zu unterstützen. Die palästinensische Organisation wurde daraufhin zur terroristischen Vereinigung erklärt, ihr Besitz in Ägypten beschlagnahmt, die Finanzflüsse abgeschnitten, und die Grenze nur noch sporadisch geöffnet. Zusammen mit den Einschnitten bei den Zuwendungen aus dem Iran, die dazu geführt haben, dass die Reserven der Hamas schon Monate zuvor aufgebraucht waren, führte dies dann zur Rückkehr nach Ramallah.

Mittlerweile spricht man in Kairo offen davon, dass die Aktion in dieser Form langfristig ein Fehler gewesen sein könnte. Vor einer Woche, vor dem offiziellen Beginn der israelischen Militäroperation hatte man noch einmal einen Vermittlungsversuch unternommen. Und dabei fest stellen müssen, dass man von der Hamas als, so ein Funktionär der Hamas, "Erfüllungsgehilfe Israels" gesehen wird.

Auch deshalb wirft man nun die alte Politik über Bord: Die Lage in Ägypten ist nach wie instabil, auch wenn sich der neue Präsident Abdelfattah al-Sisi als starker Mann darstellt, und immer wieder betont, er sei bei der Präsidentschaftswahl Ende Mai von 96,91 Prozent der Wähler gewählt worden, habe also einen Großteil der Bevölkerung hinter sich.

Tatsächlich ist das aber nicht so: Offiziell sind zwar 47,5 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen gegangen; es wird aber allgemein davon ausgegangen, dass die tatsächliche Wahlbeteiligung eher bei um die 35 Prozent gelegen haben dürfte.

Die Muslimbruderschaft, und noch viel mehr so, die Werte, für die die Organisation steht, hat nach wie vor sehr viele Anhänger, und die Wut dieser Menschen ist nach wie vor groß: Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen, auch Bombenanschlägen; Ägyptens Regierung befürchtet, dass die Lage im Gazastreifen dies noch verschärfen könnte.

Zudem sind auf der an Israel und den Gazstreifen angrenzenden Sinai-Halbinsel nach wie vor militante Gruppierungen aktiv. Ein Monate langer Einsatz des ägyptischen Militärs hat dies nicht nachhaltig geändert. In Kairo befürchtet man nun, dass auch von ägyptischem Territorium Raketen auf Israel abgefeuert werden könnten. Dies könnte dann israelische Vergeltungsmaßnahmen auf der Sinai-Halbinsel zur Folge haben - es wäre nicht das erste Mal: Bislang tolerierte Ägyptens Regierung dies, was dieses Mal kaum möglich wäre.

Gefruchtet haben die Waffenstillstandsbemühungen bislang noch nicht. Beide Seiten signalisieren nur rudimentäre Gesprächsbereitschaft: Israels Regierung will einer Waffenruhe nur zustimmen, wenn dadurch wirklich dauerhafte Ruhe garantiert werde. Der Gazastreifen müsse demilitarisiert werden, heißt es. Die Hamas fordert die Freilassung der Häftlinge, die bei der Militäroperation im Westjordanland Ende Juni gefangenen genommen worden waren, und eine Lockerung der Blockade.