EU kuschelt wieder mit Europäischer Gendarmerietruppe

Ein neues EU-Papier lotet Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit "robusten" Polizeikräften aus, die dem Militär unterstehen. Die Truppe aus sieben Mitgliedstaaten ist derweil aktiv in Zentralafrika und Mali

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Die Europäische Gendarmerietruppe (EUROGENDFOR bzw. EGF) soll stärker in die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union eingebunden werden. Das geht aus einem Papier des Auswärtigen Dienstes hervor, das nun von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlicht wurde. Demnach soll die Zusammenarbeit für das "Management von Krisen" gestärkt werden. Erst letztes Jahr hatte der Auswärtige Dienst - von Kritikern gern als EU-Außenministerium bezeichnet - hierzu einen Fragebogen kursieren lassen. Abgefragt wurden die paramilitärischen Kapazitäten aller Mitgliedstaaten. Schon damals war von einem "Kooperationsabkommen" mit der EGF die Rede.

Übung in Spanien. Bild: eurogendfor.org

Gendarmerien sind Polizeitruppen, die zwar Aufgaben der inneren Sicherheit übernehmen. Im Gegensatz zur Polizei sind sie aber den Verteidigungsministerien unterstellt. Im Innern eingesetzt stehen sie unter der Befehlsgewalt der Innenministerien. Sie werden als "robuste Polizeienheiten" beschrieben, weil sie über eine bessere Bewaffnung, gepanzerte Fahrzeuge und eine militärische Ausbildung verfügen. Daher können sie auch am Rande von militärischen Kampfhandlungen eingesetzt werden. Dort unterstehen sie dem Kommando des verantwortlichen Verteidigungsministeriums.

Die EGF war um die Jahrtausendwende von Italien und Frankreich ursprünglich als EU-Truppe geplant worden. Mehrere Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, hatten jedoch Einwände gegen eine derart paramilitärische Einheit. Die Regierungen in Rom und Paris hielten an dem Plan fest und gründeten die EGF schließlich als multilaterale, von der EU unabhängige Einheit. Laut ihren Statuten können die Fähigkeiten an die NATO, die OSZE, die UNO und die EU ausgeliehen werden. Im Vordergrund stehen jedoch Einsätze der Europäischen Union.

Eine stehende Truppe wird von der EGF nicht vorgehalten. Trotzdem finden auf einem Truppenübungsplatz in Vicenza Trainings für Gendarmerien aus "Drittstaaten" statt. Auch deutsche Polizeikräfte haben dort bereits mit den EGF-Gendarmen trainiert (Polizei spielt Häuserkampf für zivil-militärische EU-Politik).

Türkei besitzt Partnerstatus

Nach und nach sind alle anderen EU-Mitgliedstaaten beigetreten, die ebenfalls Gendarmerien unterhalten: Spanien, Portugal, die Niederlande, Polen und Rumänien. Auch Litauen hat eine Gendarmerie, die allerdings über nicht ausreichende polizeiliche Fähigkeiten verfügt. Daher darf die Regierung in Vilnius nur als Beobachterin teilnehmen. Auch die Türkei als EU-Beitrittskandidat gehört zur EGF, besitzt aber nur einen Partnerstatus.

In der Gründungserklärung verspricht die EGF, innerhalb von 30 Tagen eine bis zu 800 Mann starke Truppe zu mobilisieren. Die könnte dann eine ganze Bandbreite polizeilicher Aufgaben übernehmen. Hierzu gehören der "Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus" ebenso wie grenzpolizeiliche Aufgaben, die Regelung des Verkehrs oder die Bevölkerungskontrolle mit Konzepten des "community policing". Vornehmlich soll die Truppe aber die öffentliche Sicherheit und Ordnung sichern und militante Proteste oder Plünderungen unterbinden.

Seit ihrer Gründung war die EGF bereits in Afghanistan und Bosnien-Herzegowina eingesetzt. Während der Bosnien-Einsatz unter EU-Mandat erfolgte, unterstand die Truppe in Afghanistan der NATO. Unter dem Mandat der UNO wurden nach dem Erdbeben 2010 auch Truppen nach Haiti verlegt. Der vierte, offiziell bekannte Einsatz unter militärischem Mandat erfolgt derzeit auch in der Zentralafrikanischen Republik. Laut der EGF-Webseite soll die Truppe dort die öffentliche Sicherheit gewährleisten.

Einsatz auch in Mali

Aus dem jetzt veröffentlichten Dokument geht aber hervor, wie die EGF auch bei der EU-Intervention in Mali aktiv ist. Die dortige EU-Mission unter dem Akronym "EUCAP Sahel Mali" wird als "ziviles Krisenmanagement" beschrieben. Die dortige Präsenz der EGF war bisher kaum bekannt.

Zu den Zielen von EUCAP Sahel Mali gehört die Unterstützung von Sicherheitsbehörden des Innern und die Wiederherstellung staatlicher Autorität im gesamten Land. Es ist unklar, worin der konkrete Beitrag der EGF in Mali besteht. In dem Dokument heißt es dazu, man habe sich an der "strategischen und operativen Planung" beteiligt. Letztes Jahr ging aus einem anderen Papier hervor, dass die EGF an einer "Erkundungsmission" teilgenommen hatte.

Unter der deutschen EU-Präsidentschaft hatte sich bereits die sogenannte "Zukunftsgruppe" dafür ausgesprochen, Zusammenarbeitsformen zwischen der EU und der EGF auszuloten. Nun soll die Kooperation nicht nur intensiviert, sondern die Beteiligung der EGF an EU-Missionen sogar "beschleunigt" werden. Am Ende soll ein "Kooperationsabkommen" geschlossen werden, dessen Unterzeichnung allerdings schon für das letzte Jahr vorgesehen war (EU sucht Polizeieinheiten der Mitgliedstaaten für "robuste Missionen").

Anscheinend ist das Abkommen längst unterzeichnet, der Inhalt bleibt aber unter Verschluss. Die Regelungen beträfen in erster Linie die Einbindung des Hauptquartiers, das die EGF im norditalienischen Vicenza unterhält. Dort arbeiten nach offiziellen Angaben rund drei Dutzend Gendarmen in leitenden Positionen. Vermutlich geht es in dem Abkommen insbesondere um den Austausch von als geheim eingestuften Informationen - eine unabdingbare Voraussetzung von Operationen im Rahmen militärischer Kampfhandlungen.

In einer ebenfalls in Vicenza angesiedelten Akademie werden vor allem Führungskräfte von Militärs aus afrikanischen Ländern geschult. Derzeit werden dort vornehmlich libysche Milizen ausgebildet, um diese in eine neu geschaffene Gendarmerie zu integrieren. Die EU hat hierzu letztes Jahr eine eigene Mission gestartet, die Trainings in Italien basieren jedoch auf einer bilateralen Vereinbarung zwischen den Regierungen in Rom und Tripolis.

"Keine Kapazitäten für Eingreifen innerhalb der EU-Grenzen"

Die rechtliche Grundlage zur Überlassung von EGF-Kapazitäten ergibt sich unter anderem aus dem Lissabon-Vertrag. Dort heißt es, dass alle in EU-Mitgliedstaaten vorhandenen Truppen der EU für "Krisenreaktionen" im EU-Ausland zur Verfügung gestellt werden sollen. Insbesondere rechte und rechtsradikale Parteien kolportieren immer wieder, die EGF würde eigentlich aufgebaut, um sie innerhalb der EU einzusetzen, etwa um dortige Proteste gegen die Dominanz aus Brüssel zu unterdrücken.

In den Statuten der EGF sind solche Missionen im EU-Inland zwar nicht erwähnt, aber auch nicht ausgeschlossen. In einer Präsentation vor den zivil-militärischen EU-Einrichtungen hatte die EGF allerdings betont, dass die Truppe keine Einsätze in den Mitgliedstaaten unterstützen will ("Kapazitäten der EGF werden nicht für das Eingreifen der Truppe innerhalb der EU-Grenzen aufgebaut").

Rechtlich wäre ein solcher Einsatz im Innern nun einfacher: Kürzlich hat der Rat der Europäischen Union die sogenannte "Solidaritätsklausel" ausformuliert (EU-Mitgliedstaaten beschließen Hilfe bei politischen Krisen und Terroranschlägen). Die Regelung definiert, dass die EU alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen muss, wenn ein Mitgliedstaat von einer Katastrophe oder Krise betroffen ist und diese nicht allein bewältigen kann. Die betroffene Regierung muss die Hilfe jedoch zuvor beantragen. Die Unterstützung kann dann mit polizeilichen, geheimdienstlichen oder militärischen Mitteln erfolgen.

Die Handhabung von "Massenansammlungen" soll zwar ausgenommen bleiben. Jedoch kann die Solidaritätsklausel auch geltend gemacht werden, wenn eine Situation, "schwerwiegende Auswirkungen auf Menschen, die Umwelt oder Vermögenswerte" hat. Möglich, dass auf diese Weise auch Streiks erfasst wären: Nämlich dann, wenn sie wesentliche Funktionen des Staates lahmlegen.