Teamgeist ist erfolgreich im Fußball

Warum begreifen wir das nicht für die Wirtschaft?

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Teamgeist, sagen viele, war entscheidend für den Erfolg der deutschen Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft. Da ist was dran. Die Mannschaft spielte nicht nur besser Fußball als alle früheren Weltmeister aus Deutschland (ich persönlich schaue erst, seit Joachim Löw die Mannschaft übernommen hat, wieder gerne ein Spiel der Nationalmannschaft), sie macht auch im Erfolg einen ruhigen und nicht einen überheblichen Eindruck. Und was mir besonders gut gefallen hat: Die gesamte Mannschaft hat verinnerlicht, dass es das Team der Fußballer und das Team der Betreuer war, das den Erfolg gemeinsam errungen hat.

Aus dem Teamgeist der Fußballnationalmannschaft, sagen andere (so zum Beispiel im DLF der frühere Olympiasieger im Rudern und heutige Wirtschaftswissenschaftler Professor Maennig), könne man etwas für die Wirtschaft und insbesondere das Arbeitsleben lernen, nämlich dass man nur mit dem richtigen Teamgeist erfolgreich sein kann. Auch da ist etwas dran. Wir müssen in der Tat begreifen, dass eine arbeitsteilig organisierte Wirtschaft nicht "jeder gegen jeden" bedeutet, sondern "jeder mit allen anderen".

Dass aber ausgerechnet einer wie VW-Chef Martin Winterkorn (das ist der Mann, der gemäß einigen Erhebungen (beispielsweise hier eine von Ver.di) absolut und im Verhältnis zu den einfachen Angestellten mehr verdient als jeder andere Chef in Deutschland) nun laut Handelsblatt feststellt: "Jeder ist wichtig, und gemeinsam sind wir stärker als im Alleingang - diese Botschaft kann sich auch jedes Unternehmen ins Stammbuch schreiben." Das ist peinlich.

Teamgeist heißt nämlich vor allem, auch die Schwächsten im Team mitzunehmen, zu motivieren und sie da aufzustellen, wo sie dem Team den größten Nutzen bringen, selbst wenn sie nicht genau die gleiche Leistung abrufen können wie die anderen. Teamgeist heißt auch zu begreifen, dass es keine individuell zurechenbare Leistung des einzelnen gibt. Wie war die Grenzproduktivität von Manuel Neuer während der WM im Vergleich zu der von Phillip Lahm? Muss man nicht die Spieler ganz unterschiedlich entlohnen, weil sie unterschiedlich gespielt haben? War die Produktivität von Mario Götze, der in wenigen Minuten Spielzeit das entscheidende Tor schoss, nicht weit größer als die von Toni Kroos, der zwar 120 Minuten ackerte, aber kein zählbares Ergebnis produzierte? Warum wird das nicht systematisch verglichen, damit wir genau wissen, wem welcher Teil des Erfolges zuzurechnen ist und wer deshalb auch pekuniär mehr vom Ergebnis bekommen muss und wer weniger?

Es ist doch seltsam: Jeder vernünftige Mensch weiß, dass es keine sinnvollen Antworten auf diese dummen Fragen gibt. Und dennoch werden genau diese Fragen in der Mindestlohndebatte Tag für Tag von "Experten" gestellt und beantwortet, als ob es das einfachste Rechenexempel der Welt wäre, den am geringsten Entlohnten eine bestimmte Leistung zuzuordnen und in Euro und Cent zu bewerten. Man scheint zu wissen, dass acht Euro fünfzig mehr ist, als ein Schlachter in der Stunde zum Gesamtergebnis der Schlachterei beiträgt. Und man ist sich ganz sicher, dass ein Spargelstecher oder ein Zeitungsausträger in Deutschland weniger leisten, als es dem ab 2015 vorgeschriebenen Mindestlohn entspricht. Auch die Grenzproduktivität von Langzeitarbeitslosen, ganz gleich, wo sie eingesetzt werden, liegt unter acht Euro fünfzig pro Stunde, sonst wäre für sie doch sicher keine Ausnahme ins Gesetz geschrieben worden.

Da erweist sich das Gerede vom Teamgeist als hohle Phrasendrescherei derjenigen, die sonst nichts anderes im Sinn haben, als kurzfristig für sich das meiste rauszuholen und die anderen, die Schwachen, unterzubuttern. Nein, wer es mit dem Teamgeist ernst nimmt, der kann in der Tat von der Nationalmannschaft lernen. Er kann lernen, dass es beharrlicher und langfristiger Aufbauarbeit bedarf, wenn man erfolgreich sein will. Er kann lernen, dass man nicht bei den Stars von heute mit der Arbeit beginnt, sondern bei den Jungen, den potenziellen Stars von Morgen und bei all denen, die diesen potenziellen Stars zuarbeiten werden, damit sie so gut werden können, dass das Team von morgen Erfolg hat. Und er kann lernen, dass man auch Niederlagen wegstecken muss, ohne sogleich das gesamte Team in Frage zu stellen. Und schließlich kann man lernen, dass man auch mit Siegen vernünftig umgehen muss und sich nicht einreden sollte, ein Team könne immer gewinnen.

Würden in der deutschen Wirtschaft und in der Politik solche Ideen verstanden, könnte die Weltmeisterschaft Anlass zur Hoffnung über den Tag hinaus sein. Nur: Wer will daran glauben in einem Land, in dem die Politiker sich seit Jahrzehnten weigern zu begreifen, dass auch der internationale Handel keine Einbahnstraße ist, sondern alle Mitspieler eine faire Chance haben müssen?

Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Website flassberg-economics übernommen. Heiner Flassbeck will hier versuchen, "der Volkswirtschaftslehre eine rationalere Grundlage zu geben".