Gaza: Der Friedensvorschlag der Hamas

Das zerstörte Innenministerium in Gaza. Bild: Ahmed Dalloul / IRIN; gemeinfrei

Und die Neuordnung der politischen Lager in Israel

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Trotz der internationalen Bemühungen um einen Waffenstillstand zwischen Israels Militär und den Kämpfern von Hamas und Islamischem Dschihad gehen Luftangriffe und Raketenbeschuss in der Region weiter. Am Dienstag hatte Israels Militär für einige Stunden keine Angriffe mehr geflogen, nachdem Ägyptens Regierung am Abend zuvor eine Waffenruhe angekündigt hatte. Die Kämpfer der Hamas hielten sich allerdings nicht an den Waffenstillstand; die politische Führung der Hamas wirft Ägypten und Israel nun vor, die Waffenruhe verkündet zu haben, obwohl klar gewesen sei, dass die Übereinkunft noch nicht spruchreif war. Die Organisation hat nun am Mittwoch einen eigenen Vorschlag unterbreitet.

Man sei dazu bereit, sich auf einen auf zehn Jahre angelegten Waffenstillstand einzulassen, wenn Israel die Grenzen öffne, die Seeblockade aufhebe, und die im Juni während einer Militäroperation im Westjordanland gefangen genommenen Palästinenser frei lasse. In Israels Regierung wird derweil der Ton zwischen den Kabinettsmitgliedern zunehmend schärfer. Am Mittwoch feuerte Regierungschef Benjamin Netanjahu den stellvertretenden Verteidigungsminister Danny Danon, nachdem der den Premierminister in einem Interview massiv für den Waffenstillstand kritisiert hatte. Doch auch viele andere Minister sind weniger als gar nicht glücklich mit Netanjahus Vorgehensweise.

Stellvertreter

Sie sind die Ergebnisse des Proporzes: Ohne Macht, ohne besondere Aufgaben, sind stellvertretende Minister in Israel einzig und allein dazu da, um die Mehrheitsverhältnisse zwischen den einzelnen Parteien zu wahren, und den einzelnen Flügeln innerhalb der Koalitionsparteien das Gefühl zu geben, im Kabinett einen gewissen Stellenwert zu haben. Früher gab es auch noch die großen Brüder des stellvertretenden Ministers: Den stellvertretenden Regierungschef, den Vize-Regierungschef, den Minister ohne Aufgabenbereich. Doch die hat man nach der letzten Wahl abgeschafft: Die Öffentlichkeit mag es nicht so sehr, wenn, was schon passiert ist, ein Drittel der Knesseth auch gleichzeitig in der Regierung sitzt.

Stellvertretende Minister haben keine besonderen Aufgaben: Fällt der eigentliche Minister aus, wird er entweder ersetzt, oder aber der Regierungschef macht seinen Job, oder, was in manchen Ressorts niemandem auffällt, der Posten bleibt gänzlich unbesetzt. Das Tagesgeschäft wird sowieso von den Generaldirektoren der einzelnen Ministerien erledigt.

Und so hört man nur selten etwas von stellvertretenden Ministern, was wahrscheinlich auch im Fall von Danny Danon bis zum Ende der Legislaturperiode so geblieben wäre, wenn nicht gerade Krieg wäre, die Medien Dutzende Mal am Tag darüber rätselten, ob denn nun wahlweise Waffenstillstand oder Bodenoffensive kommen, Danon nicht mit einer richtig knackigen Aussage daher gekommen wäre, er nicht den Titel stellvertretender Verteidigungsminister trüge. Und wenn nicht Netanjahu gerade jemanden gesucht hätte, an dem er ein Exempel statuieren kann.

"Der Regierungschef ist für gut oder schlecht verantwortlich", sagte er der Zeitung Jedioth Ahronoth, "falls das Ergebnis der Operation negativ ist, liegt die Verantwortung dafür beim Premierminister.":

Wir brauchen nichts schön zu reden: Die Hamas hat entschieden, wann wir beginnen; sie entscheidet, wann wir aufhören. Darum sage ich als ein lang gedientes Mitglied des Likud-Blocks, dass diese Operation so durchgeführt wird, als wäre Zehawa Gal-On die Regierungschefin.

Zehawa Gal-On ist die Vorsitzende der linksliberalen Meretz und eine der prominentesten Fürsprecher in der Politik für Mäßigung und einen Waffenstillstand. Netanjahu, warf ihm Danon vor, setze die Politik der Linken um.

Es ist nicht das erste Mal, dass Regierungsmitglieder scharfe Kritik an Netanjahus Vorgehen äußern: Immer wieder wird der Premier in diesen Tagen von allen Seiten angegangen, weil den einen das Vorgehen zu lax ist, während die anderen eine stärkere Berücksichtigung der diplomatischen Komponente vermissen.

Doch bisher konnte Netanjahu keinen der Kritiker feuern, obwohl der Dissenz höchst öffentlich über die Medien ausgetragen wird. Denn Außenminister Avigdor Liebermann oder Handelsminister Naftali Bennett zu feuern, die beide Netanjahu noch sehr viel heftiger kritisieren als Danon, würde auch bedeuten, die Koalition mit ihren Parteien zu beenden.

Bei Danon ist das anders: Er gehört Netanjahus Likud-Block an, ist ein prominenter Vertreter des rechten Flügels, der traditionell wenig Liebe für den Regierungschef verspürt. Sein Abgang soll, so ist aus Netanjahus Büro zu hören, gleichzeitig ein Signal an die Rechten sein, es nicht zu toll zu treiben, und dabei auch den Weg für eine mögliche Umbildung der Regierung frei machen.

Denn sowohl Jisrael Beitenu, die Partei Liebermanns, als auch "Jüdisches Heim", die Partei Bennetts, haben mit Beginn der Militäroperation damit begonnen, offenen Wahlkampf zu betreiben, zudem sind die Handlungsspielräume der Regierung durch ihre Zusammensetzung aus drei zentristischen Parteien, dem Likud-Block und den beiden rechten Liebermann- und Bennett-Parteien sehr begrenzt: Auch eineinhalb Wochen nach dem offiziellen Beginn der Militäroperation im Gazastreifen ist keine klare Linie zu erkennen.

Die Rechten

Dafür aber hat der Krieg die Neuordnung der politischen Lager beschleunigt, die schon seit dem vergangenen Sommer, also nur wenige Monate nach den Parlamentswahlen, begonnen hatte. Stimmten im Januar 2013 noch viele Wähler für eine der Neuparteien, die sich selbst im Zentrum positioniert hatten, weil sie sich davon frische Impulse versprachen, kehren die Wähler nun in die traditionellen Lager zurück. Verlierer dabei sind der Likud-Block und die Zentrumsparteien: Den Umfragen zufolge bedient sich die Rechte beim rechten Rand des Likud und beim rechten Rand der Zentrumsparteien, während die Linke dasselbe mit den linken Rändern tut.

Der derzeitige Militäreinsatz im Gazastreifen ist im Grunde das Ergebnis der Kräfteverhältnisse im Kabinett: Netanjahu mag Mehrheiten für seine Entscheidungen haben - aber diese Entscheidungen, bevor sie auch nur in die Nähe des Kabinettstisches gelangen, werden unter der Prämisse getroffen, ob sie es den Rechten ermöglichen, in der Regierung zu bleiben, auch wenn sie unter Umständen gegen einzelne Vorlagen stimmen. Konkret: Netanjahus Herangehensweise war bislang nahezu ausschließlich militärischer Natur, weil die Rechten einen Waffenstillstand ablehnen.

Das Waffenstillstandsangebot

Wie massiv die Ablehnung ist, zeigte sich am frühen Dienstag orgen: Nur mit Mühe schaffte es Netanjahu im Sicherheitskabinett eine Mehrheit für die Waffenruhe zu finden, die kurz darauf um acht Uhr MESZ beginnen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass es eine einseitige Waffenruhe Israels werden würde, weil die Essedin al-Kassam-Brigaden, eine dem Politbüro der Hamas nahe stehende paramilitärische Gruppierung im Gazastreifen bereits in der Nacht den Waffenstillstand abgelehnt hatten.

Zwar war der gemeinsame Vorschlag für einen Waffenstillstand, den Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi und Katars Scheich Hamad bin Chalifa al-Thani am Samstag Abend zusammen geschraubt hatten, bereits seit dem Wochenende im Umlauf gewesen; am Montagabend machte ihn dann Ägyptens Regierung aber überraschend öffentlich und legte den Beginn der Waffenruhe auf Dienstag, acht Uhr MESZ fest.

Hamas-Funktionäre in Gaza beschuldigen Kairo nun, sich auf die israelische Seite gestellt zu haben; es sei bekannt, dass man Zeit braucht, um eine Position zu bilden. Denn in den Reihen der Hamas sind die Dinge momentan sehr kompliziert. Das in Katar ansässige Politbüro, die politische Führung in Gaza und der militärische Flügel, die Essedin al-Kassam-Brigaden vertreten jeweils unterschiedliche Auffassungen über das weitere Vorgehen. Vermittlungsbemühungen richten sich so gut wie immer an das Politbüro und / oder an die Gaza-Führung, die dann versuchen müssen, einen Konsenz mit dem militärischen Flügel zu erzielen.

Hinter der Entscheidung für den Waffenstillstand steckte, aus Sicht Netanjahus, Kalkül: In seinem Büro hatte man darauf gehofft, dass die Hamas die Waffenruhe nicht würde einhalten können - um dann der Wiederaufnahme der Luftangriffe am Nachmittag eine neue Legitimation zu verleihen: Man habe den Frieden in Aussicht gestellt, und die Hamas habe "den Olivenzweig abgelehnt", so ein Mitarbeiter der Regierung. Bei der Hamas spricht man nun von einem "Manöver", und vermutet, Ägyptens Regierung habe das in Absprache mit Israel absichtlich so gemacht, um die Hamas ins Abseits zu drängen.

Denn der internationale Druck auf beide Seiten wird zunehmend stärker: In Europa und den USA mehren sich die Demonstrationen für und gegen den Militäreinsatz/die Raketen. Und die Außenminister der Welt, darunter auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, geben sich in der Region in diesen Tagen die Klinke in die Hand.

Die Vermittler

Doch an diesen Besuchen zeigt sich auch eine Kernproblematik: Es fehlt an Vermittlern. Im Laufe der Jahre haben sich so gut wie alle Länder, die in Frage kommen, in dieser Rolle verschlissen. So spielte einst Deutschland über den Bundesnachrichtendienst eine Schlüsselrolle in Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas. Dies ging allerdings bereits während des Jahre langen Tauziehens um einen Austausch von palästinensischen Gefangenen in Israel gegen den damals in Gaza fest gehaltenen israelischen Soldaten Gilad Schalit verloren, nachdem die Hamas der Bundesregierung vorgeworfen hatte, als "verlängerter Arm Israels zu fungieren".

Am Dienstag erklärte Steinmeier, er wolle "ausloten, was möglich ist, und was nicht". Dafür habe er Vertreter des Außenministeriums nach Kairo entsandt und Gespräche mit dem Außenminister Katars geführt. Außerdem übte er scharfe Kritik an der Hamas: Der Raketenbeschuss habe eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt, die kaum noch aufzuhalten scheine. Nach einem Treffen mit Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärte er: "Wir stehen fest zur deutsch-israelischen Freundschaft, gerade in diesen schweren Stunden." Doch eine Vermittlerrolle werde die Bundesregierung nicht übernehmen, stellte er auch klar.

Ein neuer Vorschlag

Die Hamas legte am Mittwoch nun einen eigenen Vorschlag für eine Waffenruhe vor. Darin bietet die Organisation einen Waffenstillstand für die Dauer von zehn Jahren an. Die Seeblockade solle im Gegenzug aufgehoben, die Grenzen geöffnet, die Gefangenen, die im Juni im Zuge der Militäroperation im Westjordanland von israel inhaftiert worden waren, sollten frei gelassen werden. Internationale Beobachter sollten die Einhaltung der Waffenruhe in Gaza, und auch den Gütertransport über die Land- und Seegrenze überwachen.

In Israel stieß der Vorschlag umgehend auf Ablehnung: Internationale Beobachter ohne eine vorherige Demilitarisierung des Gazastreifen lehnt man ab und verweist dabei auf frühere Erfahrungen. Bereits nach einer früheren Militäroperation, bei der Israel entlang der Grenze nach Ägypten eine Pufferzone besetzt hatte, war an der Grenze eine europäische Beobachtermission stationiert gewesen; als die Lage dort eskalierte, rückte das Personal allerdings einfach ab.