Israelische Bodenoffensive in Gaza hat begonnen

"Ziel ist es, der Hamas einen harten Schlag zu versetzen"

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Der Krieg in Gaza ist in die nächste Eskalationsstufe übergegangen. Am Donnerstagabend gegen 21 Uhr45 mitteleuropäischer Zeit gab das Büro des Premierministers bekannt, dass Regierungschef Netanjahu und Verteidigungsminister Yalon den Befehl erteil haben, mit einer Bodenoffensive in Gaza zu beginnen. Als Ziel wurde die Zerstörung der unterirdischen Tunnel in Gaza angegeben, die von "Terroristen dazu gebaut wurden, um in israelisches Territorium einzudringen". Später am Abend wurde deutlich, dass der Einsatz nicht auf die Zerstörung der Tunnels beschränkt ist; es geht um ein größeres strategisches Ziel, die Hamas so stark wie möglich zu treffen.

Infantrie, Panzer, Artillerie, Techniker und Erkundungselitetruppen ("field intelligence") seien in den Gazastreifen einmarschiert, unterstützt von der Luftwaffe, der Marine und anderen Sicherheitsdiensten, meldete die IDF am späten Abend. Im Gazastreifen bedeutete das, eine erhebliche Verstärkung des Bombardements vor der Bodenoffensive, danach Beschuss von oben und vom Meer und Panzer mitten im Gazastreifen.

Die Operation werde mit größter Präzsion durchgeführt, erklärt die IDF; die sieben Kinder, die in den letzten beiden Tagen am Strand oder auf einem Hausdach durch israelische Angriffe getötet wurden, widersprechen der Illusion, die damit erzeugt werden soll. Diese Fälle waren so offensichtlich und tragisch, dass sie nicht geleugnet werden konnten. Palästinensische Quellen berichten von sehr viel mehr durch israelische Angriffe getöteten Kinder. Dass die gestern Abend begonnene Offensive mit breitem Bombardement die Zahl der zivilen Opfer vergrößern wird, ist eine zwangsläufige Folge des Einsatzes, so präzise er durchgeführt werden mag.

Wie unausweichlich war die Bodenoffensive? Gefordert wurde sie von den Hardlinern in der israelischen Regierung schon seit längerem. Erster Anlass für eine "Intensivierung der Angriffe" war für die Regierung Netanjahu der Bruch der Waffenruhe, die die israelischen Streitkräfte einige Stunden lang einseitig an zwei Tagen aufrechterhielten. Als weiterhin Raketen aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet trafen, hatte die Fraktion der Befürworter der Bodenoffensive Argumente und den "öffentlichen Druck" auf ihrer Seite. Den offiziellen Ausschlag zur Bodenoffensive gab dann der Verweis auf Personen im Gazastreifen, die über unterirdische Tunnel versuchen, nach Israel zu gelangen.

Ausschnitt aus dem IDF-Videos

Als Beweis legte die israelische Regierung ein Video vor, dass mehrere, nicht deutlich erkkenbare Gestalten zeigt, die wiederum nicht deutlich erkennbar, sich am Boden eines nicht genau zu erkennenden flachen, wüstenähnlichen Terrains zu schaffen machen, um dann in einer dunklen Explosionswolke zu verschwinden. Das Video stellt einen von der israelischen Armee vereitelten Versuch von Terroristen dar, über ein Tunnelsystem nach Israel einzudringen, so die Erklärung der israelischen Regierung. Das Tunnelsystem sei der IDF schon länger bekannt. Es sei am Donnerstag Morgen von "Hamasterroristen dazu genutzt worden, um mit der Absicht, israelische Zivilisten massives Leid zuzufügen, nach Israel zu gelangen".

In einem offiziellen Statement ließ die Hamas verlauten (11:16 P.M.), dass die Bodenoffensive ein "drastischer und gefährlicher Schritt sei und die Besatzung einen schweren Preis dafür zahlen" werde.

Möglicherweise ist aber die Lücke, welche die IDF zwischen der Betonung des genauen strategischen Auftrags - die Zerstörung des Tunnelsystems bzw. dessen Infrastruktur - und den Hinweisen darauf, dass die Operation "aber nicht damit begrenzt sei, ein Hinweis darauf, dass die israelische Strategie nicht darauf gerichtet ist, in Gaza zu bleiben, sondern in kurzer Zeit möglichst viel zu zerstören, um dann wieder abzuziehen. Das Ziel wäre, die Hamas mit großen Schlägen auf Jahre hinaus erheblich zu schwächen - und die Vermeidung einer mühsamen, teueren Besatzung.

Schon jetzt hat Netanjahu ein wichtiges Ziel erreicht, der Schrecken über eine palästinensischen Einheitsregierung, der vor ein paar Wochen ziemlich groß war, ist weg. Bei den Verhandlungen über einen dauerhaften Waffenstillstand, die angeblich noch immer in Kairo laufen, hat das Politbüro der Hamas, international ohnehin mit den Folgen der Absetzung Mursis in Ägypten ohne Rückendeckung, kaum etwas in der Hand, um mit Nachdruck weitergehende Forderungen zu stellen.

Doch hat auch Netanjahu nicht so viel Rückendeckung, wie er sie für seine riskante Politik, die auf hart geschnittene Feindbilder und harte militärische Mittel setzt, braucht. Innenpolitisch nicht und außenpolitisch auch nicht. Auch aus den Geheimdiensten kommt scharfe, grundsätzliche Kritik an seiner "Sicherheitspolitik". Zeigt sich der Krieg in Gaza zunehmend als nicht sauber, sondern blutig, könnte dies nach einer Lageeinschätzung eines Ex-Chefs des Shin Beit die arabische Straße auch in Israel selbst in Aufruhr bringen.