Embryonale Stammzelltherapie schreitet voran

Querschnittslähmung und Herzversagen - die Behandlung mit embryonalen Stammzellen rückt ein Stück näher, Schlagzeilen erzeugt dies jedoch nicht mehr

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Lange war es ruhig um die embryonale Stammzelltherapie, doch nun sind gleich zwei Erfolge zu vermelden: Die Auswertung der ersten menschlichen Studie deutet darauf hin, dass von embryonalen Stammzellen keine Krebsgefahr ausgeht. Und Versuche in Affen zeigen, dass diese Zellen ein infarktgeschädigtes Herz zumindest teilweise regenerieren können. Den meisten Medien sind diese Fortschritte jedoch keine Erwähnung wert - was nach den überhitzten Diskussionen der letzten Jahre auch als Erfolg gewertet werden kann.

Wundertherapie oder Vernichtung von Embryonen - viele Jahre pendelte die Diskussion um embryonale Stammzellen zwischen diesen extremen Polen. Die Aufregung hat sich mittlerweile gelegt, ebenso zähe wie fruchtlose Diskussionen um Stichtage und Patente haben das Interesse der Öffentlichkeit zum Erlahmen gebracht. Und auch aus Forschung und Medizin war lange wenig zu hören. Doch nun kommt Bewegung in das Feld: Studien mit Menschen und Affen erproben die Behandlung von Krankheiten, bei denen die konventionelle Medizin weitgehend machtlos ist.

Querschnittslähmung war die erste Erkrankung, bei der embryonale Stammzellen im Menschen zum Einsatz kamen. Die US-amerikanische Firma Geron hatte die Stammzellen in Zellen des Nervengewebes verwandelt, die zur Heilung des beschädigten Rückenmarks beitragen sollten. Diese Oligodendrozyten waren zuvor jedoch nur in Ratten getestet worden - Versuche, die einige Experten für wenig aussagekräftig hielten. Es gab auch Bedenken, dass die Zellen im Menschen unkontrolliert wuchern und Tumore bilden könnten.

Die klinische Studie sollte daher vor allem zeigen, dass die embryonale Stammzelltherapie kein Risiko für die Patienten darstellt. Über drei Jahre hat es gedauert, bis das Ergebnis im Mai dieses Jahres vorgestellt werden konnte (K. Servick, Science 30. Mai 2014, Tests of Embryonic Stem Cell Treatment Back on Track). Es dürfte für große Erleichterung gesorgt haben: Bei keinem der insgesamt fünf Patienten waren schädliche Nebenwirkungen zu beobachten, und es gab keinerlei Anzeichen für die Entstehung von Krebszellen.

Dieses Ergebnis ist wichtig für das ganze Feld, das durch einen negativen Ausgang weit zurückgeworfen worden wäre. Geron hatte zuvor jahrelang um eine Genehmigung der amerikanischen Behörden kämpfen müssen und dabei einen beispiellosen Aufwand betrieben. Ein Fehlschlag hätte den Genehmigungsprozess für alle folgenden Studien wohl noch schwieriger gemacht. Nun, da sich zumindest die schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheitet haben, wird der Weg für die Nachfolger etwas leichter.

Geron ist allerdings auf der Strecke geblieben. Wegen finanzieller Probleme musste man die gesamte Sparte der embryonalen Stammzelltherapie an die neu gegründete Firma Asterias Biotherapeutics verkaufen. Asterias profitiert jetzt von dem positiven Studienergebnis: Eine öffentliche Stiftung hat eine Finanzspritze von 14 Millionen US-Dollar zugesagt, private Investoren gaben bald darauf weitere 13 Millionen hinzu. Mit diesem Polster wagt Asterias nun den nächsten Schritt, die Folgestudie ist bereits in Planung.

Aus menschlichen Stammzellen entwickelte Herzzellen (grün) wuchsen mit Herzzellen von Affen (rot) zusammen. Bild: Murry Laboratory

Im Gegensatz zur Querschnittslähmung liegen bei der Therapie von Herzinfarkten Studien am Menschen noch in weiter Ferne. Doch die vorbereitenden Tierversuche haben ein fortgeschrittenes Stadium erreicht: Forscher um Charles Murry an der Universität von Seattle erprobten erstmals embryonale Stammzellen an Schweinsaffen (Chong et al., Nature 12. Juni 2014, Human embryonic-stem-cell-derived). Die Ergebnisse sind vielversprechend - geschädigte Herzen wurden mit neuem Gewebe regeneriert.

Eine Milliarde menschlicher Herzmuskelzellen mussten die Forscher dazu aus embryonalen Stammzellen heranzüchten. Die Zellen wurden in Areale der Affenherzen injiziert, die durch einen künstlichen Herzinfarkt weitgehend zerstört waren. Schon zwei Wochen später hatten sich die ersten menschlichen Zellen integriert - sie schlugen in einem Takt mit dem Affenherzen. Am Ende bestanden bis zu fünf Prozent des linken Herzmuskels aus menschlichen Zellen, im Durchschnitt wurden 40 Prozent der geschädigten Areale regeneriert. Bei manchen - wenn auch nicht bei allen - Affen verbesserte sich auch die Pumpleistung des Herzens.

Ganz ohne Probleme lief es aber nicht ab: Alle Affen litten an Herzrhythmusstörungen. Diese waren nicht lebensbedrohlich und schienen die Tiere auch nicht zu beeinträchtigen, aber solange die genauen Ursachen unklar bleiben, sind weiterführende Tests am Menschen undenkbar. Vor allem deshalb, weil die Forscher Hinweise dafür haben, dass die Herzrhythmusstörungen beim Menschen noch gravierender ausfallen könnten. In weiteren Experimenten mit Affen wollen die Forscher nun nach einer Lösung für dieses Problem suchen.

Die klinischen Studie und das Experiment mit den Affen sind kein entscheidender Durchbruch, aber dennoch wichtige Schritte auf dem Weg zu einer embryonalen Stammzelltherapie. Es ist daher verwunderlich, dass die meisten Medien diese Nachrichten unter den Tisch fallen lassen. Darin zeigt sich wohl eine allgemeine Ermüdung: Auch als kürzlich die EU-Bürgerinitiative "Einer von uns" fast zwei Millionen Stimmen wider die embryonale Stammzellforschung gesammelt hatte, wurde dies hierzulande fast vollständig ignoriert. Das Thema embryonale Stammzellen scheint seinen Reiz weitgehend verloren zu haben.

Nach all den Jahren, in denen die Fähigkeiten der embryonalen Stammzellen wahlweise aufgebauscht oder moralisch verdammt wurden, könnte nun der Weg für eine realistische Betrachtung frei sein. Das kann die weitere Entwicklung nur fördern. Befürworter der embryonalen Stammzelltherapie müssen diese nicht mehr zum Allheilmittel stilisieren, um dem moralischen Druck etwas entgegenzuhalten. Und eine sinkende Erwartungshaltung wird die Akzeptanz von Therapien erleichtern, die aller Voraussicht nach keine Wunderheilungen erzielen werden - und möglicherweise mit ernsten Nebenwirkungen verbunden sind. Alle Beteiligten - Forscher, Firmen und die Öffentlichkeit - könnten dann in Ruhe entscheiden, ob und bei welchen Krankheiten eine embryonale Stammzelltherapie sinnvoll ist.