Fall Mollath: Gutachter findet keine Hinweise auf zerstochene Reifen

In der neuen Hauptverhandlung gegen Gustl Mollath zerbröselt das Urteil aus dem Jahr 2006 immer weiter - Verteidiger legen Mandat nieder und werden zu Pflichtverteidigern bestellt

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"Objektiv kann ich nicht sagen, dass sie (die Reifen) zerstochen worden sind. Es kann sein, es gibt aber Alternativursachen." Diese Aussage stammt von einem Sachverständigen, der am heutigen Mittwoch vor dem Landgericht Regensburg in Sachen Gustl Mollath gehört wurde, berichtet die Mittelbayerische Zeitung.

Den Grund für seine Beurteilung, führt der Sachverständige auch an: "Ich hatte keine Reifen zu untersuchen, die damals beschädigt worden sein sollen." Darüber hinaus habe er auch nicht auf eine durchgehende Dokumentation zugreifen können, in der nähere Angaben zu den verschiedenen Reifen und der Art der Beschädigung einzusehen gewesen wären.

Mit diesen Aussagen zerbricht eine der tragenden Säulen des umstrittenen Urteils aus dem Jahr 2006, in dem die Einlieferung von Mollath in die forensische Psychiatrie verfügt wurde. In dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth hieß es damals:

Im Zeitraum zwischen dem 31.12.2004 und dem 01.02.2005 zerstach der Angeklagte die Reifen an Fahrzeugen verschiedener Personen oder beschädigte diese Fahrzeuge auf andere Weise, wobei die jeweiligen Geschädigten von ihm aufgrund ihrer Beteiligung an Scheidungs- oder Trennungssituation von seiner Ehefrau als Ziel ausgewählt worden waren....Auch gerieten die Geschädigten in gefährliche Situationen dadurch, dass die Schäden nicht sofort sichtbar wurden, sondern sich erst nach einiger Fahrzeit bemerkbar machten.

Und an anderer Stelle schreibt das Gericht:

Mit den Ermittlungen wegen der beschädigten Kraftfahrzeugen war die Polizeiinspektion Nürnberg-Ost befasst...Bei den beschädigten Reifen wurde mittels eines feinen Werkzeugs die Flanken der Reifen zerstochen, sodass die Beschädigung mit dem bloßen Auge teilweise nicht sichtbar waren und die Luft nur langsam nach Inbetriebnahme der Fahrzeuge entwich, weshalb gefährliche Situationen beim Betreiben des PKW im Verkehr entstanden. Diese Art und Weise der Beschädigung deutete nach Auffassung der Polizei darauf hin, dass der Täter etwas von der Bauweisen von Reifen verstand.

Aus der Art und Weise, wie Mollath damals die Reifen beschädigt haben sollte, leitete das Gericht dann eine Gemeingefährlichkeit ab, woraus - mit Unterstützung eines entsprechenden psychiatrischen Gutachtens - die Unterbringung Mollaths in der Psychiatrie angeordnet wurde.

Auf welch tönernen Füßen die Schlussfolgerungen des Gerichts standen, machte der Sachverständige ein ums andere Mal deutlich: "Ich weiß nicht, was mit den Reifen war, aber wir haben keine gefährlichen Situationen", berichtet die Mittelbayerische Zeitung, die zu dem Prozess einen Lifeticker eingrichtet hat. Dort heißt es weiter, dass der Sachverständige nicht aus einer einzigen Situation im Zusammenhang eine Gefährdung erkennen könne. Die Akten würden eine solche Bewertung nicht erkennen lassen. Der Sachverständige sagte weiter: "Einen Reifen so anzustechen, dass dieser bei der Fahrt kaputt geht, halte ich für sehr theoretisch."

Und so dekonstruiert der Gutachter von Aussage zu Aussage weiter die Argumentation des Gerichts. Der Schraubenzieher, mit dem Mollath angeblich die Schäden verursacht habe und den ein Zeuge gesehen haben will, könne es nicht gewesen sein: "Der war zu groß."

Auch der Sicht des Gerichts, wonach Mollath als jemand, der sich beruflich mit Fahrzeugen und Reifen beschäftigt, gewusst haben musste, wie man Reifen auf eine gefährdende Weise beschädigt, wollte der Sachverständige nicht folgen: "Der Rückschluss - Reifen, Kfz-Händler, der hat diese Reifen beschädigt -, den darf man nicht machen."

Obwohl sich der Prozessverlauf für Mollath günstig entwickelt, kam es an diesem 11. Prozesstag noch zu einem Eklat zwischen dem Angeklagten und seinen beiden Verteidigern. Laut einem Bericht auf Sueddeutsche.de zeigte sich Mollath unzufrieden über die Auswahl der Zeugen, was er auch im Gerichtssaal äußerte. Sueddeutsche.de geht davon aus, dass Mollaths Äußerungen während der Verhandlung und eine Diskussion zwischen ihm und einem seiner Verteidiger in der Mittagspause zur Mandatsniederlage geführt haben. Allerdings entschied das Landgericht nach einer kurzen Beratung, beide Verteidiger als Pflichtverteidiger zu bestellen. Wie Mollath zu der Sache steht, ist derzeit noch unklar.